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FRIAS-Symposium: „Mehr Mut!“ in Politik und Wissenschaft

Mit den Grundlagen mutiger Entscheidungen beschäftigte sich eine zweitätige Veranstaltung am FRIAS

Freiburg, 17.08.2022

Menschen sitzen in Stuhlreihen. Eine Frau aus dem Publikum hält ein Mikro und spricht.
Teilnehmende beim FRIAS-Symposium: „Mehr Mut!“. Foto: Markus Schwerer

„Die wiederholt bewiesene und nicht nur in den Medien viel beklagte Mutlosigkeit der politisch Handelnden in der deutschen Corona-Politik“ sei der Auslöser für dieses Symposium gewesen, erklärte zu Beginn Prof. Dr. Bernd Kortmann, Direktor Geisteswissenschaften des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) an der Universität Freiburg. Die Corona-Krise sei dabei aber „nur ein Beispiel für die Handlungsarmut deutscher Politik im Angesicht drängender Probleme und längst erkannter Defizite“. Ähnliches gelte für die Klimapolitik sowie den nötigen Aus- und Umbau der Infrastruktur etwa in den Bereichen der Energieversorgung, der Digitalisierung oder des Verkehrswesens.

Und auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen herrsche „eine sich verbreitende Mutlosigkeit, Risikoaversität, Konflikt- und Verantwortungsscheu“, etwa aus Sorge vor juristischen Konsequenzen oder kritischen Reaktionen zum Beispiel in sozialen Medien. Das sei zwar einerseits verständlich, führe aber andererseits zu einer „kommunikativen Vorsicht“, die drohe, nur noch unverfängliche Leerformeln hervorzubringen oder zu einer völligen Verstummung zu führen – mit problematischen Folgen etwa für die Debattenkultur zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, aber auch innerhalb der Wissenschaft.

Dem habe die FRIAS-Veranstaltung „einen Kontrapunkt entgegensetzen“ wollen: die „gerne auch kontroverse Diskussion von Rahmenbedingungen für sowie Wegen hin zu mutigeren Entscheidungen auf allen Ebenen und zu einem mutigeren Miteinander im gesellschaftlichen Diskurs“, so Kortmann. Das zweitägige Symposium fand am 23. und 24. Juni an der Universität Freiburg stattfand und befasste sich mit den Grundlagen mutiger Entscheidungen in Politik, Gesellschaft und Wissenschaft. Es war zugleich die Abschiedsveranstaltung des aktuellen FRIAS-Direktoriums. Zu diesem gehören neben Kortmann als Sprecher auch Prof. Dr. Annegret Wilde, Direktorin Naturwissenschaften, und Prof. Dr. Günther Schulze, Direktor Sozialwissenschaften.

Erörtert wurden vier große Themenkomplexe, einer davon im Rahmen der FRIAS-Veranstaltungsreihe „Freiburger Horizonte“.

Thema I: Mut, Mutlosigkeit und die Krise der Demokratie

Einführung: Mut und Mutlosigkeit

In seinem Eröffnungsvortrag analysierte Prof. Dr. Günther Schulze das „halbherzige Handeln“ der Politik am Beispiel der Corona-Pandemie. Der Professor für Internationale Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und FRIAS-Direktor Sozialwissenschaften präsentierte Daten, die darauf hinweisen, dass entschiedenere Maßnahmen Todesfälle verhindert und auch soziale und ökonomische Kosten verringert hätten – doch seien Entscheidungen „zu spät, zu zögerlich und nicht mit dem nötigen Nachdruck“ getroffen worden. Dieses Muster finde sich auch bei anderen Themen, etwa beim Klimawandel, der Digitalisierung von Schulen oder der Ausrüstung der Bundeswehr. Mögliche Gründe lägen darin, dass Kosten der Entscheidungen jetzt anfielen, Nutzen aber erst später, und die Politik grundsätzlich auf Risiko- und Fehlervermeidung setze sowie auf den Status quo fixiert sei statt die künftigen Herausforderungen in den Blick zu nehmen. Nötig seien eine klarere Benennung von Problemen, ein rationalerer Diskurs darüber – und mehr Mut.
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Karl Popper und der Mut im Anthropozän

„Ich habe ein zwiespältiges Verhältnis zum Mut“, gestand dagegen Prof. Dr. Klaus Töpfer, ehemaliger Bundesumweltminister und Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP). „Bei der Bundeswehr hieß es früher: Der Mut des Unteroffiziers ist die Unkenntnis der Gefahr.“ Dagegen setze er auf den kritischen Rationalismus Karl Poppers und den lateinischen Leitsatz „Sapere aude“ – der in der Übersetzung von Immanuel Kant zum Motto der Aufklärung wurde: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Es könne eben auch Mut brauchen, inne zu halten und nachzudenken, wenn es nötig sei. Zumal die Bürger*innen eingebunden werden müssten: „Das Zaudern hat auch eine demokratische Qualität.“ Menschliches Wissen sei immer unvollständig – daher brauche es „fehlerfreundliche Entscheidungen“, auch wenn diese nicht immer mutig wirkten. Schließlich Verantwortung für eine Entscheidung zu übernehmen, ohne genau zu wissen, ob sie richtig ist, bedeute dann aber ebenso Mut.
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Democracy kills?

Er widme sich einer „steilen These“, so Prof. Dr. Uwe Wagschal, Professor für Vergleichende Regierungslehre an der Universität Freiburg, in seinem Vortrag „Democracy kills?“: Sind Demokratien aufgrund ihres zögerlicheren Handelns verantwortlich für höhere Todeszahlen in der Corona-Pandemie? Die Auswertung statistischer Daten lege den Schluss nahe, dass global gesehen in Demokratien die Todeszahlen etwas höher seien als in autoritär regierten Staaten. „Betrachtet man die Zahlen aber genauer, zeigen die höher entwickelten Demokratien keine signifikante Zunahme der Corona-Toten“, so Wagschal. Einfluss hätten dagegen andere Faktoren wie Altersdurchschnitt und Reichtum einer Gesellschaft, aber auch kulturelle Faktoren: So korreliere eine ausgeprägte „Männlichkeitskultur“ mit einer niedrigeren Impfquote. Auch die „Führungskompetenz“ der Regierenden spiele eine Rolle, erklärte Wagschal; besonders wirksam seien verstärkte Investitionen ins Gesundheitssystem.
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Mut und Verantwortung in der Krise

Welche Blockaden verhindern, dass wir in der ökologischen Krise rasch und beherzt handeln und „Zukunftsverantwortung“ übernehmen, obwohl doch eigentlich klar sei, was geschehen müsse? Danach fragte Prof. Dr. Vera King, Professorin für Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sie warb für eine Haltung der „Generativität“. Es gehe darum, gesamtgesellschaftlich Sorge für die Nachkommen zu tragen, wobei die Ambivalenz ausgehalten werden müsse, die Grenzen des eigenen Handelns anzuerkennen und „Verantwortung für eine Zukunft zu übernehmen, über die man nicht bestimmen kann“. Die Krise auszublenden sei ebenso destruktiv wie Weltuntergangsszenarien auszumalen. Es sei nötig, der „gegenwartsbezogenen, egoistischen Optimierungskultur“ mehr Mut für „couragierte Veränderungen im Sinne einer neuen Aufklärung“ entgegenzusetzen.
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Thema II: Forschung zwischen Angst und Wissenschaftsfreiheit

Wissenschaft in Zeiten von Fake News, Wokeness und Cancel Culture

Den zweiten Block zum Thema „Mut in der Wissenschaft“ eröffnete Prof. Dr. Richard Traunmüller, Professor für Demokratieforschung an der Universität Mannheim, mit der Frage: Ist die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr? Dabei betonte Traunmüller, wie sehr Selbstzensur von Wissenschaftler*innen dem wissenschaftlichen Austausch schade: „Wir sehen dann nicht alle Blickwinkel, hören nicht alle Argumente, und das gibt ein verzerrtes Abbild des kollektiven Wissens und des Fachwissens.“ Traunmüller reicherte die Debatte über Cancel Culture mit empirischer Evidenz an und widmete sich der Frage, ob sich Studierende durch das Ausladen von Redner*innen oder gezielte Störungen von Vorträgen selbst zensieren. Dazu stellte er Studienergebnisse aus den USA vor, die nahelegen: Cancel Culture führt nicht dazu, dass beispielsweise Frauen und ethnische Minderheiten vermehrt zu Wort kommen. Vielmehr würden sich diese selbst zensieren.
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Richard Traunmüller spricht zum Publikum, das sich links außerhalb des Bildes befindet.
Prof. Dr. Richard Traunmüller reicherte die Debatte über Cancel Culture mit empirischer Evidenz an. Foto: Markus Schwerer

Die Angst vor der Angreifbarkeit

Prof. Dr. Johanna Pink, Professorin für Islamwissenschaft am Orientalischen Seminar der Universität Freiburg, berichtete über ihre Erfahrungen mit Journalist*innen und den Verfasser*innen von Hassnachrichten. Islamwissenschaftler*innen machten sich bei Interviews automatisch angreifbar. „Natürlich sind die Sachen selten so simpel, wie ein Radiojournalist sie vielleicht gerne hören möchte“, so Pink. Ein weiteres Problem sei, dass von Islamwissenschaftler*innen verstärkt erwartet werde, Meinungen zu formulieren, anstatt zu differenzieren und zu erklären. Und sie sollten oftmals zu aktuellen Aspekten ihres Fachs in der Öffentlichkeit Stellung beziehen, zu denen sie selbst gar nicht forschen. Die Schattenseiten der öffentlichen Kommunikation demonstrierte Pink anhand eines Hassbriefs, den sie in ihrem Briefkasten gefunden hatte. Mut brauche es aber nicht nur bei Interviews, sondern auch bei Forschungsarbeiten in autoritären Regimen: „Ich habe etliche Kolleginnen und Kollegen, die in die Länder, zu denen sie forschen, einfach nicht mehr reisen können, weil sie zu Themen forschen, die dort nicht erwünscht sind.“
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Johanna Pink steht auf der Bühne und spricht. Im Vordergrund sieht man Hinterköpfe des Publikums.
„Natürlich sind die Sachen selten so simpel, wie ein Radiojournalist sie vielleicht gerne hören möchte“, sagte Prof. Dr. Johanna Pink. Foto: Markus Schwerer

Podiumsdiskussion: Haben wir die Schere schon im Kopf?

Wie können wir Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit und der wissenschaftsbasierten Debattenkultur begegnen? Zu dieser Frage sprachen zum Abschluss dieses inhaltlichen Abschnitts Richard Traunmüller, Johanna Pink und Benjamin Schütze, Anchor Fellow der Jungen Akademie für Nachhaltigkeitsforschung am FRIAS. Bernd Kortmann moderierte die Podiumsdiskussion.
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Vier Personen auf der Bühne. Zwei Personen sitzen und sind den zwei hinter ihnen stehenden Personen zugewandt. Alle lachen und machen einen entspannten Eindruck.
Aufwärmen vor der Diskussion: v.l. Richard Traunmüller, Bernd Kortmann, Benjamin Schütze, Johanna Pink. Foto: Markus Schwerer

Thema III: „Freiburger Horizonte: Mehr Mut!“ (Podiumsdiskussion)

Zum Abschluss des ersten Tages diskutierten im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Freiburger Horizonte“ des FRIAS der Journalist Ullrich Fichtner, die frühere baden-württembergische Finanzministerin Edith Sitzmann, Klimaaktivistin Jule Pehnt und der Forstökologe Prof. Dr. Klaus Püttmann über die Leitfrage des Kolloquiums: Wie treffen wir mutige Entscheidungen und warum ist das so schwer? Es moderierte Dr. Arndt Michael vom Seminar für Wissenschaftliche Politik an der Universität Freiburg.
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Fünf Personen sitzen auf der Bühne. Vor ihnen sind auf einem Tisch Mikrofone aufgestellt.
Verschiedene Blickwinkel auf die Frage: Wie treffen wir mutige Entscheidungen? V.l. Arndt Michael, Ullrich Fichtner, Jule Pehnt, Klaus Püttmann, Edith Sitzmann; Foto: Markus Schwerer

Thema IV: Mut in der Rechts-, Sicherheits- und Außenpolitik

Was uns wirklich spaltet. Moralisierung statt Verrechtlichung

Die Politik in Deutschland habe versucht, Corona-Impfungen mit moralischem Druck durchzusetzen, statt die Impfungen durch ein Gesetz entschlossen und rechtzeitig zu einer Rechtspflicht zu machen. So lautet die These von Prof. Dr. Ralf Poscher, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht in Freiburg. Das sei ein Fehler gewesen, weil eine „Verrechtlichung“ einerseits für eine klare Entscheidung gesorgt hätte, andererseits die Debatte aber hätte weiterlaufen können, ohne auf Moralisierungen durch die Politik zu setzen. Die moralischen Appelle der Politik an die Bürger*innen führten bei den Impfgegner*innen nur zu „Verhärtungen ihrer Haltungen“ und letztlich zu gesellschaftlichen Spaltungen, so Poscher. Die „Transformation von Sach- in Rechtsfragen“ erlaube es dagegen, „jeden Konflikt autoritativ zu entscheiden und gleichzeitig die gesellschaftlichen Diskurse offen zu halten.“ Diese Chance habe die Politik, wohl aus Mutlosigkeit, versäumt.
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Mehr Mut in der Außenpolitik?

Was bedeutet die „Zeitenwende“ für die deutsche Außenpolitik, braucht sie mehr Mut? Dieser Frage widmete sich Dr. Peter Wittig, ehemaliger Botschafter in Zypern, den USA und Großbritannien sowie Ständiger Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen. Außenpolitik sei einerseits „vielfältig verflochten, gerade in Deutschland stark von politischen Koalitionen abhängig und verrechtlicht“. In Ausnahmesituationen – wie dem Kosovo-Krieg oder der Nichtbeteiligung am Irakkrieg – sei aber auch „besonderer Mut“ erforderlich gewesen. Den brauche es auch jetzt, so Wittig: „Ein reaktiver Modus reicht nicht mehr.“ Die „Eindämmung Russlands“ bleibe auf absehbare Zeit wichtig, vielleicht zögen sich die USA nach der Wahl 2024 aus Europa zurück, dazu komme die Herausforderung durch China und der zunehmende Wettbewerb zwischen Demokratien und autoritären Regimen. Deutschland und die EU müssten ihre Widerstandskraft stärken. „Das wird aktive Gestaltungskraft, Weitsicht, Pragmatismus und ja: auch eine gehörige Portion Mut erfordern.“
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Mut und Mutlosigkeit in der Ukrainekrise

„Mut“ werde in der Politik häufig als Synonym von „Aufbruch“, „Neubeginn“, „Paradigmenwechsel“ und als Gegenbegriff zu „Stillstand“ verwendet, insbesondere zu Beginn einer Legislaturperiode, stellte Prof. Dr. Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik fest. In seinem Vortrag fragte Kaim: „Wie geht die deutsche Politik nun mit dem Angriff auf die Ukraine um, ist sie mutig oder mutlos?“ Dabei betrachtete er verschiedene Facetten von Mut im politischen Handeln. „Man kann der Regierung zubilligen, dass sie mutig ist in dem Sinne, dass sie Risiken eingeht“, so Kaim. Gleichzeitig werde Mut aber im parlamentarischen Regierungsbetrieb klein gemahlen und mache einer „verwalteten Mutlosigkeit“ Platz. „Das findet dann Ausdruck in der – wie ich finde – zu Recht kritisierten Krisenkommunikation der Bundesregierung.“
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Podiumsdiskussion: Fehlt uns der Mut in der Sicherheitspolitik?

In der abschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Dr. Peter Wittig, Prof. Dr. Markus Kaim, Prof. Dr. Dietmar Neutatz, Professor für Neuere und Osteuropäische Geschichte an der Universität Freiburg, und Thomas Fricker, Chefredakteur der Badischen Zeitung, über die Frage: Fehlt uns aktuell der Mut in der Sicherheitspolitik?
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Franziska Becker, Thomas Goebel