Holzernte in Europa geringer als angenommen
Freiburg, 29.04.2021
Wird in Europa tatsächlich mehr Holz gefällt? Ja, sagen Forschende aus verschiedenen Ländern, aber lange nicht so viel, wie die Studie „Abrupte Zunahme der geernteten Waldfläche in Europa nach 2015“, die im Sommer 2020 in der Fachzeitung Nature veröffentlicht wurde, behauptet. In einer neuen Studie zeigt ein europäisches Team mit Prof. Dr. Jürgen Bauhus von der Professur für Waldbau und Prof. Dr. Marc Hanewinkel von der Professur für Forstökonomie und Forstplanung der Universität Freiburg, dass die Holzernte in den vergangenen Jahren nur um 6 Prozent gestiegen ist, nicht um 69 Prozent, wie bisher postuliert wurde. Die fehlerhafte Interpretation erfolgte aufgrund einer Zunahme der Sensitivität der zugrundeliegenden Satellitendaten. Zudem seien in der früheren Publikation bei einem Teil der als Holzernte klassifizierten Fläche natürliche Störungen miteinbezogen worden, erklären die Autorinnen und Autoren der aktuellen Studie, die nun ebenfalls in Nature erschienen ist.
Für die damalige Untersuchung hatten die Autoren Satellitendaten verwendet, um die Veränderung der Waldfläche zu beobachten. Daraus hatten sie geschlussfolgert, dass ab dem Jahr 2016 die Holzernte in europäischen Wäldern um 69 Prozent zugenommen hatte. Das Team der Gemeinsamen Forschungsstelle (GFS) der Europäischen Kommission vermutete, dass dieser Anstieg auf den wachsenden Holzbedarf – angetrieben durch die Bioökonomie- und Bioenergiepolitik der Europäischen Union (EU) – zurückzuführen sei. Die Veröffentlichung löste eine wissenschaftliche und politische Debatte aus, da der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie mit Beratungen des EU-Parlaments und des Rates über die EU-Waldstrategie für die Zeit nach dem Jahr 2020 zusammenfiel.
In der nun veröffentlichten Studie belegen 30 Forschende aus 13 europäischen Ländern, dass die Ergebnisse und Schlussfolgerungen der GFS-Studie nicht korrekt waren: Die Analyse über die großen Waldverluste seien vor allem auf methodische Fehler zurückzuführen. Einer der Fehler in der GFS-Studie habe darin bestanden, erklären die Autoren der aktuellen Studie, dass unterschätzt worden sei, wie satellitengestützte Aufnahmen und die Methoden, mit denen sie analysiert wurden, über die Zeit verbessert wurden. Gleichzeitig hat es Veränderungen in den Wäldern aufgrund natürlicher Störungen, wie zum Beispiel Dürre- oder Borkenkäferschäden oder Sturmwürfe, gegeben, die in der GFS-Studie oft fälschlicherweise als Holzernte ausgewiesen wurden.
Viele an Politik und Gesellschaft gerichtete Studien zum Waldzustand basieren auf Daten von Fernerkundungsmethoden. Deshalb betont Dr. Marc Palahí, Direktor des European Forest Institute in Joensuu/Finnland, der die neue Studie leitete: „In Zukunft sollten Forstinformationen sorgfältiger bewertet werden. Dabei muss eine Vielzahl methodischer Fragen und Faktoren berücksichtigt werden. Das erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten, um besser informierte, forstbezogene politische Entscheidungen zu ermöglichen.“
Dabei sei eine intensivere Nutzung nicht generell zu kritisieren, sagt der Hanewinkel: „Wenn man das Geschehen der letzten drei Jahre betrachtet, so wäre es – nicht nur aus ökonomischer Sicht – deutlich sinnvoller gewesen, im Rahmen eines geplanten Waldumbaus größere Mengen der abgestorbenen Bäume zu nutzen. In dieser Zeit sind in Deutschland rund 30 Millionen Kubikmeter Holz in den Wäldern liegen geblieben, da sie im Zuge des Kalamitätsgeschehens wie Stürmen nicht mehr wirtschaftlich nutzbar waren. Zu größeren Teilen war das aber hochwertiges Bauholz. So eine Situation ist nicht nur aus volkswirtschaftlicher Sicht nicht sinnvoll.“
Die Forschenden in der kritisierten Studie aus dem Jahr 2020 kommen zu dem Schluss, die von ihnen ermittelte Höhe der Holzernte beeinträchtige die EU-Vision eines waldbasierten Klimaschutzes nach 2020 stark. Diese Einschätzung teilt Bauhus nicht: „Bezüglich der tatsächlichen Erntemengen in Europa können wir Entwarnung geben. Gegenwärtig wird in der EU deutlich weniger Holz geerntet als nachwächst, so dass die Holzvorräte in europäischen Wäldern stetig angewachsen sind. In der Studie wurde zudem ignoriert, dass eine effiziente Verwendung des geernteten Holzes ebenso Klimaschutzfunktionen erbringt, gerade wenn diese auf Langlebigkeit und Mehrfachnutzung ausgerichtet ist. Die Klimaschutzleistung der Wälder ist nicht durch nachhaltige Holzernte, sondern durch zunehmende, vom Klimawandel verursachte Störungen gefährdet. Daher sollte die Politik darauf drängen, dass die Klimaschutzziele eingehalten und Wälder an den unvermeidlichen Klimawandel angepasst werden.“
Originalpublikation:
Palahí, M., Valbuena, R. et al. (2021): Concerns about reported harvests in European forests. In: Nature. DOI: 10.1038/s41586-021-03292-x
Kontakt:
Prof. Dr. Jürgen Bauhus
Institut für Forstwissenschaft
Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-3677
E-Mail: waldbau@waldbau.uni-freiburg.de
Prof. Dr. Marc Hanewinkel
Professur für Forstökonomie und Forstplanung
Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-3691
E-Mail: marc.hanewinkel@ife.uni-freiburg.de
Annette Kollefrath-Persch
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
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