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Ausleihe auf Abstand

Die Universitätsbibliothek gehört zu den am meisten besuchten Gebäuden Freiburgs – seit Mitte April 2020 hat sie im Notbetrieb wieder geöffnet

Freiburg, 07.05.2020

Ausleihe auf Abstand

Foto: Marie Hopermann

Auf einmal stand es still, das Herz des Freiburger Wissenschaftsbetriebs: Die Universitätsbibliothek (UB) musste am 13. März 2020 aufgrund eines Infektionsfalls mit Covid-19 schließen. Knapp 10.000 Personen nutzen die UB täglich. Plötzlich war nicht mehr klar, wann sie wieder Zugriff zu den benötigten Büchern, Zeitschriften und Datenbanken haben würden – geschweige denn ins Gebäude könnten. Knapp fünf Wochen hat es gedauert; Mitte April hat die UB ihre Türen wieder geöffnet, doch „von einem regulären Nutzerservice sind wir noch weit entfernt“, betont Dr. Antje Kellersohn. Im Gespräch mit Rimma Gerenstein berichtet die UB-Direktorin, wie sie die Zeit der Schließung erlebte, wie es mit dem Notbetrieb weitergeht und warum die Coronakrise den hohen Stellenwert von Bibliotheken verdeutliche.

Seit Mitte April dürfen Studierende und Beschäftigte der Universität Freiburg wieder die Universitätsbibliothek nutzen – dabei gelten die Auflagen des Landes Baden-Württemberg. Foto: Marie Hopermann

Frau Kellersohn, die UB war die erste Einrichtung der Universität, die wegen eines Covid-19-Infektionsfalls schließen musste. Kam das überraschend?

Antje Kellersohn: Wir hatten uns schon einige Tage vor der Schließung der UB am 13. März mit diversen Szenarien für einen eingeschränkten Nutzungsbetrieb beschäftigt, schließlich verschärfte sich damals die Lage von Tag zu Tag. Aber dann entwickelten sich die Dinge doch sehr viel schneller als erwartet: Am 12. März erfuhren wir spät abends, dass eine Kollegin an Covid-19 erkrankt war. Noch in der Nacht mussten wir in enger Rücksprache mit der Universitätsleitung und der Stabsstelle Sicherheit eine sofortige Schließung in die Wege leiten, sowohl für die Nutzerinnen und Nutzer als auch für unser eigenes Personal. Es wurde schnell klar, dass das nicht nur ein paar Tage andauern würde.

Keine schöne Perspektive.

Überhaupt nicht, denn in dieser Jahreszeit ist die UB normalerweise besonders stark ausgelastet, viele Studierende lernen auf Prüfungen oder schreiben Hausarbeiten. Ich muss schon sagen, in mehr als 25 Jahren in diesem Beruf habe ich einige Krisen erlebt: Brände, Sturm- und Wasserschäden, Einbrüche und Asbestfunde. Für viele Szenarien haben wir Notfallpläne in der Schublade, aber diese Situation war völlig neu, weil es ein harter Shutdown ohne jegliche Übergangszeit war – anders als in vielen anderen Bibliotheken in Deutschland.

Was prägte die erste Zeit nach der Schließung?

In den ersten Tagen ging es vor allem darum, unseren Nutzern einen Zugang zu ihren Sachen in den Schließfächern zu ermöglichen. Parallel dazu mussten wir klären, unter welchen Bedingungen unser Personal überhaupt noch im UB-Gebäude und in den Campusbibliotheken arbeiten konnte. Wir mussten uns binnen weniger Tage im Homeoffice organisieren. Zu meiner großen Freude hat unser Team diese Herausforderung sehr gut bewältigt, und es ist noch stärker zusammengewachsen. Wir stimmen uns auch jetzt noch täglich über Telefon- und Videokonferenzen ab und haben neue Formen der Zusammenarbeit etabliert, die hoffentlich auch noch nach Corona unsere Arbeit unterstützen werden. Aber wir alle vermissen den persönlichen Kontakt und Austausch sehr.

Als „unheimliches Erlebnis“ beschreibt Antje Kellersohn die Zeit, in der die Universitätsbibliothek geschlossen war – nun freut sich die Direktorin darüber, dass allmählich wieder Leben im Gebäude herrscht. Foto: Jürgen Gocke

Und auch den Trubel in einem der am meisten besuchten Gebäude Freiburgs?

Es war für mich ein merkwürdiges, schon beinahe unheimliches Erlebnis: Unter normalen Umständen ist unser Haus ja Tag für Tag permanent voller Menschen und damit auch voller Leben. Plötzlich war alles still und leer. Man konnte regelrecht hören, dass das Herz der Universität aufgehört hatte zu schlagen.

Trotzdem ging die Arbeit für das UB-Personal weiter, denn die Leute mussten ja weiterhin an die gewünschte Literatur kommen.

Ja, das war die Priorität. Wir haben schnell das Angebot an E-Books, elektronischen Zeitschriften und sonstigen Datenbanken ausgebaut. Diverse Verlage und sonstige Anbieter haben aufgrund der Coronakrise ihre digitalen Angebote vorübergehend kostenfrei zur Verfügung gestellt. Dafür sind wir sehr dankbar. Zudem haben wir einen Scandienst für Aufsätze aus Zeitschriften und Sammelwerken sowie einen Postversand für Bücher gestartet. Für diese Angebote haben wir ein sehr positives Feedback bekommen.

Mitte April verkündete Baden-Württemberg in einer Corona-Verordnung, dass die Bibliotheken im Land unter strengen Auflagen wieder öffnen dürften. Wie haben Sie die UB darauf vorbereitet?

Wir haben schon seit dem ersten Schließungstag an einem Konzept für eine stufenweise Öffnung gearbeitet. Als die Auflagen klar waren, haben wir den Betrieb an die Hygienevorgaben und Abstandsregelungen angepasst. Dazu gehört zum Beispiel, dass sich im Gebäude nur eine begrenzte Zahl von Personen aufhalten darf und dass jede und jeder eine Mund-Nasen-Bedeckung tragen muss.

Was sind die Herausforderungen beim Umsetzen der Auflagen?

Zum einen das Einhalten der Abstandsregelungen: Vor dem Eingang, vor den Ausleih- und Rückgabestationen konnten wir das recht gut durch entsprechende Markierungen kenntlich machen. An den Thekenarbeitsplätzen im Erdgeschoss haben wir Plexiglasabtrennungen installiert. Schwieriger wurde es bei der Wegeführung: Der Durchgang an der Theke und der Treppenabgang in den Freihandbereich sind recht schmal, und auch die Regale sind dicht aufgestellt. Eine weitere Herausforderung war es, im Vorfeld abzuschätzen, wie groß der Andrang sein würde. Unser „worst case“-Szenario wäre gewesen, wenn wir eine große Menschentraube vor der Drehtür vorgefunden hätten – so wie bei der Öffnung der sanierten UB im Juli 2015.

 Zugreifen im Freihandbereich: Eine Studentin packt ausgeliehene Bücher ein.
Foto: Marie Hopermann

Welchen Eindruck haben Sie vom jetzigen Betrieb?

Pro Tag suchen etwa 300 Besucherinnen und Besucher unser Gebäude auf, und unsere UB-Körbe haben sich dabei als Eintrittskarte bewährt. Wir konnten das Aufkommen bisher gut bewältigen und sind unseren Nutzern sehr dankbar, dass sie die Regeln beachten und verständnisvoll reagieren. Natürlich müssen wir immer noch an der einen oder anderen Stelle nachbessern, aber im Großen und Ganzen klappt es gut. Dennoch muss ich betonen, dass es sich um einen Notbetrieb handelt. Von einem regulären Nutzerservice sind wir noch weit entfernt. Und deshalb können wir einstweilen auch nicht jeden Sonderwunsch erfüllen – zumindest nicht sofort.

Moderne Bibliotheken begreifen sich längst nicht mehr nur als Ausleihstelle, sondern als zentraler Ort für den Austausch von Wissen. Verändert die derzeitige Situation den Stellenwert von Bibliotheken?

In den vergangenen Jahren wurde immer mal wieder die Frage gestellt, ob Bibliotheken angesichts des digitalen Wandels überhaupt noch notwendig seien. Doch dann kam der Lockdown, alle Kultur- und Informationseinrichtungen wurden geschlossen, und uns wurde deutlich vor Augen geführt, welche Versorgung von einem Tag auf den anderen weggebrochen war. Nicht zuletzt in den großen Tageszeitungen wurde deshalb die Forderung erhoben, Bibliotheken so schnell wie möglich wieder zu öffnen; auch die Politik hat rasch reagiert. Wie sich das alles langfristig auswirken wird, bleibt abzuwarten. Für die UB Freiburg bin ich aber optimistisch. Wir werden auch in Zukunft wichtige Aufgaben für die Universität erfüllen und uns über einen regen Zulauf unseres Lernorts UB keine Sorgen machen müssen – sofern die Corona-Auflagen dies wieder zulassen.

Wie geht es weiter: Wann können die Nutzer zum Beispiel wieder in die Lesesäle oder das Parlatorium, und wann werden die Campusbibliotheken wieder geöffnet?

Nachdem wir im ersten Schritt einen begrenzten Zugang zu unseren Ausleihbeständen ermöglichen konnten, bereiten wir derzeit einen sehr eingeschränkten Lesesaalbetrieb vor. Wir hoffen, dass wir ihn ab Mitte Mai starten und nach und nach ausweiten können. Parallel dazu bereiten wir auch eine schrittweise Öffnung der Fachbibliotheken vor. Dafür gelten vergleichbare Auflagen wie in der UB, wobei wir die individuellen räumlichen Verhältnisse vor Ort berücksichtigen müssen. Das Parlatorium in der UB wird aber sicherlich noch für längere Zeit geschlossen bleiben müssen. Der Betrieb des Medienzentrums startet mit einer Geräteausleihe über die zentrale Theke im Erdgeschoss. Die Kolleginnen und Kollegen aus dem Medienzentrum unterstützen Lehrende schon seit einigen Wochen bei der Erstellung digitaler Angebote. Und auch die studentische Redaktion von uniCROSS arbeitet ohne Unterbrechung weiter.

Es ist also noch etwas Geduld angesagt.

Ja, das mag nicht allen leichtfallen – mir selbst auch nicht immer, aber ich merke, dass wir gut vorankommen, und das bestärkt mich. Das Herz schlägt also wieder, nur in leiseren Tönen. Selbstverständlich bleibt es unser Ziel, die UB und die Campusbibliotheken so schnell wie möglich zu öffnen und unser gesamtes Serviceportfolio anzubieten – doch für die UB gelten dieselben Auflagen wie für die ganze Universität. Ich empfehle den Nutzern einen regelmäßigen Blick auf unsere Website. Dort informieren wir über alle aktuellen Entwicklungen.

 

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