Der doppelte Doktorgrad
Freiburg, 15.06.2020
Anmerkung der Redaktion: Die in diesem Artikel enthaltenen Fotos wurden aufgenommen, bevor aufgrund der Corona-Pandemie zu sozialer Distanz geraten und eine entsprechende Verordnung veröffentlicht wurde.
Seit fünf Jahren besteht im Rahmen einer Schlüsselpartnerschaft mit der Universität von Adelaide/Australien die Möglichkeit, einen internationalen Doktorgrad zu erwerben. Erst eine Handvoll von Promovierenden der Medizin hat an diesem besonderen Programm teilgenommen. Nun startete es auch in der Pharmazie. Nach ihrem ersten Jahr in Adelaide forscht die Freiburger Pharmazie-Absolventin Laurine Kaul derzeit für ein Jahr an der Albert-Ludwigs-Universität. Am Ende wird sie einen Abschluss von beiden Universitäten haben.
Laurine Kaul (links) forscht im Labor bei Regine Süss an Nanopartikeln, die Wirkstoffe zielgenau an den vorgesehenen Wirkort bringen. Foto: Thomas Kunz
Sie trägt einen französischen Vornamen, hat eine australische E-Mail-Adresse, spricht neben Deutsch als Muttersprache ebenso perfekt Französisch und Englisch: ideale Voraussetzungen, um wie Laurine Kaul auf der ganzen Welt zuhause zu sein. Die biografischen Weichen dafür wurden früh gestellt: Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen ist die heute 27-jährige Tochter deutscher Eltern in Frankreich. An der Universität Freiburg hat sie Pharmazie studiert. Nach der Approbation als Apothekerin „brauchte ich eine Auszeit“: Ein Jahr lang reiste sie durch Australien und schlug sich mit allen möglichen Jobs durchs Leben: Babysitten, Gärtnern, Streichen, Renovieren, Putzen. Auch in Apotheken in Deutschland und Australien arbeitete sie jeweils für einige Monate. Die Auszeit ließ in ihr die Idee reifen, eine Promotion anzustreben.
Strategische Partner
Wie für sie gemacht erscheint ein Joint Doctoral Programm, ein Programm zum Erwerb eines internationalen Doktorgrads. Es wurde vor fünf Jahren zwischen den Universitäten Adelaide und Freiburg auf Betreiben der Fakultät für Medizin vertraglich vereinbart und ist inzwischen auf die Chemie und Pharmazie erweitert worden. Beide Universitäten verstehen sich als strategische Partner. Auch mit der Universität von Nagoya/Japan hat Freiburg in der Medizin eine solche Vereinbarung geschlossen. „Sie ist auf eine breite Zusammenarbeit ausgerichtet und soll möglichst viele Tätigkeitsfelder und Fachbereiche, von der Verwaltung bis zur Forschung und Lehre, abdecken“, erklärt Kathrin Jehle vom International Office. Ein internationaler Doktorgrad in der Pharmazie passte ins Konzept. Zumal Laurine Kaul über eine Freundin schon den Kontakt zu ihrer künftigen „Doktormutter“, Prof. Dr. Katharina Richter, hergestellt hatte. Die aus Thüringen stammende promovierte Pharmazeutin betreibt biomedizinische Forschung an der Universität Adelaide und leitet eine Forschungsgruppe, die neue Behandlungen gegen antibiotikaresistente Krankenhauskeime entwickelt. Den Supererregern fallen nach ihren Angaben jedes Jahr weltweit etwa 700.000 Menschenleben zum Opfer.
Vom traditionellen Campus bis zum futuristischen Health and Medical Sciences Building: Die Universität Adelaide ist einer von fünf Schlüsselpartnern der Universität Freiburg.
Foto: University of Adelaide
Arzneimittel in Form eines Gels
Für Laurine Kaul ein verlockendes Forschungsthema, dem sie zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen will. In Adelaide fahndete sie in Versuchsreihen mit menschlichen Zellen ein Jahr lang nach Wirkstoffen, die solche Keime abtöten, ohne den Zellen zu schaden. Dabei habe ihr die „Spürnase“ ihrer betreuenden Professorin geholfen. Die Suche endete erfolgreich mit „zwei Stoffen, die in Kombination gut wirken“. Welche das sind, will sie noch nicht verraten. Aus ihnen will sie jetzt ein Arzneimittel in Form eines Gels entwickeln, das bei chirurgischen Eingriffen zum Einsatz kommen soll. Zum Beispiel während der Operation nach einem Leistenbruch. Dabei wird oft ein Kunststoffnetz zur Stabilisierung der Bauchdecke eingesetzt. Das Implantat kann zum möglichen Einfallstor für Bakterien werden. Deshalb werden nach diesen Operationen vorsorglich Antibiotika gegeben – mit allen damit verbundenen Risiken: geschwächte Patientinnen und Patienten vertragen die Nebenwirkungen nicht, Keime erweisen sich als resistent gegen das Mittel, Implantate müssen ausgetauscht werden. Laurine Kaul schwebt vor, die Keimbildung von vornherein zu verhindern. Noch während das Netz eingesetzt wird, wird das biologisch abbaubare Gel eingespritzt. In Depotform soll es über einen längeren Zeitraum seine Wirkstoffe freisetzen. Aber wie kommen die schwer löslichen Stoffe in die Substanz hinein und anschließend wieder raus? „Ich brauchte was zum Reinpacken“, erzählt die Doktorandin.
Wirkstoffe in Nanopartikel verpacken
An dieser Stelle kommt die Universität Freiburg ins Spiel. An der Professur für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie forscht Prof. Dr. Regine Süss genau an solchen technologischen Transportsystemen, die Wirkstoffe zielgenau an den vorgesehenen Wirkort bringen. Als Vehikel eignen sich so genannte Nanopartikel: kleinste, nur noch im Elektronenmikroskop erkennbare Teile aus mit Polymeren vermischten Lipiden, in die ein Medikament verpackt und an seinen Zielort verschickt wird. Die ideale Ergänzung zu dem, was Laurine Kaul vorhat. Seit Anfang 2020 ist sie für ein Jahr Teil der Arbeitsgruppe von Regine Süss, bevor sie wieder für ein Jahr zurück an ihre Heimatuniversität Adelaide geht. Von dieser hat sie ein spezielles Stipendium erhalten, von dem sie ihren Lebensunterhalt, die Krankenversicherung und die sehr hohen australischen Studiengebühren bestreiten kann. Als „viel entspannter, mit weniger Wettbewerbsdruck“ erlebt sie die deutsche Forschungswelt im Vergleich zur australischen. Sie freut sich, hier auch mal in die Lehre hineinschnuppern und mit Studierenden im Labor arbeiten zu können, was sie aus Australien nicht kennt. Sie knüpft Netzwerke in beiden Ländern, vertieft ihre Sprachkenntnisse und ist überzeugt: „Es wird sich lohnen für die berufliche Karriere.“ Am Ende der drei Jahre wird sie einen Abschluss von beiden Universitäten in der Tasche haben.
In einer Zentrifuge werden Zellen, die mit in Nanopartikeln verpackten Wirkstoffen behandelt wurden, für die weitere Analyse aufbereitet. Foto: Thomas Kunz
Erst eine Handvoll Promovierende haben laut Kathrin Jehle das Joint Doctoral Program absolviert. Sie hofft, dass es noch mehr werden, auch in anderen Fachbereichen. Aber „das Thema muss auch zum Forschungsfeld in der Partneruniversität passen“. Viele Details der Zusammenarbeit in einem für das Programm neuen Fachbereich müssen vertraglich geregelt werden. Das International Office bietet dafür seine fachliche Begleitung an – und berät auch in Zeiten eingeschränkter internationaler Mobilität zu Möglichkeiten der Kooperation mit Partneruniversitäten
Inspirationen für zu Hause
Ein „tolles Programm“, schwärmt Regine Süss und empfiehlt es zur Nachahmung. Sie ist selbst vier Wochen nach Australien gereist und hat über das Doktorandenprogramm hinaus mannigfaltige Inspirationen zur kooperativen Erweiterung ihres eigenen Arbeitsfeldes mit nach Hause gebracht. Bislang konzentriert sich die pharmazeutische Technologie an ihrem Institut vorwiegend auf die Entwicklung personalisierter Krebstherapien. Die Bakterienbekämpfung mittels Nanotechnologie zu intensivieren hält sie für eine interessante Perspektive. Die wissenschaftliche Expertise beider Arbeitsgruppen könnte sich in idealer Weise gegenseitig ergänzen.
Laurine Kaul jedenfalls hat Gefallen an der Forschung gefunden und kann sich vorstellen, auch nach ihrer internationalen Promotion damit weiterzumachen. Viele Wege stehen ihr offen. „Mal sehen, wo es mich hin verschlägt.“
Anita Rüffer
Joint Doctoral Programs
Schlüsselpartner der Universität Freiburg