Leben in Längenloh
Freiburg, 17.03.2017
Längenloh – das klingt nach schwedischer Blockhausidylle, knorrigen Obstbäumen und hüfthohem Gras. Wie Bullerbü oder Lönneberga könnte es eines von Astrid Lindgrens Kinderparadiesen sein. Ist es aber nicht. Längenloh Nord ist eine Wohnanlage am Rande des Gewerbegebiets und die einzige Flüchtlingsunterkunft in Freiburg, in der auch Studierende wohnen dürfen.
Längenloh ist ein Modellprojekt. Das Studierendenwerk Freiburg-Schwarzwald und der Helferkreis Zähringen sind Kooperationspartner. Integration, so die Idee hinter dem Vorhaben, fängt beim Wohnen an, denn Containerdörfer, in denen Geflüchtete an der Peripherie der Gesellschaft leben, gibt es schon mehr als genug. „Längenloh soll zeigen, dass es auch anders geht", sagt Renate Heyberger, stellvertretende Geschäftsführerin des Studierendenwerks. Vergangenen August sind 150 Geflüchtete in die Wohnblocks eingezogen, darunter viele Kinder.
Bunte Bastelstunde: Jede Woche steht ein Spielenachmittag auf dem Programm. Foto: Ingeborg Lehmann
Die 72 Studierenden, die in zwei der sieben Blocks untergebracht sind, kamen kurz vor Semesterstart Mitte Oktober 2016 dazu. Ursprünglich sollte das Sozialprojekt mit dem Wintersemester enden. Im Januar 2017 hat die Stadtverwaltung den Studierenden noch ein weiteres Semester zugestanden. Danach soll allerdings Schluss sein. Der Grund: Neue Bestimmungen schreiben vor, dass Baden-Württemberg seinen Flüchtlingen künftig etwa sieben Quadratmeter mehr Wohnfläche je Person zugestehen muss.
Zufällig und geplant
In der riesigen Wohnküche im ersten Stock von Haus Nummer Zwei herrscht studentische Gemütlichkeit. Neben der Spüle stapelt sich das Geschirr. An einer Wand steht ein Sofa, auf dem vier junge Frauen sitzen, eine mit angezogenen Beinen. Ist wärmer so. Zwei weitere sitzen am Küchentisch. Sie erzählen, wie froh sie sind, dass sie erst einmal in Längenloh bleiben dürfen. „Uns gefällt es hier", sagen sie. Angst vor Flüchtlingen? „Nie gehabt." Statt nebeneinanderher lebe man hier miteinander, so Nina Allard. Die anderen nicken und berichten von Partys, die man hier mit den neuen Nachbarinnen und Nachbarn feiere, zum Einzug, zu Nikolaus oder einfach nur so. „Na, und dann das gemeinsame Plätzchenbacken mit den Kindern", wirft Chiara Möser ein. Plötzlich hätten sechs Kinder in der Küche gestanden, die erst helfen wollten, dann aber doch lieber abgespült hätten. Dass das Spülwasser danach nicht nur im Becken, sondern auch auf dem Boden der WG-Küche gewesen sei, habe keinen gekümmert. Viel Miteinander zwischen Studierenden und Geflüchteten passiert in Längenloh zufällig. Zum Beispiel, wenn man auf dem Weg zur Straßenbahn miteinander ins Gespräch komme oder spontan von einer Flüchtlingsfamilie zum Abendessen eingeladen werde, berichtet Allard. Nach der Plätzchenbackaktion sei das so gewesen. „Eigentlich wollten wir die Kinder nur nach Hause begleiten, und schon saßen wir bei der Familie am Tisch und bekamen ein leckeres Essen vorgesetzt." Schön sei das gewesen. „So offen, so spontan." Aber nicht jede Begegnung wird in Längenloh dem Zufall überlassen. Soziales Engagement ist Teil des Projekts. Studierende geben Sprachunterricht und Handarbeitskurse, erledigen mit den Geflüchteten Behördengänge oder organisieren für die Kinder der Wohnanlage Spielenachmittage. Weiter gibt es eine Garten-, eine Fußball-, eine Trommelgruppe und – was in Freiburg natürlich nicht fehlen darf – eine Fahrradwerkstatt. Die meisten Projekte in Längenloh hat der Zähringer Helferkreis geplant und angeschoben. Und die Studierenden tun mit – manche, weil sie sich dazu verpflichtet haben, andere, weil sie gerade Zeit und Lust haben.
Studentische Gemütlichkeit: Die WG aus Haus Nummer Zwei hat sich in der Küche versammelt. Foto: Ingeborg Lehmann
Chiara Möser zum Beispiel organisiert als eine von fünf Tutorinnen die Kinderbetreuung und hat sich mit dem Einzug verpflichtet, 20 Stunden im Monat die Ehrenamtlichen zu koordinieren. Dafür erhält sie ein Honorar vom Studierendenwerk. Sie sei auch schon vor ihrer Ankunft in Freiburg in der Flüchtlingshilfe aktiv gewesen, sagt sie. Jana Zickler auch. Als sie sich noch von Bonn aus auf Wohnungssuche in Freiburg gemacht habe, sei sie im Internet über Längenloh gestolpert.
Ihr erster Gedanke: „Das ist es, das will ich." Also bewarb sie sich um einen Wohnheimplatz. 25 der insgesamt 72 Studierenden wurden als Ehrenamtliche in einem gesonderten Verfahren ausgewählt. Mehr als 400 Bewerbungen seien eingegangen, erinnert sich Gernot Kist vom Studierendenwerk. Ausgewählt wurden Studierende, die über Erfahrungen in der Flüchtlingshilfe oder in anderen ehrenamtlichen Tätigkeiten verfügen. „Wir haben aber auch Studierende berücksichtigt, die sehr gut begründen konnten, warum sie ausgerechnet nach Längenloh wollten", führt Kist aus.
Auszug im Sommer
Die Arbeit der studentischen Ehrenamtlichen koordinieren die Tutorinnen und Tutoren. Treffen mit dem Studierendenwerk, dem Helferkreis, der Stadtverwaltung und dem Sozialdienst vor Ort, der Caritas, gibt es obendrein. Längst engagieren sich in Längenloh auch Studierende, die eigentlich gar nicht müssten. Wie Jessi Nicholson. Ihr Wohnheimplatz ist an kein Ehrenamt gekoppelt. Trotzdem hilft sie mit – mal beim Deutschkurs für Mütter und Kinder, mal beim Spielmobil, das jeden zweiten Mittwoch aufs Gelände kommt. Die Trennung zwischen denen mit und denen ohne Ehrenamt existiere so nicht mehr, bestätigt Möser. „Das macht die räumliche Nähe."
Fragt sich, was wird, wenn die Studierenden nach dem Sommersemester 2017 ausziehen müssen. Möser glaubt, dass sie dann nicht mehr oft nach Längenloh kommen wird, schon der Lage wegen, immerhin sei das hier Stadtrand. Umsonst war trotzdem nichts. Alle Ehrenamtlichen haben nach Auslaufen des Längenloh-Projekts einen Platz in einem Studierendenwohnheim sicher. Auch das ist Teil ihres Vertrags. Außerdem denkt die Stadt Freiburg bei der Planung einer neuen Flüchtlingsunterkunft jetzt auch studentisches Wohnen mit. Längenloh sei Dank.
Stephanie Streif