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„Eine Person unter Verdacht verdient ein faires Verfahren“

Gisela Riescher über die Gratwanderung zwischen Vertraulichkeit und Transparenz bei dem Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten

Freiburg, 28.07.2017

„Eine Person unter Verdacht verdient ein faires Verfahren“

Foto: Pixabay

Vertraulichkeit und Transparenz: Diese Begriffe standen im Juli 2017 im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion in der Reihe „Freiburger Gespräche zur Redlichkeit in der Wissenschaft". Claus Schneggenburger, ehemaliger Leiter des SWR-Studios Freiburg, unterstrich die essenzielle Rolle der Medien bei der Information der Bürgerinnen und Bürger – Prof. Dr. Uwe Blaurock, Beauftragter für die Selbstkontrolle in der Wissenschaft an der Universität Freiburg, plädierte für die Notwendigkeit, manche Fragen zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu klären. Doch welche Informationen gibt die Universität überhaupt bei journalistischen Anfragen heraus? Wie geht sie mit Verdachtsfällen auf Plagiat oder Datenfälschung um? Und ist bei dem heutigen Publikationsdruck ein sauberes und ordentliches Arbeiten überhaupt möglich? Darüber hat Rimma Gerenstein mit Prof. Dr. Gisela Riescher, Prorektorin für Redlichkeit in der Wissenschaft, Gleichstellung und Vielfalt, gesprochen.

Foto: Pixabay

Frau Riescher, bei der Podiumsdiskussion standen Vertraulichkeit und Transparenz im Mittelpunkt. Ist das ein Gegensatz?

Gisela Riescher: Vertraulichkeit und Transparenz stehen manchmal in einem Gegensatz zueinander, aber manchmal gehen sie auch Hand in Hand. Sie schließen sich aus, wenn wir jemandem, der unter Verdacht steht, wissenschaftliches Fehlverhalten begangen zu haben, ein faires Verfahren garantieren wollen. Hier steht zunächst Vertraulichkeit im Vordergrund. Doch Vertraulichkeit und Transparenz ergänzen sich, wenn dieses Verfahren abgeschlossen ist: Dann informieren wir die Öffentlichkeit und stellen Transparenz her.

Wenn journalistische Anfragen zu wissenschaftlichem Fehlverhalten kommen, landen sie auf Ihrem Tisch. Welche Informationen gibt die Universität preis?

Das ist ganz klar geregelt: Während eines Verfahrens nennen wir keine Namen, wir geben keine Bewertungen ethischer oder moralischer Art ab, wir sprechen nicht über Mutmaßungen und schon gar nicht darüber, wann die Kommission, die mit der Prüfung eines Falls betraut ist, zu einem Abschluss kommen wird. Wenn die betroffenen Personen selbst an die Presse gehen und die Journalistinnen und Journalisten ihren Namen kennen, können wir etwas transparenter sein. Aber grundsätzlich gilt: Wir informieren erst, nachdem ein Verfahren abgeschlossen ist.

Haben Sie Verständnis dafür, wenn Journalisten nicht locker lassen?

Sicher. Nachzufragen ist ihr Job, und als Landesuniversität, die von Steuergeldern finanziert wird, haben wir eine Auskunftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit. Aber bei unserem Diskussionsabend ist ebenfalls deutlich geworden, dass Verständnis auch immer eine Frage der Gegenseitigkeit ist. Das bedeutet: Journalisten sollten Verständnis dafür haben, dass es manchmal notwendig ist, die Öffentlichkeit für eine gewisse Zeit auszuschließen.

Wenn Medien die Namen von Forschern verbreiten, die unter Verdacht von wissenschaftlichem Fehlverhalten stehen, kann das irreparablen Schaden bewirken, sagt Gisela Riescher. Foto: Ingeborg F. Lehmann

Wann trifft das zu?

Wenn es um Persönlichkeitsschutz geht. Stellen Sie sich vor, eine Forscherin oder ein Forscher wird eines Plagiats beschuldigt. Eine Zeitung druckt den Namen ab, andere Medien greifen ihn auf und verbreiten die Nachricht. Der Schaden, der dieser Person dadurch zugefügt wird, kann irreparabel sein und ihre ganze Karriere zerstören. Und sollten sich die Vorwürfe als nicht stichhaltig erweisen, bleiben sie doch im medialen Gedächtnis. Die Rehabilitation erreicht die Öffentlichkeit nicht immer. Deswegen müssen wir die Angehörigen unserer Universität durch vertrauliche Verfahren schützen. Eine Person unter Verdacht verdient ein faires Verfahren.

Angenommen, ein Verdacht auf Plagiat oder auf Datenfälschung hat sich erhärtet. Finden Sie, dass ein Forscher dann noch in der Wissenschaft arbeiten kann?

Von der Philosophin Hannah Arendt her kommend, für die die Fähigkeit des Neubeginns zum Wesen des Menschen gehört, würde ich sagen, dass es immer Neuanfänge gibt. Vertrauen lässt sich wieder erarbeiten, auch wenn wir aus der Vertrauensforschung wissen, wie mühsam das ist. Deshalb ist jedem Menschen die Chance zuzugestehen, sich wieder in der Wissenschaft zu bewähren.

Apropos Zeit: In den vergangenen Jahren hat sich der Publikationsdruck sowohl im Journalismus als auch in der Wissenschaft stark verändert. Der Slogan „publish or perish" scheint nun für beide Berufssparten zu gelten. Ist sauberes und ordentliches Arbeiten in diesen Strukturen überhaupt noch möglich?

Der Journalismus und die Wissenschaft arbeiten mit sehr unterschiedlichen Zeithorizonten: Ein Journalist muss schnell auf eine Nachricht reagieren und sie veröffentlichen, in der Forschung hat man länger Zeit, um Themen zu durchdenken. Doch für beide Bereiche gilt: Wir dürfen nicht die Kernprinzipien unserer Arbeit vernachlässigen. Alles, was wir veröffentlichen, muss nachweisbar sein. Ich sehe übrigens auch positive Entwicklungen in der Wissenschaft, die dem Druck Einhalt gebieten und uns in unserer Arbeitsweise disziplinieren. Die Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft zum Beispiel fordern bei Anträgen nicht mehr die ganze Publikationsliste an, sondern bitten um fünf herausragende Publikationen, die der Forscher als relevant empfindet. Das fördert Qualität statt Quantität.

Sie haben Ihre Dissertation in den 1980er und Ihre Habilitation in den 1990er Jahren angefertigt. War Redlichkeit in der Wissenschaft damals ein Thema?

Es hieß zwar nicht „Redlichkeit in der Wissenschaft" und auch nicht „Research Integrity", aber das Thema war stets präsent. Ich hatte im Studium Kurse zu Techniken des wissenschaftlichen Arbeitens: Wo finde ich Informationen? Wie gehe ich damit um? Wie kennzeichne ich, dass ich die Gedanken anderer in meiner Arbeit übernommen habe? Ich erinnere mich noch an die Zitationskurse. Da wurden ganze Büchertische angerollt, auf denen sich Quellen auf Griechisch und Latein stapelten. Und damit hatte man dann zu arbeiten. Glauben Sie mir, das war nicht immer spannend. Aber am Ende wusste man, wie man eine Hausarbeit zu schreiben hat. Und ich habe in diesen Kursen eine grundlegende Voraussetzung der Wissenschaft gelernt: Wissenschaftlichkeit heißt Überprüfbarkeit. Wir müssen etwas überprüfen können, um es nachzuvollziehen – und auch, um es widerlegen zu können.



Verfahren bei Verdacht

Was passiert, wenn an der Universität Freiburg ein Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten geäußert wird?

Eingehende Hinweise werden meist zunächst an den Beauftragten für die Selbstkontrolle in der Wissenschaft, den Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Uwe Blaurock, weitergegeben. Als eine Art Ombudsmann nimmt er eine erste Plausibilitätsprüfung vor.

Wenn sich der Verdacht erhärtet, leitet der Beauftragte die Angelegenheit in der Regel an die Untersuchungskommission zur Sicherung der Redlichkeit in der Wissenschaft weiter, die den Fall eingehender prüft. Dabei unterliegt sie der Amtsverschwiegenheit.

Abschließend erstellt die Kommission einen Sachstandsbericht, auf dessen Basis der Rektor über das weitere Vorgehen entscheidet – zum Beispiel über disziplinarrechtliche Konsequenzen oder die Weitergabe an den Prüfungsausschuss einer Fakultät. Nur sie kann entscheiden, ob zum Beispiel einer Forscherin oder einem Forscher ein Doktortitel aberkannt wird.

Informationen zur Redlichkeit in der Wissenschaft