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Mit Muße zum Entrepreneur

Wie das aristotelische Ideal zweckfreier Selbstreflexion beim Gründen eines Unternehmens hilft

Freiburg, 11.05.2018

Mit Muße zum Entrepreneur

Foto: Orlando Florin Rosu/Fotolia

Muße und Projektarbeit sind für Dr. Michael Vollstädt kein Gegensatz, sondern können erfolgreich unternehmerisch kombiniert werden. In Seminaren vermittelt der Koordinator des Projekts „Zugänge zum Gründen“, das den Unternehmergeist an der Universität Freiburg verankern will, eine gegenwartsbezogene Sicht auf ein antikes Prinzip. Verena Adt hat mit dem Theologen, der im Sonderforschungsbereich Muße der Universität Freiburg promoviert hat, darüber gesprochen.

Worte wie „Kreativität“ oder „Innovation“ sind Michael Vollstädt zufolge mittlerweile zu Allgemeinplätzen geworden. Der Begriff „Muße“ dagegen biete eher die Möglichkeit zu kritischer Betrachtung.
Foto: Orlando Florin Rosu/Fotolia

Herr Vollstädt, man spricht oft von der „Freizeitgesellschaft“. Wieso sprechen wir nicht von der „Mußegesellschaft“?

Michael Vollstädt: Freizeit wird mit Massenkonsum in Verbindung gebracht. Die Wirtschaft hat den Begriff eingenommen, und er dient zudem als Gegensatz zum Arbeitsbegriff. Der Begriff der Muße ist schwerer zugänglich.

Wie definieren Sie das Ideal der Muße?

Die Definition hat Aristoteles geliefert. Es geht darum, eine selbstreflexive Lebensform zu etablieren. Sie ist in dem Sinn elitär, denn sie gründet beispielsweise auf ökonomischer Unabhängigkeit. Muße darf dabei nicht als Mittel eingesetzt werden, um ein Ziel zu erreichen. Sie ist reiner Selbstzweck und auf ein kontemplativ-theoretisches Leben ausgerichtet.  

Das ist weit weg von Effizienz, Optimierung, Rentabilität und Geschäftszahlen. Wie knüpfen Sie damit an Entrepreneurship an?

Diese Erscheinungen hängen mit der Entwicklung des Kapitalismus zusammen. Heute braucht Management emotionale Kompetenz. Da geht es um Selbstverwirklichung und Authentizität und gleichzeitig um Effizienz und Effektivitätssteigerung. Wenn die Menschen ihre Arbeit als Selbstverwirklichung ansehen, arbeiten sie länger und besser.

Wie passt das zusammen, wenn die Muße kommerzfrei ist?

Wir bemerken insgesamt eine Form der Entgrenzung zwischen Arbeit, Wirtschaft und Kultur. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Menschen keinen Widerspruch darin sehen, zu guten Geschäftszahlen beizutragen, wenn sie für sinnvoll halten, was sie tun. Entrepreneurship wird ja oft mit Vorstellungen von einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Wirtschaft verknüpft.  

Aber die Muße im Sinn von Selbstreflexion und Zweckfreiheit findet ja nicht im Arbeitsleben statt.

Richtig. Realistisch betrachtet, kann Muße heute keine Lebensform mehr sein, sondern nur phasenweise auftreten. Wenn ich eine Gründungsidee habe, liegt ein langer Prozess der Entwicklung und Optimierung vor mir. Das ist ein relativ freier Raum. Hier bin ich selbstreflexiv, denn es geht um meine eigene Idee. Und durch das Produkt will ich mich auch finanzieren, dadurch geht es auch um Selbsterhaltung bis hin zur Selbstverwirklichung. Immer, wenn ich mich mit der zentralen Strategie beschäftige – Wo will ich hin, was will ich damit erreichen, wie will ich mich in die Gesellschaft einbringen? – kann ich darin einen tätigen Reflexivraum sehen, den ich als Muße beschreiben kann.

„Wenn die Menschen ihre Arbeit als Selbstverwirklichung ansehen, arbeiten sie länger und besser“, sagt Michael Vollstädt. Foto: Thomas Kunz

Wie bringen Sie das den Studierenden nah?

Das ist sehr unterschiedlich, und wir behandeln das Thema jeweils mit fakultätsspezifischen Akzenten. Ich habe in diesem Semester zum Beispiel ein Seminar gemeinsam mit der christlichen Gesellschaftslehre zum Thema „Social Entrepreneurship“. Ein weiteres Seminar findet in der Kulturanthropologie und Europäischen Ethnologie statt – da geht es um Fragen der Selbstoptimierung in unserer Kultur. Eine andere Schiene sind die Kurse für Berufsfeldorientierte Kompetenzen am Zentrum für Schlüsselkompetenzen, zum Beispiel derzeit „Personale Grundlagen für die Berufsoption Selbstständigkeit“. Es geht darum, zu Kreativität und Selbstständigkeit zu motivieren. Wichtig ist: Entrepreneurship lebt davon, dass man keine Exklusion betreibt, sondern Inklusion. Es geht darum, dass man im Team und auch mit Menschen zusammenarbeitet.

Ist Muße nicht einfach ein anderes Wort für Kreativität?

Muße hat mehr kritisches Potenzial. Kreativität, Innovation und dergleichen Begriffe sind mittlerweile so breitgetreten und derartig verwirtschaftlicht, dass es schwierig ist, sie zu nutzen. Muße dagegen bietet eher die Möglichkeit zu kritischer Betrachtung. Auch wenn wir eine andere Lebenswelt als Aristoteles haben, ist Muße der bessere Begriff, gerade weil er relativ sperrig ist und so traditionsgeladen daherkommt.

Was ist ein Beispiel für gelungenes Zusammenwirken von Muße und Entrepreneurship?

Ein Ansatzpunkt ist der Ideenfindungs- und Ausarbeitungsprozess, wenn jemand konsequent an einer Produktidee arbeitet, bis sie marktfähig ist. Das ist für mich eine Mußephase, die Muße und Entrepreneurship zusammenbringt. Konkret belegt hat das beispielsweise der Wirtschaftswissenschaftler Günter Faltin, der in seinen Bestsellern über Entrepreneurship und Unternehmertum explizit auf Muße hinweist. Sein Modell zur Unternehmensgründung hat er mit einer neuen Idee nachhaltiger Vermarktung von Tee demonstriert. Das als universitäre Übung in Sachen Marktwirtschaft entstandene Unternehmen ist heute der weltweit größte Importeur von Darjeeling.

 

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