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Nachhaltiges Gärtnern

Studierende arbeiten sich in die Grundlagen der Landwirtschaft ein

Freiburg, 11.01.2021

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ kommt ursprünglich aus der Forstwissenschaft und wird heute für alles Mögliche verwendet. Die Frage ist, was genau er eigentlich bedeutet. Dr. Sabine Sané ist am University College Freiburg der Albert-Ludwigs-Universität für den Bereich Umwelt- und Nachhaltigkeitswissenschaft verantwortlich. In einem neu konzipierten Seminar lernten bei ihr Studierende die theoretische und praktische Seite der Gartenarbeit kennen. Zu Beginn überlegten die Teilnehmenden des Kurses, was „nachhaltig“ in Bezug auf das Gärtnern bedeuten könnte – denn das herauszufinden, war Ziel des Seminars.

Theorie und Praxis: Im Seminar erlernten die Studierenden die Grundlagen des Gartenbaus und konnten diese in einem Garten selbst umsetzen. Foto: Sabine Sané 

Sabine Sané selbst ist Gartenbesitzerin: Vor einiger Zeit übernahm sie eine 60 Quadratmeter große Parzelle in einer Kleingartensiedlung. Spontan entschied sie sich, diesen Garten buchstäblich zur Keimzelle eines neuen Seminars zu machen. „In der Forstwissenschaft bedeutet Nachhaltigkeit, dass man dem Wald nicht mehr Holz entnimmt, als im gleichen Zeitraum nachwächst“, erklärt Sané. „Etwas allgemeiner gefasst, könnte man den Begriff also mit ‚ressourcenschonend‘ übersetzten.“

Die Annahme, Nachhaltigkeit sei im Bereich der Landwirtschaft ein Synonym für biologischen Anbau, ist weit verbreitet. Sané sieht das skeptisch: „Wenn man sich die Transportwege einiger Biolebensmittel anschaut, den zuweilen monokulturellen Anbau oder auch die Sorten, die zum Einsatz kommen, kann man an dieser Definition durchaus zweifeln.“ Im Rahmen des geplanten Seminars sollten Nahrungspflanzen biologisch angebaut werden – also wurde zunächst ökologisches, samenfestes Saatgut gekauft, das den Gewinn neuer Samen für den Anbau im Folgejahr ermöglicht. „Es gibt auf dem Markt auch hybride Sorten, die zwar ertragreich sind, aber jedes Jahr die Anschaffung neuer Samen erforderlich machen“, so die Biologin. „Das ist dann natürlich nicht nachhaltig.“

Viel Geschmack, wenig Ertrag

„Wir wollten zudem auf den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel verzichten“, erläutert sie das Konzept. Denn diese können den Boden, aber auch die Pflanzen und damit spätere Lebensmittel selbst belasten. Außerdem setzten sie und die Studierenden auf Vielfalt – auch bei der Sortenwahl: „Bei Tomaten gibt es eine große Diversität, genauso bei Kartoffeln oder Karotten, die es etwa auch in violetter Farbe gibt.“ Alte, samenfeste Sorten haben oft einen sehr guten Geschmack, sind aber nicht so ertragreich, weswegen sie es in der Landwirtschaft schwer haben: Sie muss kostengünstig produzieren – und achtet deswegen darauf, dass möglichst viel angebaut wird, um über die Menge rentabel wirtschaften zu können.

Sané legte ihr Seminar halb theoretisch, halb praktisch an: Einerseits ging es ihr darum, den Studierenden die Grundlagen des Gartenbaus zu vermitteln: Pflanzen- und Bodenkunde sowie Bewässerungstechniken. Andererseits wurde bei gemeinsamen Ausflügen in ihren Garten selbst gegärtnert. So war jedenfalls der Plan vor Corona – der dann aber nur leicht abgewandelt werden musste: Videokonferenzen ersetzten die Seminarveranstaltungen, die Ausflüge in den Garten fanden nur in Zweiergruppen statt – immer dieselben beiden Personen als Team.

Auch in dieser Form kam das Seminar bei den Studierenden sehr gut an. „Das Beste war, dass Theorie und Praxis in einem vermittelt wurden“, sagt Lorenz Sachenbacher: „Es kommt im Unikontext selten vor, dass Wissen außerhalb des akademischen Elfenbeinturms vermittelt wird. Ich fand es unglaublich wertvoll, Gelerntes sofort mit den eigenen Händen umsetzen zu können.“ „Durch praktische Erfahrungen im Garten bekamen wir einen ganz anderen Bezug zu Lebensmitteln, die wir täglich konsumieren“, ergänzt seine Kommilitonin Jana Kalmbach.

Angst und Schnecken

„Der Kurs hat meinen Blick für die natürliche Umwelt geschult“, bilanziert Chiara Holtschneider, „wie Pflanzen und Tiere miteinander agieren, wann es ihnen gut geht und wann nicht und wie alles von den Jahreszeiten und dem Wetter abhängt.“ Probleme machte zunächst der ausbleibende Regen: Über lange Zeit war es sehr trocken. „Wir hatten eigentlich vor, den Garten mit Regenwasser zu bewässern“, so Sané. Die dazu aufgestellten Tonnen waren aber schnell leer. „Da stellt sich dann die Frage: Was tun? Das Wasser von zu Hause anschleppen ist mühsam. Und ja auch nicht nachhaltig, wenn die Versorgung nur auf diese Weise klappt.“ Sané brachte über einen weiteren Videoimpuls die alte, heute ein bisschen in Vergessenheit geratene Kulturtechnik des Mulchens ins Spiel. Als Mulch bezeichnet man gemähtes Gras oder anderes organisches Material, das zwischen den Pflanzen ausgebracht wird. Der Mulch wird über Nacht durch den Tau feucht und gibt die gespeicherte Feuchtigkeit tagsüber nach und nach an den Boden ab.

Dann plötzlich war das Wasser nicht mehr knapp, sondern floss in Strömen. Ausgedehnte Regenfälle brachten ein neues Problem: viele Schnecken. „Und die fressen ein Gemüsebeet schon einmal ruckzuck leer“, sagt Sané. Schon zu Beginn des Seminars wurde erörtert, wie man sich beim Gemüseanbau vor Schädlingen schützen kann. „Die Arten einer Pflanzenfamilie sind meistens für ähnliche Schädlinge anfällig.“ Wie reagiert man darauf? Verteilt man die Pflanzen im Garten, damit nicht alle gleichzeitig befallen werden? Oder versammelt man sie besser an einem Ort und versucht sie dort zu schützen?

Das Seminar entschied sich für Letzteres – und versuchte, die Schnecken mit Eierschalen und Kaffeesatz von den Gemüsepflanzen fernzuhalten. „Aber wenn wir ehrlich sind“, so Sané, „hat das alles wenig genützt.“ Die Studierenden begannen schließlich, die Schnecken von Hand einzusammeln. Wenn es nötig wurde, auch bei starkem Regen mitten in der Nacht. Schutzzäune sorgten zusätzlich für Abhilfe.

Der Kurs habe ihren Blick für die Umwelt geschult, finden die Studierenden.
Foto: Chiara Holtschneider 

Respekt, Respekt

„Durch solche Erfahrungen stieg bei uns auch der Respekt vor Kleinbauern, die konventionell arbeiten“, also nicht auf chemischen Pflanzenschutz verzichten wollen, sagt Sané. „Sie müssen schließlich von der Ernte leben, können sich Ernteausfälle kaum leisten. Unter ressourcenschonend verstehen sie zudem auch den möglichst sparsamen Einsatz der eigenen Zeit.“ Landwirtschaft bedeutet ohnehin jede Menge Arbeit – auch wenn nicht mitten in der Nacht Schnecken vom Feld gesammelt werden müssen.

Da zeige sich einmal mehr, sagt Sané, „dass nachhaltig nicht automatisch ökologisch bedeutet.“ Gleichwohl findet sie es wichtig, zu schauen, wie beides sich vereinbaren lässt. Darüber solle man auch mit konventionell arbeitenden Landwirtinnen und Landwirten im Gespräch bleiben, sagt sie. Sie verstehe allerdings auch, dass Bauern, die keinen Bioanbau betreiben, sich von Städtern oft zu Unrecht angegriffen und belehrt fühlen. „Diese Landwirte lassen sich vielleicht eher auf den Dialog ein, wenn sie sehen, dass ihr Gegenüber die Probleme, die mit dem Landbau verbunden sind, auch wirklich einschätzen kann.“

Schließlich widmete sich das Seminar auch der so genannten Ernährungssouveränität. „Ein großes Thema unserer Tage, auch in Freiburg“, so Sané. „Es geht dabei darum, inwieweit sich eine Stadt aus der umliegenden Region heraus ernähren könnte, also ohne lange Transportwege für Lebensmittel aus Südspanien oder gar Übersee in Kauf zu nehmen.“ Das Gartenseminar wird ein paar Daten zur Beantwortung dieser Frage beitragen können, die Auswertung läuft noch: Wie hoch war der Ertrag bei dem Versuch, so nachhaltig wie möglich zu wirtschaften? Wie viele Personen könnte man von 60 Quadratmeter Fläche ernähren? Allerdings sei es keineswegs das Ziel gewesen, einen möglichst hohen Ertrag zu erwirtschaften.

Dass ihr Seminar nächstes Jahr eine Fortsetzung finden wird, weiß Sabine Sané schon jetzt. Vielleicht können einige der Studierenden dann als Tutorinnen und Tutoren dabei sein, um den neuen Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit ihren Erfahrungen zur Seite zu stehen oder den Garten für eigene kleinere Forschungsarbeiten zu verschiedenen Anbaumethoden nutzen. Denn auch nicht immer wieder bei null anfangen zu müssen ist im Sinne der Nachhaltigkeit.

Mathias Heybrock