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Weniger Macht, mehr Mitspracherecht

Neu organisierte Fakultäten könnten Doktoranden eine bessere Betreuung bieten

Freiburg, 12.06.2019

In der Theorie ist es einfach: Wer eine gute Dissertation schreiben will, ist auf gute Doktormütter und Doktorväter angewiesen. Aber was bedeutet das in der Praxis? Am 5. Juli 2019 veranstalten die Freiburg Research Services der Albert-Ludwigs-Universität den Thementag „Gut Betreuen und Führen in der Wissenschaft“ für Promovierende und Postdocs – ein Anlass, diese Frage mit zwei Teilnehmern des Eröffnungspanels zu diskutieren: Tony Franzky, Sprecher des Gemeinsamen Arbeitsausschusses der Doktorandinnen- und Doktorandenkonvente (GAA), und Dr. Andreas Hartmann, Juniorprofessor für Hydrologie an der Universität Freiburg, haben mit Jürgen Reuß gesprochen.

Foto: Marco2811/stock.adobe.com

Herr Franzky, Herr Hartmann, in Deutschland promovieren so viele Menschen wie in kaum einem anderen Land. Spricht das nicht dafür, dass es an den Universitäten bestens läuft?

Tony Franzky: Mal abgesehen davon, wie die Dinge laufen, ist es in fast allen Arbeitsbereichen üblich, Führungskräfte adäquat zu coachen, um sie auf ihre Aufgaben vorzubereiten. Da hat die Universität für sich einen Nachholbedarf entdeckt. Und da Sie gerade quantitativ argumentieren: Das Land hat den baden-württembergischen Universitäten den Auftrag gegeben, die Zahl ihrer Doktorandinnen und Doktoranden zu erheben – diese Informationen lagen bisher nicht vor. In Freiburg sind es knapp 4.700 Promovierende.

Andreas Hartmann: Und was die Beurteilung der Qualität angeht, fehlt noch eine andere Zahl: die der Doktorandinnen und Doktoranden, die ihre Promotion abbrechen. Offizielle Erhebungen gibt es nicht, aber bundesweit wird allgemein von einer Quote von bis zu 50 Prozent ausgegangen. Meiner Meinung nach kann man diese Abbruchquote mit guten Betreuerinnen und Betreuern deutlich reduzieren.

Kann es nicht einfach an den Promovierenden selbst liegen?

Andreas Hartmann: Manche können ihr Thema problemlos selbstständig zum Abschluss bringen. Andere kommen auch mit Unterstützung überhaupt nicht zurecht. Etwa 80 bis 90 Prozent der Promovierenden jedoch befinden sich irgendwo dazwischen. Die schaffen ihre Dissertation, wenn sie eine gute Betreuung bekommen.

Tony Franzky: Für Doktoranden ist es wichtig, sich über das Ziel ihrer Arbeit klar zu werden: Wie sehe ich meine eigene Rolle, und welche Erwartungen habe ich an meine Betreuerinnen und Betreuer? Worauf wird es ankommen, wenn ich meinen Doktor habe?

Andreas Hartmann: Dazu muss man wissen, dass von den Promovierten nur ein kleiner Prozentsatz in der Wissenschaft bleibt. Fünf Prozent schaffen es bis zu einer Professur, einen Mittelbau gibt es kaum noch. Der Rest verlässt die Wissenschaft oder geht ins Ausland. Wir sind in Bezug auf promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Exportweltmeister. Wir müssen unsere Promovierenden auf diese Bedingungen vorbereiten, damit sie ihre Zukunft realistisch planen können.

Was kann man verbessern?

Andreas Hartmann: Idealerweise sollte ein Betreuer nur so viele Doktoranden annehmen, wie er gewissenhaft betreuen kann. Man muss drauf achten, dass sich ein Vertrauensverhältnis entwickeln kann, wozu ein gewisses Maß an Mindestkontakt gehört.

Sie plädieren für ein engeres Verhältnis zwischen Doktoranden und Doktoreltern?

Tony Franzky: Es geht nicht nur um fachliches, sondern auch um menschliches Reifen. Das lässt sich nicht herstellen, wenn ich meine Mentorin oder meinen Mentor nur am Anfang bei der Themenfestlegung und am Ende bei der Abgabe sehe und die dazwischen liegenden drei Jahre so gut wie gar nicht.

Andreas Hartmann: Wir haben auch ein strukturelles Problem: Der Doktorvater ist nicht nur der Betreuer, er benotet auch das Ergebnis und ist nicht selten auch noch der Arbeitgeber seiner Doktoranden. Daraus können Interessenskonflikte entstehen.


Die fachliche und menschliche Reife fördern: Tony Franzky (links) und Andreas Hartmann plädieren für einen engeren Austausch zwischen Doktoranden und ihren Betreuern. Foto: Jürgen Gocke

Was wäre die Alternative?

Andreas Hartmann: In England zum Beispiel übernimmt ein separates Gremium die Benotung der Arbeit. Diese Entkoppelung würde ich mir auch für deutsche Universitäten wünschen. Außerdem dürfen Postdocs dort schon nach einem Jahr oder zwei Jahren selbst Doktoranden betreuen.

Tun sie das hier nicht auch schon?

Andreas Hartmann: Ja, aber sie dürfen es nicht offiziell. Das ist konfliktträchtig: Ein Betreuer kann seinen Job sehr gut machen, doch am Ende vergibt der Professor eine schlechte Note für die Dissertation. Das ist ein ungutes Machtgefälle. Dazu kommt ein strukturelles Problem: Als junger Professor können Sie die ersten fünf bis zehn Jahre noch gut betreuen. Sind Sie länger an der Fakultät, steigen die administrativen Aufgaben, und die eigene Involvierung in die Forschung nimmt oft ab. Idealerweise wird in einem solchen Fall die Betreuung mit Postdocs, die mehr in der Forschung involviert sind, geteilt. Geschieht das nicht, steigt das Risiko für hohe Abbruchquoten, ewig lange Promotionszeiten und Doktorarbeiten, die nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung sind.

Klingt, als stünde ein Umbau der gesamten Universitätslandschaft an.

Tony Franzky: Strukturen lassen sich nicht von heute auf morgen ändern. Aber wir können zumindest Impulse geben. Die Internationale Graduiertenakademie der Universität hat den GAA zum Beispiel eingeladen, Ideen und Impulse für den „Kompass für gute Betreuung“ zu liefern. Wir haben versucht, die Hürden, auf die Doktoranden im Laufe ihrer Promotion stoßen, aufzulisten und Verbesserungen zu empfehlen.

Welche zum Beispiel?

Tony Franzky: Um etwa die erwähnte Abhängigkeit in geregeltere Verhältnisse zu überführen, gibt es inzwischen die verpflichtende Betreuungsvereinbarung, die das Binnenverhältnis zwischen Betreuten und Betreuenden regelt. Beide Seiten formulieren gleich zu Beginn genau, was sie voneinander erwarten und wie man dem am besten gerecht werden kann.

Andreas Hartmann: Auch anderswo tut sich etwas. So hat die Junge Akademie im Förderprogramm zur Einrichtung von einem Tausend neuer Juniorprofessuren nachdrücklich für eine Departementalisierung der Fakultäten votiert. Dahinter steht der Gedanke, die Machtfülle der einzelnen Professur aufzubrechen und die Aufgaben innerhalb der Fakultät auf mehrere kleine Professuren zu verteilen. Somit können Verwaltungsaufgaben auf mehrere Personen verteilt werden, und man hat die Chance, weiter aktiv an der Forschung teilzunehmen.

Ist das realistisch?

Andreas Hartmann: Bei schon lange bestehenden Professuren ist der Schritt zu einer völlig neuen Struktur eher unwahrscheinlich. Faktisch haben sich viele Inhaberinnen und Inhaber von Professuren auf die Fülle der administrativen Aufgaben eingestellt – und die Chance, wieder in die aktive Forschung zurückzukehren, verringert sich, je länger man sich in dieser Situation befindet.

Sie hoffen auf die Evolution?

Tony Franzky: Eine Generation von Doktoranden reicht dafür bestimmt nicht aus. Aber es gibt Schritte in die richtige Richtung. So hat die letztjährige Landeshochschulgesetzesnovelle festgelegt, dass Doktoranden bei den nächsten Universitätswahlen drei Vertreterinnen und Vertreter im Senat und ein bis zwei Vertreter im Fakultätsrat bekommen werden – mit Stimmrecht. Damit ist Baden-Württemberg deutschlandweit in einer Vorreiterrolle.

Andreas Hartmann: Auch in der Lehre hat sich Einiges getan. Bei Bewerbungen muss jeder Professor ein Lehrkompetenzportfolio einreichen, das ähnlich hohe Bedeutung wie das Forschungsportfolio hat. Als nächstes könnte man den Aufbau von Betreuungskompetenz in die Zielvereinbarung bei der Vergabe einer Professur integrieren. Bei allem strukturellen Änderungsbedarf sollte man aber doch bedenken, dass es nicht das eine wahre Modell gibt. Gute Betreuung ist ein individueller Prozess.