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Nachts auf dem Campus

Auf Patrouille mit dem letzten Nachtwächter der Universität Freiburg – und seinem Hund

Freiburg, 31.05.2017

Nachts auf dem Campus

Foto: Klaus Polkowski

Alfred Schneider arbeitet, wenn andere schlafen: Er ist der letzte festangestellt Nachtwächter der Universität Freiburg. Jede Nacht durchstreift Schneider mit seinem Hund Attila den Campus der Technischen Fakultät. Die beiden sind ein eingespieltes Team.

Seit 27 Jahren im Dienst: Wenn Alfred Schneider im Januar 2018 in Rente geht, darf sich auch sein Hund Attila zur Ruhe setzen.
Foto: Klaus Polkowski

Besonders groß ist Attila nicht. Aber breit. Und wenn er rennt, dann wummert es unter ihm vor lauter Masse. Das macht Angst, vor allem, wenn sich der breitschädelige Kampfhund in großen Sätzen auf einen zubewegt – da kann die Hundemarke an seinem Halsband noch so harmlos klimpern. Attila gehört Alfred Schneider, dem letzten fest angestellten Nachtwächter der Albert-Ludwigs-Universität. Sechsmal pro Woche sind die beiden nachts zusammen auf dem Areal der Technischen Fakultät am Flugplatz unterwegs. Attila zählt zu Schneiders Arbeitsausstattung. Was sein Lebensunterhalt kostet, kann Schneider sogar von der Steuer absetzen.

Schneiders Nachtschicht beginnt immer abends um halb zehn. In einigen Häusern auf dem Campus brennt noch Licht. Auf dem Flur in Haus Nummer 51, in dem auch die Hausmeisterbude untergebracht ist, sind Stimmen zu hören. Attilas Ohren sind aufgestellt. Er wirkt nervös, weicht seinem Herrchen aber nicht von der Seite. „Der Hund läuft nur los, wenn ich es ihm sage", erklärt Schneider. Auf die Frage, ob er denn während einer Nachtschicht schon mal „Los, Attila, lauf!" habe sagen müssen, kommt ein gemütliches Lachen. „Schon einige Male. Und Attila hat sie alle bekommen." Sprayer, Diebe, Randalierer. Neulich hätten ein paar Jugendliche an einem der Gebäude ein paar Scheiben eingeschlagen. „Die waren betrunken oder bekifft, und da habe ich den Hund rennen lassen." In so einem Fall packt Attila auch zu. Den Rest erledigt dann die Polizei.

Wenn Alfred Schneider und Attila nicht auf dem Campus unterwegs sind, machen sie es sich in der Hausmeisterbude bequem.
Foto: Klaus Polkowski

In der Regel seien die Nächte auf dem Campus aber ruhig. Dreimal pro Nacht dreht Schneider zusammen mit Attila und einem Wachmann des Sicherheitsdienstes CDS eine Runde übers Gelände. Über die Jahre hat die Universität ihr Sicherungskonzept geändert. „Mit Wachmännern allein konnte man den gestiegenen Anforderungen hier nicht mehr gerecht werden", sagt Edgar Preuß, Leiter des Infrastrukturellen Gebäudemanagements an der Universität. Es habe immer mehr Störungen durch Punks, Obdachlose und andere Personengruppen gegeben. Also habe man einen externen Sicherheitsdienst beauftragt und die Stellen in Rente gegangener fest angestellter Wachmänner nicht neu besetzt.

Unberechenbar für Einbrecher

Gegen 23 Uhr zieht Schneider zum ersten Mal den Reißverschluss seines Anoraks hoch. Der Kragen wird hochgeklappt, den Schlüsselbund trägt er in der Hand – zu viele Schlüssel für eine Hosentasche. Jeder Rundgang ist anders. Mal geht es zuerst rüber zu den großen Klötzen an der Georges-Köhler-Allee, mal beginnen die Nachtwächter bei den alten Kasernengebäuden. Schließlich wolle man für Einbrecher möglichst unberechenbar bleiben, erklärt Schneider. Oben der Mond. Attila läuft ohne Leine und immer ein paar Meter voraus, schaut, dreht den Kopf und rennt zu Schneider zurück. Der lobt ihn. Bei ihren Rundgängen kommen Nacht für Nacht einige Kilometer zusammen.

Während die beiden Nachtwächter mit Attila über das Gelände laufen, rütteln sie an Fenstern und Türen, um zu prüfen, ob irgendwo etwas offen steht. In die Mensa gehen sie kurz hinein. Auf der Treppe steht ein Aluschälchen mit Katzenfutter. Attila schnuppert daran, und Schneider berichtet, dass auf dem Campus auch eine Katze wohne, die Garfield heiße. „Die Studis füttern sie und haben ihr sogar eine Website eingerichtet." Im Erdgeschoss der Mensa stehen Getränke- und Snackautomaten. Dort sei es mal eine Zeit lang unruhig zugegangen. Immer wieder seien Leute eingestiegen und hätten die Automaten geplündert.

Rund um die Uhr zusammen

Schneider arbeitet seit 27 Jahren für die Universität Freiburg. Als er anfing, war er einer von elf Nachtwächtern und hat vor allem im Institutsviertel Wache geschoben. An seine zweite Nacht dort kann er sich noch gut erinnern. Er sei mit einem Kollegen im Bereich D unterwegs gewesen und habe unter einer Tür Licht gesehen. „Also sind wir hinein. Und da lagen tote Menschen." Dass im Bereich D auch die Anatomie der Medizinischen Fakultät liegt, wusste Schneider damals nicht. Der Schreck saß ihm noch in den Gliedern, als er seiner Frau beim Frühstück davon erzählte. „Da bleibe ich nicht lange, habe ich zu ihr gesagt." Doch Schneider ist geblieben.

Fast 14 Jahre war er im Institutsviertel als Nachtwächter unterwegs, dann wurde er, kaum dass die Technische Fakultät am Flugplatz gebaut war, dorthin versetzt. Ihm gefällt's. Und Angst hat er auch keine mehr. „Ich habe ja den Hund", sagt er und schaut hinunter zu Attila. Attila schaut herauf. Die beiden sind ein Team und rund um die Uhr zusammen. Wenn er morgens nach Hause komme, versorge er erst einmal den Hund, erzählt Schneider, und lege sich dann selbst ins Bett. Gegen Mittag stehen beide auf, essen etwas und legen sich am späten Nachmittag noch einmal für ein, zwei Stündchen aufs Ohr.

Arbeiten, wenn andere schlafen. Ob das nicht einsam ist? Schneider schüttelt den Kopf und nickt dann zu Attila hinüber. Und einer vom CDS sei ja auch fast jede Nacht dabei. Wenn sie nicht draußen auf dem Gelände unterwegs sind, machen die Nachtwächter es sich in der Hausmeisterbude bequem. Dann wird zwischen dickblättrigen Zimmerpflanzen und Regalen mit Aktenordnern gevespert, gelesen und gequatscht. Attila macht es sich zu Schneiders Füßen gemütlich und entspannt sich etwas, bleibt aber wach. So bekomme man die Zeit gut herum, findet der Nachtwächter.

Schneider gibt allerdings zu, dass das Nächtedurchmachen auch seine Nachteile hat. Seine Kinder hätten nicht viel von ihrem Vater gehabt. Außerdem gehe ihm die Nachtschicht allmählich körperlich an die Substanz, schließlich sei er mit seinen 60 Jahren nicht mehr der Jüngste. Drei Stents hat er sich schon setzen lassen müssen. Und kurz nach Weihnachten hatte er einen Herzinfarkt. Schneider zuckt beim Erzählen mit den Schultern, als wäre all das nicht der Rede wert. „Ist halt so." Im Januar 2018 geht er in Rente. Dann ist Schluss mit den Nachtwachen. Auch für Attila.

Stephanie Streif