„Es tut sich enorm viel auf dem Gebiet“
Freiburg, 18.09.2019
Physik im Premierenfieber: Für die interessierte Öffentlichkeit, Lehramtsstudentinnen und -studenten, Lehrerinnen und Lehrer an Schulen und selbstverständlich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler veranstaltet die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) erstmals eine Herbsttagung. Aller drei Fachsektionen der DPG tragen das neue Tagungsformat gemeinsam. Sie befassen sie sich mit nur einem Themenkomplex – „Quantenwissenschaft und Informationstechnologie“. Auch das ist ein Novum, sagt der örtliche Tagungsleiter Prof. Dr. Andreas Buchleitner. Mit Jürgen Schickinger sprach der Inhaber der Professur für Quantenoptik und Statistik am Physikalischen Institut der Universität Freiburg darüber, was es mit den vielen Neuerungen auf sich hat und warum ihm Risikoabschätzung am Herzen liegt.
Energie freisetzen: Die Tagung präsentiert einen fächerübergreifenden Zugang zu einem aktuellen Wissenschaftsthema und bringt Forschende unterschiedlicher Disziplinen miteinander ins Gespräch. Foto: agsandrew/stock.adobe.com
Herr Buchleitner, warum hat die DPG ein neues Veranstaltungsformat gestartet?
Andreas Buchleitner: Unser Anliegen war eine Tagung, die ein aktuelles Wissenschaftsthema interdisziplinär angeht und Forscherinnen und Forscher zusammenbringt, die sich nicht so oft treffen. Sonst tagen die drei DPG-Sektionen für Kondensierte Materie, für Atom-, Molekül-, Plasmaphysik und Quantenoptik sowie für Materie und Kosmos jeweils separat.
Damit wollen Sie auch die Öffentlichkeit, Lehrkräfte und Fachfremde ansprechen?
Ja, wir erwarten auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die noch keine Spezialisten für Quanten- oder Informationstechnologie sind. Viele Vorträge werden darum einführenden Charakter haben und wichtige Grundlagen verständlich vorstellen. Sie eignen sich ebenfalls für Lehrer und Lehramtsstudenten. Lehrer können gratis an der Tagung teilnehmen, ebenso Studenten der Albert-Ludwigs-Universität, die noch keinen Master oder ähnlichen Abschluss in der Tasche haben. Zum Thema Lehre haben wir sogar einen speziellen Programmteil eingerichtet. Darüber hinaus wollen wir Wissen in die Gesellschaft bringen. Deshalb finden an drei Abenden öffentliche Veranstaltungen statt, die ebenfalls gratis sind.
Ist die Quantentechnologie schon im Alltag präsent?
Ja, häufig: Beispielsweise Laser in CD-Playern, integrierte Schaltkreise von Computern, GPS-Systeme und Kernspintomografen basieren bereits auf Quantenmechanik. Sie ist womöglich die erfolgreichste wissenschaftliche Theorie, was Anwendungen betrifft. Auf der Tagung werden Quantencomputer großen Raum einnehmen. Sie sind die wissenschaftlich spannendste Entwicklung der aktuellen, zweiten Quantenrevolution. Die zielt darauf ab, viele einzelne Quantenteilchen synchron manipulieren und kontrollieren zu können und ihre Zustände anschließend genau auslesen zu können.
Quanten können sich beispielsweise gleichzeitig in zwei Richtungen drehen. Das sprengt die Vorstellungskraft. Können Sie in einfachen Worten erklären, was Quantencomputer von klassischen abhebt?
Herkömmliche Rechner arbeiten mit Bits, die jeweils entweder den Wert 1 oder 0 annehmen. Das eine schließt das andere aus. Quantencomputer arbeiten mit Qubits oder Quantenbits, die dank Superpositionsprinzip beide Zustände gleichzeitig einnehmen können. Um ein stark vereinfachtes Bild zu bemühen: In einem Schlosspark mit vielen Weggabelungen muss sich ein klassischer Spaziergänger an jeder Verzweigung neu entscheiden. Dagegen kann ein Quantenwandler alle möglichen Pfade in einem einzigen Durchgang ablaufen – womit sich beispielsweise ein verlorener Schlüssel sehr viel schneller finden ließe.
Die Quantenmechanik ist womöglich die erfolgreichste wissenschaftliche Theorie, was Anwendungen betrifft, sagt Andreas Buchleitner. Foto: Patrick Seeger
Wie schlägt sich das konkret in der Leistung nieder?
Es gibt derzeit nur wenige Algorithmen, mit denen Quantenrechner ein paar Spezialprobleme besser bearbeiten als herkömmliche Rechner. Aber wenn die Quantentechnologie alle ihre Versprechen hält, werden Quantencomputer irgendwann viel schneller sein. Um wie viel, weiß niemand genau. Grundsätzlich spricht nichts gegen eine millionenfache Leistungssteigerung.
Wie weit ist die Entwicklung?
Nicht sehr weit: Wir können quasi per Quantenlego zwei, drei Quanten oder ein paar mehr wirklich synchron miteinander verbinden. Das reicht womöglich für einzelne Spezialanwendungen. Doch für Computer, die alle möglichen Aufgaben lösen können, bräuchten wir nach aktuellen Schätzungen mehrere tausend Quanten. Aber es tut sich enorm viel auf dem Gebiet. Quantentechnologie ist hochinteressant für die Industrie – wir haben auch einen Redner von Bosch dabei – und für junge Leute.
Warum finden Sie es wichtig, schon so früh über mögliche Folgen der Technologie zu reden?
Bisher haben wir darüber nicht gesprochen. Das halte ich für einen Fehler. Wie schon die klassische Digitalisierung wird die Quantentechnologie uns absehbar neue Instrumente in die Hand geben, die man ganz unterschiedlich nutzen kann. Um dem gesellschaftlich nicht abermals hinterherzuhinken, sollten wir schon jetzt auch über Technikfolgen nachdenken. Es geht, wie immer, um den intelligenten und zivilisierten Gebrauch neuer Technologie. Wissenschaftler haben die beste Vorstellung davon, was man mit der Technologie, an der sie forschen, unter Umständen mal alles anstellen kann. Daraus ergibt sich eine Verantwortung auch im gesellschaftlichen Diskurs, bei dem es wünschenswert wäre, wenn wir die wissenschaftliche Kardinaltugend – Skepsis – einbringen würden. Um das Spannungsfeld zwischen Begeisterung für, Erwartungen an und Vertrauen in die Wissenschaft dreht sich die öffentliche Abendveranstaltung „Forschung zwischen Hype und Hope“, eine Podiumsdiskussion mit Publikumsbeteiligung. Und am Donnerstagabend laden wir die Öffentlichkeit zum Gespräch über die auf der Tagung verhandelten wissenschaftlichen Trends ein.
Bringen Quantencomputer auch neuartige Probleme mit sich?
Funktionierende Quantencomputer werden schwierige algorithmische Probleme in sehr viel kürzerer Zeit lösen können, als dies heute mit klassischen Computern möglich ist – beispielsweise beim Knacken von Verschlüsselungssystemen. Das gehört zu den offensichtlichen Konsequenzen. Doch richtig interessant sind jene, die wir mangels Vorstellungskraft noch nicht auf dem Schirm haben.
Wer wird die Technologie zuerst nutzen und hätte damit überhaupt die Möglichkeit, sie zu missbrauchen?
Quantencomputer zu entwickeln und bauen ist sehr teuer. Daher sieht es momentan so aus, als zögen vor allem große Konzerne wie Google, Microsoft, IBM und das zunehmend totalitäre China auf die Überholspur. Erstere bezahlen so etwas aus ihrer Portokasse. Auch in der chinesischen Einmannshow sind Geldströme leicht zu dirigieren. Aber auch europäische Unternehmen und unsere offenen Gesellschaften investieren jetzt verstärkt in die Technologie, um diesen Zug nicht zu verpassen.
Öffentliche Abendveranstaltungen
EinsteinSlam
Dienstag, 24. September 2019, 20 Uhr
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen in zehn Minuten die Besucher für ihre Forschung begeistern. Alle Formen der Präsentation sind erlaubt. Das Publikum kürt per Abstimmung die beste Darbietung.
Forschung zwischen Hype und Hope – Welche Bedingungen braucht gute Wissenschaft?
Mittwoch, 25. September 2019, 19.30 Uhr
Diskussion mit Journalisten und Wissenschaftlern nach der Fishbowl-Methode zur Rolle der Wissenschaft in einer offenen Gesellschaft.
Revolution in der Quantenwelt?
Donnerstag, 26. September 2019, 19.30 Uhr
Impulsvorträge von drei Wissenschaftlern und Diskussion über neue Konzepte und Entwicklungen in der Quantentechnologie.
Alle Veranstaltungen finden im Audimax statt, Kollegiengebäude II, Platz der Alten Synagoge 1, 79085 Freiburg. Der Eintritt ist frei.