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Die Würde des Ortes wahren

Der Historiker Heinrich Schwendemann zum Umbau des „Platzes der Alten Synagoge“

Freiburg, 03.08.2017

Die Würde des Ortes wahren

Foto: Thomas Kunz

Über den Platz der Alten Synagoge wurde in den vergangenen zehn Jahren in Freiburg viel diskutiert – über seine Gestaltung, seine Bedeutung und seinen Namen. Nun ist der sanierte Platz eröffnet worden. Der Freiburger Historiker Dr. Heinrich Schwendemann erklärt im Gespräch mit Julia Dannehl, welche Entwicklungen der Ort in der Vergangenheit durchlaufen hat und welche Bedeutung der Platz in Zukunft für die Stadt Freiburg haben wird.


Kurz nach der Eröffnung tummeln sich die Freiburger auf dem neuen Platz.
Foto: Thomas Kunz

Herr Schwendemann, was hat es mit der Geschichte der Alten Synagoge auf sich?

Heinrich Schwendemann: Der mittelalterliche Judenbann war in Freiburg sehr lange wirksam. Bis 1862 durften sich keine Juden in Freiburg niederlassen. Als den badischen Juden dann endlich zugestanden wurde, ihren Wohnort frei zu wählen, zogen vor allem junge Familien aus dem Umland in die Stadt. 1870 gab es immerhin schon 300 Freiburgerinnen und Freiburger jüdischen Glaubens. In diesem Jahr wurde auch die Synagoge der neu entstandenen Israelitischen Gemeinde gebaut. Der Standort lag damals am Rand der Stadt. Den Bahnhof gab es zwar schon, aber das Areal zwischen Synagoge und Bahnhof war noch nicht bebaut.1933, als die NS-Judenverfolgung einsetzte, zählte die jüdische Gemeinde circa 1.250 Mitglieder. Diese gehörten vor allem dem mittelständischen Bürgertum an. 1937, als die so genannte Arisierung, die Verdrängung der Juden aus Handel und Gewerbe, auch in Freiburg in vollem Gang war, führte die Stadt bereits Verhandlungen mit der jüdischen Gemeinde über den Ankauf der Synagoge. Man wollte sie abreißen und den Platz anderweitig bebauen. In der Reichspogromnacht 1938 haben Freiburger SS- und SA-Trupps das Gebäude schließlich völlig zerstört.

Was passierte danach mit dem Grundstück?

Es gab verschiedene Ideen – von einer Kongress- und Tagungshalle bis zum Studierendenwohnheim. Schlussendlich hat die Stadt als Zwischenlösung einen Parkplatz daraus gemacht. Nach dem Krieg hat Gertrud Luckner, die das Konzentrationslager Ravensbrück überlebt hatte, gefordert, dass dort eine Gedenkstätte geschaffen werden müsste. Sie selbst hatte vielen Juden geholfen und war nach 1945 so etwas wie das schlechte Gewissen der Stadt. Es hat dann zwar einige Diskussionen gegeben, aber das Thema ist auch immer wieder unter den Teppich gekehrt worden. Erst im November 1962 wurde eine Gedenktafel in Form einer Bodenplatte enthüllt, die bald dadurch Aufsehen erregte, dass sie immer wieder von Gestrüpp überwuchert wurde.


Die Idee, den frisch sanierten Platz in den „Platz der Zerstörten Synagoge“ umzubenennen, findet Heinrich Schwendemann angemessen. Foto: Patrick Seeger

Das alte Denkmal war also nicht optimal. Finden Sie, die Situation hat sich durch den Umbau des Platzes verbessert?

Der historische Ort der 1938 zerstörten Synagoge muss als würdige Erinnerungsstätte erhalten bleiben. Das war auch Ziel der Umbaumaßnahmen. Allerdings gibt es bezüglich des Umbaus zwei Aspekte, die ich nicht verstehe: Erstens wurde eine der wenigen größeren Grünflächen in der Altstadt eliminiert. Meiner Meinung nach hätte man daraus etwas Parkähnliches mit mehr Pflanzen und weniger Stein machen können. Zweitens frage ich mich, warum man vor Planungsbeginn nicht einfach mal auf diesem Platz gegraben hat. Es war doch sehr wahrscheinlich, dass im Boden noch Reste der Synagoge zu finden sind, und bei den Bauarbeiten hat man schließlich auch eine Mauerecke gefunden. Hätte man früher danach gesucht, hätte man die Mauerreste erhalten und zum Bestandteil eines Denkmals machen können.

Als Gedenkstätte ist ein Wasserspiegel in Form der früheren Synagoge angelegt worden. Halten Sie dies für einen geeigneten Ersatz?

Dieser Brunnen ist sicherlich sehr gut gemeint, aber letztlich handelt es sich doch um eine Ästhetisierung. Die Grundmauerreste wären dagegen ein sehr viel „sperrigeres“ Erinnerungsrelikt gewesen. Darüber hinaus fürchte ich sehr, dass der Brunnen sehr bald – gerade im Sommer – als Planschbecken missbraucht wird. Durch die große Stein- und Betonfläche wird sich der Platz an wärmeren Tagen stark aufheizen. Da bietet sich der Wasserspiegel als Abkühlung geradezu an. Ich weiß daher nicht, ob die Würde des Ortes gewahrt bleiben kann.


Die im Jahr 1962 enthüllte Gedenktafel ist nun Teil des Brunnens, der die Umrisse der zerstörten Synagoge nachbildet. Foto: Thomas Kunz

Was wurde aus der Gedenktafel, die früher auf dem Platz angebracht war?

Die alte Gedenktafel ist in den Wasserspiegel eingelassen worden. Das finde ich gut, denn sie ist zugleich ein Zeugnis über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der frühen Bundesrepublik und damit selbst Geschichte. Ihre Inschrift lautet „Hier stand die Synagoge der Israelitischen Gemeinde Freiburg, erbaut 1870. Sie wurde am 10. November 1938 unter der Herrschaft der Gewalt und des Unrechts zerstört“. Das war seinerzeit typisch: Die Täter wurden anonymisiert, verantwortlich sei eine abstrakte Gewaltherrschaft gewesen. Auch die eigentlichen Opfer, die Menschen, die in die Freiburger Synagoge gegangen waren, blieben unerwähnt.

Aktuell wird darüber diskutiert, den Namen „Platz der Alten Synagoge“ zu „Platz der Zerstörten Synagoge“ zu ändern. Was halten Sie von der Idee?

Ich finde „Platz der Zerstörten Synagoge“ angemessen. Damit wird die Situation im November 1938 beschrieben. Außerdem gab es im Mittelalter schon mal eine Synagoge in der Stadt in der Gegend der heutigen Wasserstraße, wo die jüdische Gemeinde bis zu deren Auslöschung im Jahr 1349 ansässig war. Die bisherige Bezeichnung „Platz der Alten Synagoge“ gaukelt vor, dass es im Lauf der Geschichte nur eine Synagoge in Freiburg gegeben hätte. Dem war aber nicht so.