Sensibilisieren ohne erhobenen Zeigefinger
Freiburg, 18.04.2017
Felix Wittenzellner von der Stabsstelle „Gender and Diversity“ der Universität Freiburg hat einen Werkzeugkasten erarbeitet, der das Thema „Vielfalt“ in die Lehre einbeziehen soll. Er hat Materialien auf einem Online-Portal zusammengestellt, die Lehrende nutzen können, um zum Beispiel die Vielfalt der Studierenden zu berücksichtigen – für eine „Diversity-sensible“ Lehre. Alexander Ochs hat mit ihm gesprochen.
Herr Wittenzellner, Was meinen Sie mit den Begriffen „Diversity“ und „Gender“?
Felix Wittenzellner: Jede und jeder an der Universität bringt individuelle Eigenschaften und Hintergründe mit, sodass Vielfalt etwas ist, das alle miteinschließt. Rechtlich betrachtet gibt es zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das sechs Diversity-Dimensionen definiert: Religion oder Weltanschauung, ethnische Herkunft, Behinderung, Alter, Geschlecht und sexuelle Orientierung. Darüber hinaus gibt es noch weitere Dimensionen oder Merkmale, die über Studienerfolg, Leistung oder Misserfolg entscheiden können, zum Beispiel die soziale Herkunft. Aber ebenso gut das Vorwissen, also die Bildungsbiografie jedes Einzelnen. All das meinen wir mit „Vielfalt“.
Das Wichtigste auf einer DIN-A4-Seite: Felix Wittenzellner präsentiert im Werkzeugkasten alle Informationen knapp zusammengefasst. Foto: Patrick Seeger
Wie ist der Werkzeugkasten aufgebaut?
Dieser Teil des Gender-and-Diversity-Portals heißt „Diversity in der Lehre“. Er umfasst mehrere Kapitel. Als Einstieg gibt es Checklisten zu unterschiedlichen Themen. Man kann sich kurz über eine Thematik informieren, und dann bekommt man weiterführende Tipps, PDFs oder Links. Denn vieles gibt es ja schon, man muss nur wissen, wo man es findet. All dies versuchen wir gebündelt auf einem Portal zur Verfügung zu stellen. Schließlich gibt es ein Glossar, in dem Begriffe rund um Diversity und Vielfalt näher erläutert werden. Zum Beispiel: Was heißt eigentlich Barrierefreiheit – in Bezug auf die Räume, in Bezug auf das Lehrmaterial?
Was bietet der Werkzeugkasten konkret?
Wir geben Tipps für bestimmte Handlungsfelder in der Lehre, auch ganz praktische Ratschläge. Zum Beispiel sollte ich als Lehrende oder Lehrender das Beratungsangebot an der Universität kennen. Denn es wissen wahrscheinlich nicht alle, an wen sich Studierende wenden können, wenn sie Fragen zu Nachteilsausgleichen oder zu Kinderbetreuung haben. Nehmen wir das eben erwähnte Thema Barrierefreiheit: Wenn ich eine Veranstaltung abhalte, kann ich vorher bereits überprüfen, ob der mir zugewiesene Raum für Menschen mit eingeschränkter Mobilität geeignet ist. Oder: Ist die entsprechende Technik vorhanden – sagen wir induktive Höranlagen? Wenn nicht, wo bekomme ich entsprechende Hilfsmittel? Darüber hinaus gibt es auch praktische Hinweise für die Lehre selbst: Ich kann mit bestimmten Übungen gleich in der ersten Sitzung spielerisch herausfinden, wo meine Studierenden herkommen, sowohl geografisch als auch von der Vorbildung her.
Geht es auch darum, die Leute politisch korrekt anzusprechen und zum Beispiel niemanden mit einer bestimmten Formulierung auszuschließen?
Es geht auch um Sprache, sowohl das Verbale als auch um Körper- und Bildsprache. Durch meine Lehre transportiere ich ja bereits bestimmte Ansichten. Wenn ich immer nur von „dem Arzt“ und „der Krankenschwester“ spreche, sind das Bilder, die sich auch genauso bei Studierenden festsetzen können. Dafür möchten wir auch sensibilisieren. Wir sprechen diese Themen an, ohne die ganze Zeit mit dem erhobenen Zeigefinger herumzuwedeln.
Foto: Baschi Bender
Gibt es Standardfehler in der Kommunikation oder im Verhalten?
Die Dimension Geschlecht ist da nach wie vor bestimmend. Denken Sie zum Beispiel daran, dass in unserem Sprachgebrauch aus 99 Studentinnen und nur einem Studenten trotzdem „Studenten“ werden. Es gibt ja auch Formulierungen wie „an den Rollstuhl gefesselt sein“. Wenn ich das wörtlich nehme, dann heißt das: „Man hat da jemanden festgebunden, und diese Person kommt da nicht mehr weg.“ Kritikerinnen und Kritiker würden dies vielleicht als „Gedöns“ abtun, aber für Betroffene ist dieses Ausgeschlossenwerden einfach frustrierend.
Wie halten Sie es mit dem Umfang der Informationen im Werkzeugkasten?
Beim Glossar haben wir es möglichst knapp gehalten, da beschränken wir uns auf ein, zwei Absätze. Die Handreichungen halten wir so knapp wie möglich, so ausführlich wie nötig. Wenn wir es schaffen, das Wichtigste auf einer DIN-A4-Seite unterzubringen, ist es super. Das gelingt leider nicht immer, aber wenn, dann ist es auch ein bisschen so etwas wie „barrierefrei“: dass der Umfang nicht gleich eine abschreckende Wirkung hat, sondern Themen möglichst knapp dargestellt sind.
Portal „Diversity in der Lehre“
http://www.diversity.uni-freiburg.de/Lehre