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Der beste Rat, den ich Ihnen geben kann: Beginnen Sie ein Gespräch mit jemandem

Chemienobelpreisträger Joachim Frank im Interview

Freiburg, 13.02.2024

Joachim Frank ist Professor an der Columbia University und forscht dort im Bereich der molekulare Biophysik. Für seine Beiträge zur Kryoelektronenmikroskopie von Einzelmolekülen erhielt er im Jahr 2017 gemeinsam mit Richard Henderson und Jacques Dubochet den Nobelpreis für Chemie. Franks Forschungsarbeiten trugen maßgeblich zum Verständnis der Struktur und Funktion von Ribosomen bei. Frank studierte von 1960 bis 1964 an der Universität Freiburg Physik. Die Fakultät für Biologie der Universität Freiburg verlieh im Juni 2024 Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Joachim Frank die Ehrendoktorwürde.

 

Foto: Klaus Polkowski

Prof. Dr. Sonja-Verena Albers, Dekanin der Fakultät für Biologie, Joachim Frank und Kerstin Krieglstein, Rektorin der Universität Freiburg. Foto: Klaus Polkowski

 

Herr Frank, warum haben Sie sich damals für ein Studium an der Universität Freiburg entschieden?

Joachim Frank: Die deutschen Universitäten zu jener Zeit waren nicht so sehr spezialisiert. Der wesentliche Grund für meine Entscheidung war, dass ich so weit wie möglich von zuhause in Siegen wegwollte. Ich wollte an einem schönen Ort leben und studieren – und ich hatte viel über Freiburg als eine romantische Stadt gehört. Mein Horizont war zu dieser Zeit sehr eng.

„Vieles auf meinem Weg, in meiner Karriere war wirklich Serendipity, ich habe also viel Wertvolles gefunden und erfahren, was ich ursprünglich nicht gesucht hatte.“

Welchen Rat würden Sie Studierenden geben?

Vieles auf meinem Weg, in meiner Karriere war wirklich Serendipity, ich habe also viel Wertvolles gefunden und erfahren, was ich ursprünglich nicht gesucht hatte. Immer wieder gibt es vielerlei zufällige Ereignisse und Entwicklungen – und es ist gut, dafür einfach die Augen offen zu halten und das Beste daraus zu machen. Wenn man zum Beispiel ein Experiment macht und es scheitert, dann enthält dieses Experiment trotzdem immer auch eine Botschaft. Oder wenn man versucht, ein Problem zu lösen, das einem nicht aus dem Kopf geht: Dann, so finde ich, können sogar Gespräche über damit völlig unzusammenhängende Themen zur Lösung beitragen, weil sie etwa Metaphern liefern, mit denen ich dann anders über das Problem nachdenken kann. „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ heißt ein sehr lesenswerter Aufsatz von Heinrich von Kleist, der sich auch mit dieser Thematik befasst. Wenn Sie also wirklich ein Problem lösen wollen, über das Sie schon lange nachgedacht haben, dann ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann, ein Gespräch mit jemandem zu beginnen. Das kann jeder sein, auch ein Nicht-Spezialist, irgendjemand. Solch ein Gespräch hilft Ihnen – es hilft Ihnen beim Nachdenken und beim Formulieren Ihrer Gedanken.

Wie hat die Zeit in Freiburg Ihre Karriere geprägt?

Während meiner Zeit in Freiburg kam ich das erste Mal in Berührung mit exakter Forschung, mit der gesamten Idee der wissenschaftlichen Methode. Diese Erfahrungen waren definitiv eine Grundlage für meinen Zugang zu den Wissenschaften überhaupt. Aber in diese Zeit geschah auch noch etwas anderes, das indirekt dafür sorgte, dass ich mich mehr für Biologie interessierte. Ich wurde nämlich für die „Studienstiftung des deutschen Volkes“ vorgeschlagen, einfach aufgrund meiner Prüfungsleistungen. Damals war Ludwig Genzel in Freiburg mein Professor für Experimentalphysik, er hat für diese Nominierung für die Studienstiftung gesorgt. Das brachte mich dann später, als ich in München war, in Kontakt mit einem ganzen Kreis von Leuten. Und die kamen aus allen möglichen Disziplinen, eben auch aus der Biologie, aus der Neurophysiologie und so weiter. So entstand mein erster Kontakt mit der Biologie. Ich war damals wirklich fasziniert davon und habe eine Menge darüber gelernt. Eine meiner Freundschaften, die bis heute andauert, ist die mit Wolf Singer, dem Neurophysiologen. Übrigens haben wir drei, die wir 2017 den Nobelpreis erhielten, alle denselben Werdegang: Richard Henderson, Jacques Dubochet und ich begannen alle mit Physik, arbeiteten in der Biologie und erhielten 2017 gemeinsam den Preis für Chemie.

Was war Ihr Lieblingsort zum Lernen in Freiburg?

Ich erinnere mich daran, dass wir in der Mathematik eine Art Team aus vier Leuten waren, die immer zusammengearbeitet haben. Oft saßen wir in unseren winzigen Wohnungen und haben versucht, etwas für den nächsten Studientermin zu beweisen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich irgendwo etwas allein unternommen habe – in meiner Erinnerung an diese Zeit mache ich immer etwas mit anderen Menschen zusammen.

„Ich bin oft in den Schwarzwald gefahren, habe viele Ausflüge dorthin gemacht. Und für mich war sehr wichtig, dass ich in dieser Zeit den Maler Paul Klee entdeckt habe.“

Was ist Ihre schönste Erinnerung, wenn Sie an „Joachim, den Studenten“ denken?

Ich bin oft in den Schwarzwald gefahren, habe viele Ausflüge dorthin gemacht. Und für mich war sehr wichtig, dass ich in dieser Zeit den Maler Paul Klee entdeckt habe. Das war in einer kleinen Buchhandlung, dort hatten sie ungefähr 50 Postkarten von verschiedenen seiner Werke – und ich habe sie alle gekauft. Ich war sehr aufgeregt, weil ich diesen Künstler für mich entdeckt hatte, und habe die Karten alle in ein Album geklebt. Seitdem habe ich jede einzelne Ausstellung von Paul Klee besucht und viele Bücher über ihn gekauft. Deshalb ist Freiburg für mich eng mit Paul Klee verbunden, obwohl er eigentlich aus Bern kommt.

Welche Kontakte waren für Sie besonders wertvoll?

Ludwig Genzel, meinen Freiburger Professor für Experimentalphysik, habe ich vorhin schon erwähnt. Die Freiburger Zeit liegt ja schon weit zurück, aber an ihn kann ich mich noch gut erinnern. Und das Lustige daran ist, dass ich ihn später ganz zufällig wiedergetroffen habe. Das war zu meiner Zeit als Postdoc an der Cornell University. Die Abteilung für angewandte Physik veranstaltete am Freitag in der Clark Hall eine Happy Hour, mit Donuts und Kaffee und so weiter – und plötzlich stand er dort. Er war ein sehr großer Mann und fiel deshalb gleich auf. Ich habe mit ihm gesprochen und ihm erzählt, dass ich durch seinen Rat dorthin gekommen bin, wo ich jetzt bin. Ich hatte wirklich ein sehr, sehr nettes Gespräch mit ihm, das war im Jahr 1972.

„Ich muss sagen, dass die Universität Freiburg aus meiner Sicht anderen Universitäten insbesondere bei den internationalen Beziehungen voraus ist.“

Wo sehen Sie Ihre Universität Freiburg im Jahr 2030? Was für eine Zukunft wünschen Sie ihr?

Ich muss sagen, dass die Universität Freiburg aus meiner Sicht anderen Universitäten insbesondere bei den internationalen Beziehungen voraus ist. Zum Beispiel sind die Alumni-Vereinigungen im Ausland relativ neu für deutsche Universitäten, und die Universität Freiburg hat das wirklich gefördert. Ich bin in New York City angesprochen worden – in letzter Zeit habe ich es wirklich genossen, Deutsch zu sprechen und zu meinen Wurzeln zurückzukehren. Die internationalen Beziehungen der Universität Freiburg zu anderen Institutionen und ihr internationales Netzwerk können den Studierenden helfen, ihren Horizont in einer frühen Phase ihres Lebens zu erweitern. Außerdem zeigt mein Weg, Physik zu studieren, in der Biologie zu arbeiten und den Preis in der Chemie zu bekommen, dass die Idee der traditionellen Fachbereiche sich ein Stück weit auflöst. Interdisziplinäres Arbeiten könnte in Zukunft also noch notwendiger werden als heute schon. Außerdem denke ich, dass der zwischenmenschliche Kontakt von besonderer Bedeutung für die Lehre ist und der wichtigste Bestandteil des Studiums bleiben sollte. Was ich aus meiner Studienzeit in Erinnerung habe, was mich besonders beeindruckt hat, waren diese großen Spektakel – wenn man als Physiker ausgebildet wird, erlebt man in der Experimentalphysik diese großen Demonstrationen von Effekten. Und das bringt mich wieder zu Ludwig Genzel, meinem Lehrer in der Experimentalphysik. Er ließ zum Beispiel einen Assistenten in einen Faradayschen Käfig klettern, der mit 1000 Volt geladen war. Und ich erinnere mit an ein Experiment mit einem riesigen Fass, gefüllt mit Rauch. Das war sehr aufregend und beeindruckend.

Joachim Franks Buchtipps

Heinrich von Kleist:
Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden, Gutenberg Projet

Gedanken von Joachim Frank dazu:
https://franxfiction.com/on-the-gradual-fabrication-of-thoughts-during-speech/

Simon Winchester: 
Knowing what we know, Harper Collins 2023.
The Professor and the Madman, Harper Cllins 2009.
Krakatoa, Harper Perennial 2013.

Joachim Franks Lieblingsort in New York City

Ich habe so viele Lieblingsplätze, aber es gibt einen ganz besonderen Platz im Central Park in der Nähe des großen Brunnens. Wenn man die Treppe hinuntergeht, sieht man ein riesiges Panorama mit einem See, Booten, einem Bootshaus und einem großen Springbrunnen. Wohin das Auge auch wandert, es gibt so viele interessante Dinge zu sehen. Das Panorama ist einzigartig. Und die Stimmung ist immer fröhlich. Manche dort machen diese riesige Seifenblasen. Es finden Hochzeiten statt. Und manchmal tritt in der  Unterführung dort ein Sopranquartett auf.