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Sagen, was Sache ist

Der Europahistoriker Wolfgang Reinhard berichtet in der Reihe „Erzählte Erfahrung“ über ein halbes Jahrhundert als Forscher und Hochschullehrer

Freiburg, 01.02.2018

Sagen, was Sache ist

Foto: Klaus Polkowski

Sein gesamtes berufliches Leben – mehr als fünf Jahrzehnte – widmete er der europäischen Geschichte und ist in Debatten nie um ein kritisches Wort verlegen: Der Freiburger Historiker Wolfgang Reinhard ist seit 2002 emeritiert, aber der Forschung treu geblieben. 2016 erschien sein hoch gelobtes Werk über 600 Jahre europäische Expansion. Am 8. Februar 2018 wird Reinhard  in der Reihe „Erzählte Erfahrung“ über seine Erinnerungen als Forscher und Hochschullehrer berichten. Die Lust an der Diskussion ist ihm nicht abhandengekommen.


Als Europahistoriker beschäftigt sich Wolfgang Reinhard mit langen Zeiträumen und großen Zusammenhängen.Foto: Klaus Polkowski

„Können wir am Samstag noch eine zusätzliche Sitzung abhalten?“ Der Historiker Wolfgang Reinhard, 1990 gerade von Augsburg an die Albert-Ludwigs-Universität gewechselt, glaubte sich verhört zu haben. „Das war ein Schlüsselmoment“, erinnert er sich. „Ich hatte mich daran gewöhnt, dass für Studierende das Wochenende donnerstags beginnt.“ Anders in Freiburg: „An dem Samstag erschienen fast alle Studierenden, und wir haben vier Stunden wie wild diskutiert. Das war eine schöne neue Welt.“ Schließlich gehört das Diskutieren zum Handwerkzeug eines Historikers. In Freiburg stieß Reinhard auf Gleichgesinnte.

Wolfgang Reinhard, Jahrgang 1937, studierte in Freiburg und Heidelberg Geschichte, Anglistik und Geographie und wurde später in Freiburg promoviert; 1973 legte er dort seine Habilitation vor. 1977 folgte er dem Ruf an die Universität Augsburg. Nach dem Wechsel von Augsburg in sein altes Revier in Südbaden hatte er schließlich bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2002 die Professur für Neuere Geschichte inne. Der Wissenschaft ist Reinhard bis heute treu geblieben. Einen großen Teil seines Wohnzimmers nehmen Geschichtsbücher ein. Ein Werk, das in den Bibliotheken vieler anderer Historikerinnen und Historiker zu finden sein dürfte, ist Reinhards 2016 erschienenes Buch „Die Unterwerfung der Welt“. Die breitangelegte Studie liefert einen Überblick der europäischen Expansion von 1415 bis 2015 – ein zentrales Thema in Reinhards Arbeit, sozusagen sein berufliches Lebenswerk.

Großes Medienecho

Das Medienecho auf den knapp 1.700 Seiten starken Wälzer war enorm – in den Besprechungen vielen oft die Wörter „Standardwerk“ und „Pflichtlektüre“. Dabei wundert sich Reinhard ein wenig über das heutige Interesse für die Geschichte der europäischen Expansion. Als er in den 1980er Jahren eine vierbändige Studie dazu veröffentlichte, „haben sich die Leute nicht gerade darum gerissen“, erzählt er. „In den 1970er und 1980er Jahren galt die Beschäftigung mit der europäischen Geschichte bei vielen als eine gehobene Art des Selbstmords.“ Für potenzielle Arbeitgeber etwa war eine Beschäftigung mit einem nicht-deutschen Thema nicht eben attraktiv. Das hat sich geändert, die Geschichtswissenschaft nimmt inzwischen größere Zusammenhänge und Räume in den Blick. „Einiges konnte ich vielleicht dazu beitragen“, sagt Reinhard.

Doch der Historiker begrüßt nicht alle aktuellen Entwicklungen: Seit der Bologna-Reform sei das Studienprogramm sehr straff organisiert. „Ich frage mich, ob Studierende noch Zeit haben, anderes als Pflichtstoff zu lesen.“ Auch in der Lehre habe sich viel verändert und bewährte Methoden seien nicht mehr umsetzbar. Was den zunehmenden Einfluss der Technik angeht, glaubt Reinhard, dass nicht alles Neue gut sein müsse. In jedem Fall sei ein starker Wandel zu spüren. „In den vergangenen zehn oder 15 Jahren hat sich hier mehr verändert als in den 200 Jahren Universitätsgeschichte zuvor.“

Vom Sinn des Unsinns

An seine Zeit in Freiburg erinnert sich Reinhard als eine meist positive. Vor allem die aktive Arbeit an der Universität gefiel ihm. „Ich habe immer lieber geforscht und gelehrt als verwaltet“, sagt er schmunzelnd. Auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen habe hier gut funktioniert. Konkurrierte man in Augsburg darum, ein bestimmtes Forschungsthema zu bearbeiten, empfand der Wissenschaftler die Situation in Freiburg als deutlich entspannter.

Als Historiker ist es Reinhard gewohnt, sich mit langen Zeiträumen und großen Zusammenhängen zu befassen. Das gilt vielleicht auch für seinen anstehenden Vortrag – allerdings eine Nummer kleiner. Schließlich werden seine eigenen Erinnerungen und Erfahrungen im Mittelpunkt stehen. Doch kritische Impulse will Reinhard ebenfalls geben. Nicht zuletzt deshalb trägt der Vortrag den Titel „Vom Sinn des Unsinns“. Zudem wird er auf Forschung und Lehre und damit verbunden auch auf Erfolge und Scheitern eingehen. „Ich freue mich über die Möglichkeit, der Universität in meinem 81. Lebensjahr noch einmal sagen zu können, was Sache ist.“

Pascal Lienhard

 

Erzählte Erfahrung

Wolfgang Reinhard hält den Vortrag „Vom Sinn des Unsinns. Ein zweiter Versuch“ am 8. Februar 2018 ab 20.15 Uhr im Hörsaal 1098, Kollegiengebäude I. Der Eintritt ist kostenlos, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

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