Kleines ganz groß
Freiburg, 18.10.2019
Am „Maus-Türöffner-Tag“ am 3. Oktober 2019 besuchten Kinder das Life Imaging Center (LIC) der Universität Freiburg – und sahen Wasserflöhe und Kaulquappen, Zebrafische und menschliche Zellen unter modernen Lichtmikroskopen, die sie auch selbst bedienen durften. Das Interesse war groß, der Aufwand auch.
Die Doktorandin Zazie Pfeiffer zeigt Frederik, wie er ein Foto von Zellen machen kann.
Foto: Patrick Seeger
„Ich sehe Sterne“, sagt Elisabeth und lässt Frederik durch das Mikroskop schauen. „Ich auch“, ruft der, „ziemlich große Sterne!“ Frederik und Elisabeth sind beide acht Jahre alt. Sie tragen weiße Kittel, wie es sich für ein Labor gehört. Vor ihnen steht ein klassisches Stereo-Mikroskop, das Gegenstände maximal um das Zehnfache vergrößert. Unter dem Objektiv liegt eine Zehn-Cent-Münze. „Wir haben zum Üben erst mal etwas genommen, das nicht wegrennen kann“, erklärt Tobias Dürr. Frederik dreht an einem schwarzen Knopf seitlich am Mikroskop, bis er einige der Sterne, die auf der Münze das Brandenburger Tor umgeben, ganz scharf sehen kann.
Tobias Dürr schreibt eine Doktorarbeit in bioorganischer Chemie; heute ist er Helfer beim „Maus-Türöffner-Tag“ und zeigt, was man mit den vielen Mikroskopen des LIC so alles machen kann. Beim Türöffner-Tag können Fans der „Sendung mit der Maus“ überall in Deutschland hinter Türen schauen, die sonst verschlossen sind, und so zum Beispiel Handwerksbetriebe und Theater, Bauernhöfe und Rathäuser kennen lernen – und eben auch wissenschaftliche Labore wie das Freiburger LIC.
Wasserflöhe als Qualitätsgaranten
Unter dem Mikroskop steht jetzt ein Schälchen mit Teichwasser. Es stammt aus dem Botanischen Garten der Universität, der gleich vor den Laborfenstern liegt. „Sieht aus wie Staubkörnchen, aber ich kann‘s nicht richtig erkennen“, sagt Frederik und dreht an den Knöpfen, um Schärfe und Vergrößerung einzustellen. Die Punkte bewegen sich hin und her. Jetzt sehe es aus, als hätten sie Beinchen, sagt Frederik. Tobias Dürr erklärt, dass es sich um Wasserflöhe handelt. „An ihnen kann man erkennen, dass die Wasserqualität gut ist“, sagt er.
Das LIC gehört zum Zentrum für Biosystemanalyse und ist eine zentrale Einrichtung der Universität Freiburg. „Wir bieten die ganze Vielfalt der Lichtmikroskopie“, erklärt LIC-Leiter Dr. Roland Nitschke. Untersucht werden vor allem tierische, pflanzliche und auch menschliche Zellen. Das Life Imaging Center stehe allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität offen: „Die meisten kommen aus den Fakultäten für Biologie und Medizin und der Universitätsklinik, aber auch aus der Technischen Fakultät, der Chemie und den Umweltwissenschaften.“ Als das LIC 2001 gegründet wurde, war es erst die dritte zentrale Licht-Mikroskopie-Einrichtung in Deutschland.
„Wir lernen Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler an, machen experimentelle Pilotprojekte, helfen auch bei Publikationen“, sagt Nitschke. Ein Schwerpunkt liege auf der wissenschaftlichen Auswertung der mit den Hightech-Mikroskopen gemachten Bilder, bei der auch spezielle Software zum Einsatz komme. Den Gesamtwert der Geräte in seiner Einrichtung schätzt Nitschke auf acht bis zehn Millionen Euro. 2016 hat er die Microscopy and Image Analysis Platform (MIAP) gegründet, ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördertes Netzwerk von Einrichtungen für Licht- und Elektronenmikroskopie in Freiburg, Basel, Mulhouse und Strasbourg.
Elisabeth und Roland Nitschke betrachten ein Zebrafischen unter dem Mikroskop.
Foto: Patrick Seeger
Fisch in Gelatine
Jetzt steht Nitschke vor einem Weitfeld-Mikroskop und zeigt Elisabeth ein Zebrafischchen. Sie steht auf einem roten Plastikhocker und schaut konzentriert in die Linsen. „Der Knubbel bei sechs Uhr ist der Kopf“, sagt Nitschke. Dann drückt er einen Schalter – und dank der im Mikroskop eingebauten Kamera erscheint der Fisch auf einem Computerbildschirm vor ihnen. Er ist zwar eigentlich nur etwa zwei Millimeter groß und durchsichtig, aber jetzt füllt sein Bild fast den ganzen Monitor.
Der kleine Fisch lebt, aber er liegt in einem Tropfen aus einer Art Gelatine, sodass er nicht wegschwimmen kann. Mit einem Steuerungshebel kann Nitschke den Objektträger mit dem Zebrafisch unter dem Mikroskop langsam hin und her bewegen – und so auch den Ausschnitt wählen, den er mit Elisabeth auf dem Bildschirm anschaut. „Was sich hier relativ schnell bewegt, ist das Herz“, erklärt er und verändert die Vergrößerung, jetzt ist nur noch ein Teil des Schwanzes zu sehen: „Die Linie hier ist ein Blutgefäß, und die Punkte, die sich darin bewegen, sind die einzelnen Blutkörperchen.“
Das Interesse am Türöffner-Tag sei groß gewesen, erzählt Nitschke später. Sechs Gruppen führen seine Kolleginnen und Kollegen den Tag über durch das LIC, jeweils acht Kinder, damit auch alle an die Geräte können, die Eltern bekommen während des einstündigen Besuchs eine Führung durch das LIC. „Die 48 Plätze waren schon vier Wochen vorher ausgebucht“, sagt Nitschke, „wir hätten auch 100 Anmeldungen kriegen können.“ Er freut sich, dass das LIC der Öffentlichkeit seine Arbeit präsentieren kann.
Allerdings sei auch der Aufwand groß – nicht nur, weil freiwillige Helferinnen und Helfer für die Aktion am Feiertag gefunden werden mussten. Auch die Sicherheitseinstufungen machten Arbeit: „Eigentlich sind alle unsere Laborräume in der Stufe S2; das bedeutet, der Zugang ist beschränkt.“ Gemeinsam mit der Universität und dem für biologische Sicherheit zuständigen Regierungspräsidium Tübingen fand sich ein Weg, einzelne Räume auf S1 herunterzustufen. „Wir mussten aber genau absprechen, was wir machen, und dafür sorgen, dass die Kinder alle einen Kittel anziehen.“
Grünes Geflecht auf dem Monitor
Während Elisabeth das Zebrafischchen betrachtet, arbeitet Frederik an einem anderen Mikroskop daneben. Um den Objektträger ist ein Kästchen aus Plexiglas gebaut – darin lassen sich lebende Zellen oder Mikroorganismen warm halten. Eben hat sich Frederik das Auge eine Kaulquappe näher angesehen, jetzt liegen menschliche Zellen unter dem Mikroskop. Zazie Pfeiffer, die ihre Doktorarbeit in Medizin schreibt, zeigt ihm, wie er ein Foto der Zellen machen kann, das dann auf dem Computerbildschirm erscheint. „Wo genau sind eigentlich die Kameras an dem Mikroskop?“, fragt er. Pfeiffer zeigt sie ihm, und auch, welche Wege das Licht im Gerät nimmt. Die Zellen seien vorher eingefärbt worden, um verschiedene Bestandteile besser sichtbar zu machen. Auf dem Monitor ist ein grünes Geflecht zu sehen. „Wenn du hier mit der Maus klickst, lassen sich einzelne Farben zu- und abschalten“, sagt sie – und schon sind nur noch blaue Punkte zu sehen: „Das sind die Zellkerne.“
Später erzählen Frederiks Eltern, dass sie mal in der Nähe des LIC wohnten und sich schon öfter gefragt haben, was die Leute dort wohl so machen. Da kam der Maus-Türöffner-Tag gerade recht. In den vorigen Jahren war Frederik schon bei der Feuerwehr in Bad Krozingen und im Sonnenobservatorium auf dem Schauinsland, sagt er, das sei auch nicht schlecht gewesen. „Aber echte Zellen hatte ich noch nie gesehen.“
Thomas Goebel