Fridays for Studies
Freiburg, 05.06.2019
Auf welche Weise tauchen Selfies in der Literatur auf? Warum tut sich das Völkerrecht mit der Zulassung autonomer Waffen so schwer? Und welche Strategien können Menschen einsetzen, um produktiv mit ihren Gefühlen umzugehen? Die neue Reihe „Junge Universität Freiburg“ möchte Jugendliche an die Welt der Wissenschaft heranführen. Wie kommt das Format bei den Schülerinnen und Schülern an?
Bewaffnet mit Stift und Papier: Lea Wehler besucht ihre erste Vorlesung. Foto: Jürgen Gocke
Freitagnachmittag, die Schule ist aus, aber das Lernen geht weiter: Statt nach Hause zu fahren, pendelt die 17-jährige Lea Wehler mit dem Regionalverkehr nach Freiburg. Sie wird dort ihre erste Vorlesung an der Universität besuchen. Ihre ältere Schwester Lara Wehler, Studentin der Medienkulturwissenschaft, hat sie auf die Veranstaltungsreihe „Faszination Wissenschaft: Junge Universität Freiburg“ aufmerksam gemacht. Schülerinnen und Schüler zwischen 14 und 18 Jahren können an eigens für sie erarbeiteten Vorlesungen aus verschiedenen Disziplinen teilnehmen.
Das Studium generale der Universität Freiburg hat das Format aufgelegt und bietet es seit dem Sommersemester 2019 an. „Wir möchten die Jugendlichen in lebendiger, anschaulicher und konkreter Weise an das Faszinosum Wissenschaft heranführen und sie mit der Idee sowie mit der Forschungswirklichkeit einer großen Traditionsuniversität in der gesamten Palette ihrer Angebote und Potenziale vertraut machen“, erklärt Leiter Prof. Dr. Werner Frick. Der frühe Kontakt zur Universität könne den Schülern dabei helfen, sich für ein Studium zu entscheiden, betont Prof. Dr. Juliane Besters-Dilger, Prorektorin für Studium und Lehre: „Die Reihe gibt jungen Menschen, die sich fragen, welchen Bildungsweg sie nach dem Ende ihrer Schulzeit einschlagen wollen, eine Orientierung. Anhand des breiten Themenspektrums können sie sich damit auseinandersetzen, welche Chancen und fachlichen Optionen ihnen in einem künftigen Studium zur Verfügung stehen.“
Frei, selbstständig, offen
Lea besucht die elfte Klasse des Wirtschaftsgymnasiums in Offenburg. Sie mag am liebsten Ethik, Englisch und Global Studies, ein junges Fach mit Schwerpunkten wie Debattieren und Globalisierung. Bis zu ihrem Studienbeginn hat die Schülerin noch Zeit, im Frühjahr 2021 wird sie erst einmal Abitur machen. Lea stellt sich die Universität als einen Ort des freien und selbstständigen Lernens vor. Für das Studium will sie ihr Elternhaus verlassen und in eine WG ziehen. „An der Uni gehört es irgendwie dazu, selbstständig zu wohnen. Man arbeitet ja nebenher, und pendeln wäre mir zu anstrengend.“
Reger Andrang nach Schulschluss: Das Format kommt bei den Jugendlichen gut an. Foto: Jürgen Gocke
Bei der heutigen Vorlesung referiert die Freiburger Psychologieprofessorin Brunna Tuschen-Caffier über das Thema „Vom Umgang mit den eigenen Gefühlen: Neue Erkenntnisse zu Emotionsregulation und psychischer Gesundheit“. Lea legt sich ihr Schreibzeug zurecht. Für das Thema ist sie offen, obwohl sie lieber den Vortrag über Selfies in Kunst und Literatur besucht hätte. Diesen versäumt zu haben bedauert sie gerade in Hinblick auf ihre beruflichen Pläne: Sie will kreatives Schreiben studieren und danach in einer Redaktion oder einem Lektorat arbeiten.
Derweil füllt sich der Hörsaal 1010 im Kollegiengebäude I mit Jugendlichen, Eltern und Lehrkräften. Die akademische Viertelstunde ist abgelaufen – der Vortrag beginnt. Für Tuschen-Caffier ist es nicht die erste Veranstaltung dieser Art: Vor einigen Jahren hat sie sich an der „Kinder-Uni“ der Universität Bielefeld beteiligt. Das Publikum sei damals noch deutlich jünger gewesen. Ihre Powerpoint-Folien, die sie üblicherweise für ihre Vorlesungen nutzt, hat die Psychologin auf die heutige Zielgruppe zugeschnitten und manche auch ganz weggelassen. Zudem hat sie auf einige statistische Angaben verzichtet. Die gezeigten Modelle würde sie aber auch ihren Studierenden vorstellen. „Ich finde es wichtig, den Kenntnisstand der jungen Leute zu berücksichtigen und zugleich inhaltliche Akzente zu setzen.“
Das Format weiterentwickeln
Nach dem Vortrag haben die Schüler eine halbe Stunde Zeit für Diskussionen – und sie nutzen die Chance, um Nachfragen zu stellen: „Ich finde es stark, dass die jungen Leute ein so großes Interesse an wissenschaftlichen Inhalten haben“, sagt Tuschen-Caffier. Bemerkenswert sei deren Fähigkeit, Fachbegriffe zu erlernen und auf dem Erlernten aufzubauen. Selbstverständlich könne nicht vorausgesetzt werden, dass sich die Schüler bereits in der Denkwelt einer empirischen Wissenschaft bewegen: Dementsprechend sei es auch völlig in Ordnung, dass manche der Fragen von der Psychologie wegführten und auf andere Bereiche wie Science Fiction abzielten. In Zukunft will Tuschen-Caffier weiterhin an der Vortragsreihe teilnehmen. Um sie mit neuen Inhalten voranzubringen, wird die Wissenschaftlerin ein anderes Thema wählen, etwa Essstörungen, die ebenfalls zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören.
Lea ist von der Vorlesung und der Diskussion begeistert: „Ich habe zwar keine Frage gestellt, aber ich fand es toll, den anderen zuzuhören“. Tuschen-Caffier hat ihre Ergebnisse mit vielen Beispielen geschmückt und sie verständlich vorgetragen. Deshalb konnte Lea der Forscherin gut folgen und die Grundaussagen nachvollziehen. Die Länge der Veranstaltung fand sie angemessen, und der große Andrang hat sie überrascht. Lea Wehler wird zum nächsten Vortrag wiederkommen – und vielleicht auch ein paar ihrer Mitschüler mitbringen: „Ich kann mir vorstellen, dass das nächste Thema im Bereich Physik und Biologie genau das Richtige für einige meiner Bekannten ist.“
Patrick Siegert