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Nordamerikanische Schildkröten werden in Südbaden heimisch – und gefährden möglicherweise Ökosysteme

Forscher der Universität Freiburg weisen erstmals eine selbstständige Vermehrung in Deutschland nach

Freiburg, 15.02.2023

Nordamerikanische Schildkröten werden in Südbaden heimisch – und gefährden möglicherweise Ökosysteme

Eine Nordamerikanische Buchstabenschildkröte ruht sich auf einem Seerosenblatt aus. Foto: Johannes Penner

Nicht-heimische Schildkröten pflanzen sich selbstständig in Deutschland fort:  Das konnten der Umweltwissenschaftler Benno Tietz und der Biologe Dr. Johannes Penner von der Universität Freiburg sowie Dr. Melita Vamberger von den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden jetzt zum ersten Mal für drei Arten nachweisen, die ursprünglich aus Nordamerika stammen. Ihre Untersuchung von insgesamt knapp 200 wild lebenden Tieren aus Seen in Freiburg und Kehl legt nahe, dass sich die Schildkröten im neuen Lebensraum etabliert haben – und dort zu einer Gefahr für das Ökosystem werden könnten. „Für zwei Arten ist das der erste Nachweis einer selbständigen Vermehrung außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes und für die dritte Art der nördlichste Nachweis bisher“, sagt Penner. Die Ergebnisse der Studie sind in der Fachzeitschrift NeoBiota erschienen.

Schildkröten werden ausgesetzt

Invasive Tierarten verursachen weltweit hohe wirtschaftliche Schäden – und sind mitverantwortlich für das fortschreitende globale Artensterben. Auch exotische Reptilien geraten in Deutschland regelmäßig in die Natur, am häufigsten, weil sie von ihren Besitzer*innen ausgesetzt werden. Die Nordamerikanische Buchstaben-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta) wurde in den Achtziger- und Neunzigerjahren in großer Zahl als Haustier in die Europäische Union eingeführt. 1997 wurde ihr Import von der EU verboten, 2016 auch der Verkauf hier geborener Exemplare. Im Tierhandel wurde sie seitdem durch andere Süßwasser-Schildkrötenarten ersetzt, wie etwa die Gewöhnliche Schmuckschildkröte (Pseudemys concinna) und die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte (Graptemys pseudogeographica).

Genetische Analysen von Tieren aller drei Arten und verschiedenen Alters ergaben nun den Nachweis ihrer selbstständigen Vermehrung in hiesigen Gewässern. „Überraschend ist, dass sich die invasiven Arten so weit im Norden etabliert haben“, sagt Benno Tietz: „Erfolgreiche Fortpflanzung und sich selbst erhaltende Populationen von Trachemys scripta waren in Europa bisher aus den Mittelmeerregionen und der kontinentalen Klimazone Sloweniens bekannt.“ Bis vor kurzem sei man davon ausgegangen, dass sich die untersuchten Schildkröten in Mitteleuropa wegen des kühleren Klimas nicht fortpflanzen können. Gerade die Falsche Landkarten-Höckerschildkröte sei eigentlich eher kälteempfindlich.

Folgen für heimische Arten offen

Für einheimische Arten könnten die invasiven Artgenossen zum Problem werden. Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) etwa lebt in Deutschland nur noch in Teilen von Brandenburg. „Im Versuchsaufbau kam es bei Europäischen Sumpfschildkröten, die gemeinsam mit Trachemys scripta gehalten wurden, zu Gewichtsverlust und einer hohen Sterblichkeit“, berichtet Penner. Das könne daran liegen, dass die größeren gebietsfremden Arten die kleineren einheimischen von den Sonnenplätzen verdrängen, so dass letztere Probleme mit der Thermoregulation bekommen. Möglicherweise taten sie sich wegen der Konkurrenz auch schwerer beim Nahrungserwerb.

Außerdem können Wasserschildkröten als Wirte von Viren und Parasiten eine Rolle bei der Übertragung von Krankheiten spielen und potenziell schädlichen Einfluss auf andere Teile des Ökosystems wie Amphibien, Fische oder Wasserpflanzen haben. Auf der anderen Seite geben die Forschenden in ihrer Studie zu bedenken, dass die nicht-heimischen Arten möglicherweise auch Leistungen in geschädigten Ökosystemen übernehmen könnten, die ohne sie sonst fehlen würden. Solche Fragen müssten dringend weiter erforscht werden, sagt Vamberger. Und fordert: „Gleichzeitig brauchen wir eine breite Aufklärung der Bevölkerung, damit künftig keine Tiere – egal welcher Art – mehr ausgesetzt werden.“

 

Faktenübersicht:

  • Originalpublikation: Tietz, B., Penner, J., Vamberger, M. (2023): Chelonian challenge: three alien species from North America are moving their reproductive boundaries in Central Europe. In: NeoBiota 82: 1–21. DOI: https://doi.org/10.3897/neobiota.82.87264
  • Dr. Johannes Penner war wissenschaftlicher Koordinator des Graduiertenkollegs „Conservation of Forest Biodiversity in Multiple-Use Landscapes of Central Europe“ (ConFoBi) sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der Universität Freiburg. Aktuell ist er Kurator bei der NGO „Frogs and Friends“ und Gastwissenschaftler in der Wildtierökologie. Benno Tietz hat ein Masterstudium der Umweltwissenschaften an der Universität Freiburg absolviert, das er im Wintersemester 2020/21 mit einer Arbeit über nicht-heimische Schildkröten abgeschlossen hat. Aktuell ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Freiburger Institut für angewandte Tierökologie. Dr. Melita Vamberger ist Wissenschaftlerin an den Senckenberg Naturhistorischen Sammlungen Dresden.
  • Die Studie wurde gefördert durch den Hans-Schiemenz-Fonds der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde sowie die Wissenschaftliche Gesellschaft Freiburg.

 

Pressebilder zum Download

Eine Nordamerikanische Buchstabenschildkröte ruht sich auf einem Seerosenblatt aus. Foto: Johannes Penner
Diese Falsche Landkarten-Höckerschildkröte genießt die wärmende Sonne. Foto: Johannes Penner
Eine gewöhnliche Schmuckschildkröte lässt sich im Wasser treiben. Foto: Johannes Penner

 

Kontakt:
Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-4302
E-Mail: kommunikation@zv.uni-freiburg.de