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Neue Erkenntnisse zur Entwicklung des Auges

Forscher aus Freiburg und Heidelberg revidieren bisherige Lehrmeinungen und finden Ursache von Fehlbildungen

Freiburg, 24.02.2015

 Neue Erkenntnisse zur Entwicklung des Auges

Forscher verfolgten die Entwicklung des Auges in lebenden Fischen vom Augenbläschen (oben) zum Augenbecher (unten). Sie entdeckten, dass Netzhautstammzellen (siehe Kreis) an ihren Bestimmungsort wandern (in Pfeilrichtung). Quelle: Stephan Heermann

Mithilfe einer hochauflösenden Videomikroskopie an lebenden Fischen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Freiburg die bisherige Lehrmeinung zur Augenentwicklung bei Wirbeltieren revidiert. Das Team von Prof. Dr. Joachim Wittbrodt, Centre for Organismal Studies der Universität Heidelberg (COS Heidelberg), Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Freiburg, und Privatdozent Dr. Stephan Heermann, COS Heidelberg und Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Freiburg, hat gezeigt, dass bei der Augenentwicklung gerichtete Gewebeströmungen das Augenbläschen in den Augenbecher umformen. Dies bedeutet, dass sich das Auge von Wirbeltieren, zu denen der Mensch zählt, anders entwickelt, als es seit mehr als 70 Jahren gelehrt wird. Außerdem sind die Ergebnisse wesentlich, um die Entstehung des Koloboms, der so genannten Katzenaugenkrankheit, zu verstehen. Die Studie ist im Fachjournal „eLife“ veröffentlicht worden.

Das Auge ist eine Ausstülpung des Gehirns. Es bildet sich während der Embryonalentwicklung aus einem sackartigen Bläschen. Dieses formt sich in einen Augenbecher um – mit der innen liegenden Netzhaut, die außen vom Pigmentepithel umschlossen wird. Misslingt dieser Schritt, schließt sich der Augenbecher nicht: Es entsteht ein Kolobom, eine der häufigsten Ursachen für kindliche Blindheit.

Bisher ging die Forschung bei der Transformation zum Augenbecher von einer so genannten ortsständigen Entwicklung aus: Die innere Seite des Bechers entwickelt sich zur Netzhaut, die äußere zum Pigmentepithel. Bei der Untersuchung dieses Entwicklungsschritts stellten die Wissenschaftler nun jedoch fest, dass sich der Augenbecher durch einen dynamischen Fluss von Zellen der äußeren in die innere Seite bildet. Außerdem zeigten sie, dass Wachstumsfaktoren – Proteine, die Signale zwischen Zellen weiterleiten – diesen Gewebefluss steuern. Dabei muss der Signalweg des Wachstumsfaktors BMP verändert werden, damit sich das Bläschen in den Becher transformieren kann. Bleibt diese Modulation aus, bleibt das Gewebe auf der äußeren Seite stecken. Das steckengebliebene Gewebe differenziert sich dann im äußeren Bereich, also am falschen Ort, in die Netzhaut. Zudem ist der Gewebefluss maßgeblich an der Entwicklung des Augenbecherspalts beteiligt. Dies hat bei beeinträchtigtem Gewebefluss zur Folge, dass sich der Augenbecherspalt nicht schließt und ein Kolobom entsteht.

Darüber hinaus fand das Team den Ursprungsort der Stammzellen im Auge von Fischen. Es zeigte sich, dass es schon im Augenbläschen zwei festgelegte Areale gibt, in denen die Stammzellen zu finden sind. Bei diesen handelt es sich um die Zellen, die zuletzt in den Augenbecher fließen und an der Grenze zwischen der Netzhaut und dem Pigmentepithel zu liegen kommen, was mittels Videomikroskopie an lebenden Zebrabärblingen analysiert wurde. Der dynamische Fluss während der Augenentwicklung erklärt außerdem, warum die Differenzierung – die Spezialisierung in Zellen mit unterschiedlichen Funktionen – der Zellen der Netzhaut im Zentrum des inneren Augenbechers beginnt und sich dann in die Peripherie fortsetzt: Die Zellen, die sich zuerst differenzieren, liegen demnach schon zu Beginn der Entwicklung im inneren Bereich des Augenbechers. Zellen, die erst in den Augenbecher hineinfließen, differenzieren dagegen später.

Pressemitteilung der Universität Heidelberg:
www.uni-heidelberg.de/presse/news2015/pm20150224_organbildung-durch-fliessendes-gewebe.html

Originalveröffentlichung:
Heermann S., Schütz L., Lemke S., Krieglstein K., Wittbrodt J. (2015). Eye morphogenesis driven by epithelial flow into the optic cup facilitated by modulation of bone morphogenetic protein. eLIFE, DOI: dx.doi.org/10.7554/eLife.05216

Kontakt:

Prof. Dr. Kerstin Krieglstein
Medizinische Fakultät
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Tel.: 0761/203-72410
E-Mail: kerstin.krieglstein@uniklinik-freiburg.de

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