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Die baden-württembergischen Landesuniversitäten fordern von Wissenschaftsverlagen faire Preise und bessere Konditionen

Freiburg, 07.07.2017

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Foto: Baschi Bender

DEAL: So heißt die deutschlandweite Gruppe, die seit Monaten im Auftrag der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen mit den Verlagsriesen Elsevier, Springer Nature und Wiley verhandelt. Die Wissenschaftsverlage bieten unter anderem den elektronischen Zugriff auf Tausende von Fachzeitschriften – für Forschende und Studierende unverzichtbar. Doch der Unmut der Universitäten steigt. Sie fordern von den Verlagen angemessene Konditionen und faire Preise. Nun erhöht sich der Druck: Die Landesrektorenkonferenz (LRK) Baden-Württemberg will den Landesvertrag mit Elsevier zum Jahresende kündigen – Ende 2016 haben knapp 70 namhafte Wissenschaftseinrichtungen in Deutschland ihre Zusammenarbeit mit dem Verlag beendet. Dr. Antje Kellersohn, Direktorin der Universitätsbibliothek Freiburg und Sprecherin der DEAL-Projektgruppe, hat Rimma Gerenstein erklärt, was das für die Nutzerinnen und Nutzer bedeutet.


Unverzichtbar für Studium, Forschung und Lehre: Open Access und der dauerhafte Zugang zu E-Zeitschriften. Foto: Baschi Bender

Frau Kellersohn, eigentlich ist es doch ganz einfach: Die Universitäten kaufen bei Verlagen einen Service ein und schließen mit ihnen einen Vertrag darüber ab. Warum gibt es nun Probleme?

Antje Kellersohn: Das liegt darin begründet, dass die drei Großverlage im Laufe der Jahre eine extrem starke Marktposition, auch auf internationaler Ebene, erlangt haben. Ihre Preisforderungen überschreiten bei weitem die allgemeine Inflationsrate. Das hat zur Folge, dass die meisten Wissenschaftsstandorte in Deutschland – dazu gehören Universitäten, Staats- und Regionalbibliotheken oder Hochschulen für Angewandte Wissenschaften – ihre Nutzerinnen und Nutzer seit Jahren nicht mehr angemessen mit aktueller Literatur für Studium, Forschung und Lehre versorgen können. Die Lizenzen sind zu teuer, und immer mehr Einrichtungen sind gezwungen abzubestellen. Gleichzeitig verfolgen die Verlage ein Geschäftsmodell, das den modernen Wissenschaftsbetrieb vor dem Hintergrund der Digitalisierung nicht ausreichend berücksichtigt. Nehmen wir zum Beispiel „Open Access“. Es steht im Einklang mit der Strategie der Europäischen Union, der Bundesregierung und der Förderpolitik der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Verlage jedoch tun sich immer noch sehr schwer, hierfür angemessene Rahmenbedingungen zu schaffen.

Was fordert DEAL konkret von den Wissenschaftsverlagen?

Wir wollen mit Elsevier, Springer Nature und Wiley deutschlandweite Lizenzverträge abschließen, die das komplette Portfolio von E-Journals umfassen. Das bedeutet für uns: Wir bekommen einen dauerhaften Volltextzugriff auf die Fachzeitschriften, alle Publikationen von Autorinnen und Autoren deutscher Einrichtungen werden automatisch über Open Access verfügbar gemacht und die Preise orientieren sich am Publikationsaufkommen. Stichwort „publish and read“. Mehrere hundert Einrichtungen haben sich bundesweit im DEAL-Konsortium zusammengeschlossen, weil wir endlich eine nachhaltige Verbesserung bei den Inhalten und den Preisen erreichen wollen. Wir sind in Deutschland übrigens nicht alleine. Kolleginnen und Kollegen in mehreren Nachbarländern, in denen ebenfalls ähnliche Verhandlungen auf nationaler Ebene laufen, stehen mit uns in regelmäßigem Kontakt. Beispielhaft finde ich eine Aktion aus Finnland: „No deal, no review “.


„Unsere Forderungen sind klar – jetzt ist der Verlag am Zug“: Antje Kellersohn führt die Verhandlungen für die bundesweite Gruppe DEAL. Foto: Baschi Bender

Warum sollen die Verlage auf Konditionen eingehen, die für sie ungünstig sind? Mit anderen Worten: Sind die Forderungen der Universitäten berechtigt?

Ja, davon sind wir überzeugt. Das erklärt sich aus dem Wissenschaftsbetrieb: Die Autoren von Fachpublikationen erhalten in der Regel kein Honorar von den Verlagen. Zudem übernehmen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler üblicherweise kostenlos das Lektorat der Beiträge, und die darin beschriebene Forschung wird ja ohnehin aus Steuern finanziert. Darüber hinaus werden die Publikationen mittlerweile meist elektronisch veröffentlicht; die Druck- und Distributionskosten entfallen also. Dennoch stellen die Verlage horrende Preise in Rechnung. Bei Elsevier zum Beispiel beträgt die Umsatzrendite 40 Prozent, und trotzdem will der Verlag die Lizenzpreise noch weiter erhöhen. Das letzte Angebot an die DEAL-Gruppe belief sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Das ist inakzeptabel. Wir haben Elsevier immer wieder nachdrücklich aufgefordert, ein revidiertes, faires Angebot zu übermitteln. Darauf warten wir bis zum heutigen Tage.

Derzeit sind die Verhandlungen mit Elsevier unterbrochen – die Gespräche mit den anderen Wissenschaftsverlagen gehen weiter. Was bedeutet das für die Nutzer?

Bis Ende des Jahres 2017 hat die Entscheidung der LRK überhaupt keine Auswirkungen auf die Informationsversorgung für unsere Universitätsangehörigen, denn der Vertrag mit Elsevier hat Bestand. Außerdem hat die Projektgruppe DEAL im Vorfeld der Verhandlungen ein Notfallkonzept ausgearbeitet, um die Auswirkungen für die Forschenden und Studierenden möglichst gut abzufedern. Bei den Wissenschaftseinrichtungen, die ihre Verträge gekündigt hatten, hat Elsevier zu Beginn des Jahres die Zugänge gesperrt, ab Mitte Februar nur teilweise wieder geöffnet. Einige dieser Einrichtungen greifen seit mehr als sechs Monaten auf eine Notversorgung zurück. Dazu gehören zum Beispiel Fernleihe, Dokumentlieferung und Pay-per-View-Dienste. Das ist zwar nicht so komfortabel, aber zum Glück haben die Nutzer großes Verständnis für die Situation. So würde das auch in Freiburg aussehen, falls wir uns bis Anfang des nächsten Jahres nicht mit Elsevier handelseinig geworden sein sollten. Ich bin aber optimistisch, dass wir rechtzeitig zu einem DEAL-Abschluss kommen. Unsere Forderungen sind klar – jetzt ist der Verlag am Zug.

DEAL
www.projekt-deal.de

Pressemitteilung der Landesrektorenkonferenz
www.lrk-bw.de/index.php/pressemitteilungen