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Selbstreguliertes Lernen

Neue Analysen zeigen, dass es für Lernende schwierig ist, ihr Verständnis von Texten zutreffend einzuschätzen

Freiburg, 25.05.2021

Viele Menschen kennen das: Sie denken, sie hätten einen Text verstanden, wollen sie ihn jedoch jemanden erklären, wissen sie plötzlich nicht weiter. Dr. Anja Prinz arbeitet mit solchen Szenarien. Die Selbsteinschätzung von Textverständnis ist ein Forschungsgebiet der wissenschaftlichen Mitarbeiterin der Abteilung für Empirische Lehr- und Lernforschung. Doch sie weiß auch Rat: Es gibt einfache Mittel, sein eigenes Textverständnis zu kontrollieren und zu verbessern. Annette Hoffmann sprach mit ihr über die Metaanalysen, die sie aktuell zusammen mit Dr. Stefanie Golke und Prof. Dr. Jörg Wittwer vom Institut für Erziehungswissenschaften veröffentlicht hat.


Selbsteinschätzung beim Lesen von Texten ist wichtig, wenn das Lernen weniger von Lehrenden gesteuert wird. Neue Metaanalysen zeigen, dass Personen, die Texte auf dem Computer gelesen hatten, ihr Verständnis der Inhalte besser einschätzen.
Foto: Sandra Meyndt

Was leisten wir eigentlich, wenn wir einen Text lesen?

Anja Prinz: Sehr viel. Zu den Basisanforderungen gehört, dass wir einzelne Wörter und Sätze verstehen. Besonders anspruchsvoll ist aber, die tiefere Bedeutung von Texten zu verstehen, zum Beispiel von beschriebenen Prozessen und Zusammenhängen. Häufig muss man dazu selbst Schlussfolgerungen aus den Informationen ziehen. In unsren Metaanalysen ging es jedoch primär um die Selbsteinschätzung des eigenen Verständnisses. Diese Einschätzung ist wichtig, damit man im nächsten Schritt das eigene Lernen effektiv regulieren kann. Zum Beispiel, indem man geeignete Lernstrategien auswählt, um sein Verständnis zu verbessern. Während der Pandemie ist die Selbsteinschätzung besonders wichtig, weil das Lernen zuhause weniger von außen, beispielsweise durch Lehrkräfte gesteuert werden kann. Hier ist es also besonders wichtig, dass Schülerinnen und Schüler selbst ihr Verständnis überwachen und zutreffend einschätzen können.

Was für Texte wurden den Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern vorgelegt?

Für die Metaanalyse haben wir über 90 Studien, die mit unterschiedlichen Texten gearbeitet haben, zusammengefasst. Die meisten haben expositorische Texte, also Erklärtexte genutzt. Einige Studien haben aber auch narrative Texte, also erzählerische Texte, verwendet. Wir haben diese Studien statistisch zusammengefasst und hatten so eine große Datenbasis. So konnten wir verlässlichere Ergebnisse erzielen als durch Einzelstudien. Es hat sich gezeigt, dass für beide Textsorten die Selbsteinschätzung in der Regel sehr ungenau ist.

Auf welchen Gruppen beruhen Ihre Ergebnisse?

Die Studien, die ich in der Metaanalyse zusammengefasst habe, hatten keine Altersbegrenzung.  Es waren Kinder im Grundschulalter bis hin zu 70-jährigen Personen dabei.

Im Alter nimmt die Leseerfahrung zu und vermutlich verbessert sich die Einschätzung des Textverständnisses, oder?

Genau, das zeigten uns die Metaanalysen. Generell sind Lernende nicht gut darin, ihr eigenes Verständnis realistisch einzuschätzen. Aber Studierende sind besser darin als Schüler. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass bereits Schüler am Ende der Grundschulzeit ihr eigenes Verständnis überwachen können. Sie brauchen dabei allerdings mehr Unterstützung.


„Lernende können sich vorab bewusstmachen, dass sie sich nicht nur an Fakten und Details erinnern, sondern die tieferen Aussagen eines Textes verstehen möchten“, erklärt Anja Prinz eine der Methoden, um das Textverständnis zu kontrollieren und zu verbessern.
Foto: Patrick Seeger

Erlaubte die Studie auch Rückschlüsse auf Unterschiede bei weiblichen und männlichen Lesenden?

Leider konnte das anhand der Daten in den Metaanalysen nicht untersucht werden. Einzelne Studien zeigen jedoch, dass es etwas von der Domäne abhängt. Jungen neigen eher dazu, sich in den Naturwissenschaften zu überschätzen, während Mädchen sich dagegen häufiger unterschätzen.

Macht es einen Unterschied, ob die Texte ausgedruckt vor den Studienteilnehmenden lagen oder ob sie diese am Bildschirm lasen?

Ja, da gab es einen Unterschied. Die Einschätzung war interessanterweise genauer, wenn die Texte auf dem Computer gelesen wurden. Wir haben uns das so erklärt, dass die Lernenden immer mehr gewöhnt sind, Texte auf dem Bildschirm zu lesen. Und dass sie sich daher auch besser, beziehungsweise routinierter überwachen können, wenn sie mit diesem Medium lernen.

Wie können Menschen denn ihre Selbsteinschätzung verlässlich steigern?

Wir haben uns in einem zweiten Schritt Fördermaßnahmen angesehen. Was dabei herausstach, war die Testerwartung. Wenn Lernende vorab informiert werden, dass von ihnen ein tieferes Textverständnis erwartet wird und dass es nicht etwa darum geht, sich an einzelne Fakten zu erinnern, können sie ihr tieferes Verständnis auch besser einschätzen. Typischerweise gehen Lernende nämlich davon aus, dass sie sich Fakten wie Jahreszahlen merken sollen und sind dann nicht auf ein tieferes Verständnis des Textes fokussiert. Es ist aber auch sehr förderlich, Diagramme zu den gelesenen Texten zu erstellen oder zu vervollständigen. Das hilft, um zu prüfen, ob man die Zusammenhänge oder Prozesse im Text visuell darstellen kann und so zu erkennen, ob man einen Text gut verstanden hat. Weitere effektive Maßnahmen sind das Erstellen von Zusammenfassungen, das Herausschreiben von Schlüsselwörtern und das Generieren von so genannten Concept-Maps. Auch sich Inhalte selbst zu erklären, kann effektiv sein. Allerdings ist es hier wichtig, dass man qualitativ hochwertige Selbsterklärungen generiert, sich also die zugrundeliegenden Prozesse und Zusammenhänge relativ genau erklärt. Das erneute Lesen von Texten kann ebenfalls einen Mehrwert haben, der im Vergleich zu den anderen Methoden aber eher gering ausfällt.

Welche Methode greift wann am besten?

Das ist schwierig zu beurteilen. Wir haben jedoch herausgefunden, dass die Testerwartung am effektivsten war. Das hat mich gefreut, weil Lernende als auch Lehrkräfte diese Methode leicht umsetzen können. Lernende können sich vorab bewusstmachen, dass sie sich nicht nur an Fakten und Details erinnern, sondern die tieferen Aussagen eines Textes verstehen möchten. Dann überwacht sie sich in der Regel auch besser, ob sie dabei erfolgreich sind. Lehrkräfte können die Schüler ebenfalls über dieses Lernziel informieren und gegebenenfalls auch Beispielfragen präsentieren, die darauf abzielen, das tiefere Verständnis zu erfassen.

Wie sollten Studierende vorgehen?

Auch Studierende können sich ihr Lernziel vorher setzen, überlegen, was sie lernen wollen, und sich dementsprechend überwachen und einschätzen. Sie sollten sich auch vor falschen Einschätzung schützen wie etwa, dass kürzere Texte leichter zu verstehen sind. Auch neigen Personen in positiven Stimmungen eher zu Überschätzungen. Also in dem Sinne, ich bin gut drauf, also habe ich auch den Text gut verstanden. Stattdessen sollte man aber vielmehr prüfen, wie gut man die Inhalte tatsächlich erklären kann.

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