Populäre Orte des Vergnügens
Freiburg, 13.02.2020
Auf 256 Seiten beschreibt und analysiert Kulturwissenschaftler Michael Fischer, wie ländliche Lokale in Süddeutschland zwischen den 1970er und 1990er Jahren wahrgenommen wurden. Foto: Verlag Waxmann, Münster.
Es gab sie in Buggingen, Kirchzarten, Freiamt, Hausach oder auch in Schönwald: ländliche Diskotheken. Eine neue Studie des Freiburger Kulturwissenschaftlers Dr. Dr. Michael Fischer vom Zentrum für Populäre Kultur und Musik (ZPKM) der Albert-Ludwigs-Universität beleuchtet diese Szene der Unterhaltungs- und Freizeitkultur im Südwesten Deutschlands. Dabei werden die Diskotheken in erster Linie als „populäre Orte“ verstanden. „Es geht zum einen um die Räume, die dort angebotenen Programme und schließlich um Konfliktsituationen, die sich mit dem Betrieb von Tanzlokalen verbanden“, betont Fischer. Auf 256 Seiten beschreibt und analysiert er, wie die ländlichen Lokale zwischen den 1970er und 1990er Jahre wahrgenommen wurden. So versprachen sie nicht nur Unterhaltung, sondern boten auch Möglichkeiten der Begegnung, vom Cliquen-Treffen bis hin zum erotischen Abenteuer.
Um Informationen zu den damaligen Diskotheken zu erhalten, hat Fischer verschiedene Archive besucht und in alten Akten gestöbert, etwa in Waldkirch zur ehemaligen Diskothek „Arche“. Viele Konflikte waren zeittypisch und bei nahezu allen Betrieben vorzufinden: Nachbarinnen und Nachbarn beschwerten sich über Lärm und die lautstark anfahrenden Jugendlichen, die Polizei kümmerte sich um die Eindämmung des Drogenkonsums oder um die Durchsetzung des Gaststättenrechts. „Gleichzeitig lässt sich anhand der geführten Interviews auch ein anderes Bild zeichnen: Discjockeys, Betreiber sowie Fans beschreiben die Faszination an der Musik, die eingesetzte Technik oder den Spaß beim Tanzen und Ausgehen“, erläutert der Kulturwissenschaftler. Die Studie will diese beiden Aspekte – die Wahrnehmungen, die aus amtlichen Unterlagen hervorgehen, und die der Akteurinnen und Akteure – zusammenbringen.
Bisher standen Diskotheken im ländlichen Raum selten im Fokus der Forschung. Die Wissenschaft meide solche Themen, selbst die Populärkulturforschung konzentriere sich eher auf städtische, avantgardistische oder subkulturelle Phänomene, räumt Fischer ein. So gebe es mehr Studien zu angesagten Clubs oder Musikrichtungen wie Techno oder Hip-Hop als zu Disko, zumal auf dem Lande. Das sei schade, so Fischer, erzählten gerade die scheinbar unspektakulären Orte der ländlichen Freizeitkultur ein Stück regionaler Gesellschafts- und Kulturgeschichte: „Die Diskotheken im Schwarzwald waren zentrale Orte jugendlicher Sozialisation, noch heute schwärmen die Ältergewordenen von ihren Musik-, Tanz- und Freundschaftserlebnissen.“ Und nicht zuletzt zeigten diese Betriebe, wie sich die ländliche Gesellschaft modernisierte und wie sie jungen Menschen neue Erlebnisangebote machten.
Fischers Forschungsschwerpunkte beziehen sich auf die Geschichte und kulturanthropologische Bedeutung populärer Musik sowie auf deren Medialisierung. Er lehrt an der Universität Freiburg in den Fächern Kulturanthropologie und Medienkulturwissenschaft.
Originalpublikation:
Fischer, M. (2020): Diskotheken im ländlichen Raum. Populäre Orte des Vergnügens in Südwestdeutschland (1970–1995). Münster.
Kontakt:
Dr. Dr. Michael Fischer
Zentrum für Populäre Kultur und Musik
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: +49 (0) 761 / 70 50 3–15
michael.fischer@zpkm.uni-freiburg.de