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Alles neu macht der Mai

Michael Fischer zeigt, wie Liedtexte das Symbol des Frühlings aufgreifen

Freiburg, 25.04.2018

Natur, Religion, Politik: Diese drei Themengebiete unterscheidet Dr. Dr. Michael Fischer, Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Universität Freiburg, in Mai- und Frühlingsliedern – durch deren Texte zieht sich das Symbol des Frühlings als Neuanfang, als Übergang von Chaos zur Ordnung.


Foto: esuimages/Fotolia

Natur

Singende Lerchen und Nachtigallen prägen die Lieder, die die Natur im Mai beschreiben. Es geht um Sonnenlicht, murmelnde Bäche, weite Felder und Blumen – „all das, was die Natur im Frühling ausmacht“, sagt Fischer. Dazu gehören auch das sinnliche Erleben, Frühlingsgefühle, die Liebe:

Im wunderschönen Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.

Heinrich Heine (1827)


Auch die Selbsterfahrung und die Bewegung in der Natur spielen in Mailiedern eine Rolle. Solche Bedürfnisse können Fischer zufolge einer Entfremdung von der Natur entspringen: „Aus eher städtischen und gelehrten Perspektiven heraus stellen die Liedtexte die Natur und das einfache, ländliche Leben idealisiert dar.“ Der Städter bekomme Lust, spazieren zu gehen und zu wandern, um die Schönheit der neu erwachenden Natur zu erleben:

Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus,
da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zuhaus;
wie die Wolken dort wandern am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in die weite, weite Welt.

„Der Mai ist gekommen“, Emanuel Geibel (1841)


Für die positive Darstellung des Frühlings sei aber nicht nur die städtisch distanzierte Sichtweise verantwortlich: „Eine wichtige Rolle spielen die durch die Wärme und das natürliche Licht aufgehellte Stimmung, aber bis ins 20. Jahrhundert hinein auch die erfolgreiche Überwindung des Winters, das Überleben von Hungerkrisen und Krankheiten.“

 


Foto: Thomas Kunz

Religion

Das Passahfest der Juden erinnert an die Befreiung aus Ägypten. Am Osterfest feiern Christen den Sieg über die Mächte des Todes und der Sünde durch die Auferstehung. „Beide Feiertage liegen auf dem ersten Vollmond im Frühling und beide Feste symbolisieren einen heilsgeschichtlichen Neuanfang“, erklärt Fischer.

Bis in die Frühe Neuzeit gab es im Christentum die Vorstellung eines „geistlichen Mai“. Die Erlösung durch Christus wurde in direkte Verbindung zum Frühling gesetzt – mit der Symbolik von Wiedergeburt und neuem Leben. So steht der Maibaum für das Kreuz Christi und die Blumen für die Tugenden. Das Osterfest wird als Frühling gedeutet, als metaphysische Erneuerung der Schöpfung. „Solche Parallelen sind in einigen Liedern bis ins Detail beschrieben“, berichtet Fischer. Zudem sei die lyrische Verbindung von Frühling und Schöpferlob zu beobachten:

Wie lieblich ist der Maien
aus lauter Gottesgüt,
des sich die Menschen freuen,
weil alles grünt und blüht!
Die Tier sieht man jetzt springen
mit Lust auf grüner Weid,
die Vöglein hört man singen,
die loben Gott mit Freud.

Martin Behm (1604)


Im 19. Jahrhundert wird der Mai mit der Mutter Jesu, Maria, in Verbindung gebracht. Die Tradition der Maiandacht entsteht und die „Muttergottes“ wird als Maienblume oder Maienkönigin gefeiert:

Maria, Maienkönigin! Dich will der Mai begrüßen.
O segne ihn mit holdem Sinn und uns zu deinen Füßen!
Maria, wir empfehlen dir, was grünt und blüht auf Erden,
lass uns in dieser Pracht und Zier das Werk des Schöpfers ehren.

Marienlieder zur Feier der Maiandacht, Guido Görres (1842)

 


Quelle: Udo Achten: Wenn ihr nur einig seid. Texte, Bilder und Lieder zum 1. Mai. Köln: Bund Verlag 1990, S. 63.

Politik

„In politischen Liedern ist der Frühling gleichfalls ein Symbol für den erwünschten Neuanfang“, sagt Fischer. Hintergrund für die Feier des 1. Mai ist ein Beschluss des internationalen Arbeiterkongresses, der 1889 in Paris stattfand: Im Folgejahr sollten in verschiedenen Ländern am 1. Mai politische Kundgebungen stattfinden. Der konkrete Anlass war die Forderung nach einem gesetzlich garantierten Achtstunden-Arbeitstag.

Im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert etablierte sich dieser Tag, an dem die Arbeiter oft demonstrativ streikten. Der Staat und die Arbeitgeber reagierten darauf mit heftigen Strafen und Entlassungen. „In der Liedkultur wird dies kämpferisch, aber auch mit ironischen Tönen umgesetzt“, sagt Fischer:

Alles Frei
Macht der Mai –
Aber nicht die Polizei!
ihre Wut
Steigt ins Blut,
Wittert sie die rote Brut

Der wahre Jacob (Satirezeitung, 1912)


Festtage, die bisher weltlichen Vergnügungen gewidmet waren, verband man mit politischen Kundgebungen. „Dadurch nahm man symbolisch einen bürgerlich geprägten Raum ein und formte eine sozialistische Gegenöffentlichkeit.“ Eine ähnliche Wirkung habe die Anlehnung von Texten an bekannte bürgerlich-patriotische Lieder, zum Beispiel nach der Melodie von „Die Wacht am Rhein“, entfaltet:

Im schönen Mai, im jungen Mai,
Erhebt der Arbeit Volk sich frei!
Es reicht die Hand zum Bruderbund,
Und tut der Welt sein Wollen kund.
Hurraa, im schönen jungen Mai

Sing mit. Eine Sammlung politischer Gewerkschaftlicher Kampflieder (1908)

Sarah Schwarzkopf