Mit E-Learning Wissen demokratisieren
Freiburg, 18.08.2020
Forstwirtschaftlerinnen und Forstwissenschaftler sind kaum dafür bekannt, in der Stube zu hocken. Und doch dürfte sich Dr. Alex Giurca zwischen dem 18. Mai und dem 12. Juni 2020 vor allem vor seinem Computer aufgehalten haben. Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Professur für Forst- und Umweltpolitik der Universität Freiburg war einer der Organisatoren eines Massive Open Online Course (MOOC) über Bioökonomie und Gesellschaft. Das Online-Seminar gehörte nicht zu jenen, die der Coronavirus ins Netz zwang: Es ging aus dem zweijährigen Projekt Perform hervor, das vom European Forest Institute Network Fund unterstützt wurde. Annette Hoffmann hat mit Giurca über seine Erfahrungen mit E-Learning, Lernkurven und Zeitzonen gesprochen.
Die Lernplattform ILIAS der Universität Freiburg ermöglicht es, flexible Formate in der Lehre umzusetzen. Quelle: ILIAS, Universität Freiburg
Herr Giurca, haben Sie sich über die Zusammensetzung der Gruppe im MOOC „Bioeconomy and Society“ gewundert? 67 Prozent der 70 Teilnehmenden waren Frauen, nur 35 Prozent zwischen 20 und 29 Jahre alt und damit vermutlich Studierende.
Alex Giurca: Viele haben den Kurs als Weiterbildung gesehen. Wir hatten Teilnehmende, die für das amerikanische Landwirtschaftsministerium oder in Brüssel/Belgien für die Europäische Union arbeiten und sich über den neuesten Stand der Bioökonomie informieren wollten. Ich hatte erwartet, dass sich nicht ausschließlich Studierende anmelden. Bioökonomie ist ein sehr politisches Thema und auch für Laien wichtig.
In welchem Rahmen fand der MOOC statt? Sie haben dafür mit mehreren europäischen Universitäten zusammengearbeitet.
Es beruhte auf dem Netzwerk Perform, in dem acht forstwirtschaftliche Seminaren unserer Partneruniversitäten vertreten sind. Der Onlinekurs war ein Ergebnis dieses Projekts, bei dem es um die sozialen Aspekte der Bioökonomie ging. In einem solchen Rahmen werden immer so viele wissenschaftliche Publikationen produziert, die nie die Gesellschaft erreichen. Wir wollten dieses Wissen allen zugänglich machen. Wir möchten unsere Erfahrungen nun innerhalb des Konsortiums EPICUR, in dem die Universität Freiburg und sieben Partneruniversitäten als Europäische Universität gefördert werden, mit zwei Seminaren über Integrated Landuse Systems und International Forest Government ausweiten.
Daniela Kleinschmit, Professorin für Forst- und Umweltpolitik an der Universität Freiburg, hat den Massive Open Online Course (MOOC) über Bioökonomie und Gesellschaft als Dozentin mitgestaltet. Quelle: ILIAS, Universität Freiburg
Ist der Aufwand eines solchen Seminars nicht sehr hoch?
An unserer Professur haben wir ein kleines, einfaches Studio mit einem Camcorder, ein paar Scheinwerfern, einem Mikrofon und einem Greenscreen. Immer wenn ich im Rahmen des Projekts auf Konferenzen war, habe ich Dozentinnen und Dozenten interviewt und diese Gespräche aufgenommen. Es war allerdings eine steile Lernkurve, die Videos zu schneiden und attraktiv zu präsentieren. Wir waren gut vorbereitet und hatten viel Unterstützung vom Rechenzentrum. Ich habe Marko Glaubitz von der Abteilung E-Learning den Inhalt geliefert und er hat ein Interface mit der Lernplattform ILIAS geschaffen. Ich war beeindruckt, was für ein Potenzial das hat. Es funktioniert und sieht gut aus. Die Videovorträge sind zwischen fünf und 15 Minuten lang. Wir haben mit Ökonominnen und Ökonomen, Politologinnen und Politologen aus ganz unterschiedlichen Denkschulen gesprochen. Vor Corona bin ich viel gereist, ich war in Schweden und Belgien, aber ich habe auch in Freiburg Lectures gefilmt. All das musste gut koordiniert werden. Wir mussten die Storyline halten und die Beiträge absprechen, damit es nicht redundant wird. Und dann gab es Experteninterviews, für die wir international agierende Leute gesucht haben, die den praktischen Teil beisteuern konnten. Die Teilnehmenden fanden die Interviews sehr wertvoll, weil sie mit Menschen geführt wurden, die sich täglich mit dem Thema befassen.
Ihre Aufgabe bestand auch darin, zu moderieren?
Ja, neben zwei Lectures stand ich auch für Fragen bereit. Unsere Teilnehmenden kamen aus 20 Ländern und aus unterschiedlichen Zeitzonen. Am Anfang hatten wir noch daran gedacht, Webinare anzubieten und live zu diskutieren. Dafür waren 70 Teilnehmende zu viel und auch die Zeitverschiebung war problematisch. Die Moderation war ein Fulltime-Job. Gut fünf Stunden habe ich täglich damit verbracht, alle Fragen zu beantworten und mit allen in Kontakt zu stehen.
Dafür ist normalerweise eine Präsenzveranstaltung da.
Klar, aber für eine zweistündige Lehrveranstaltung muss ich auch zwei, drei Stunden Folien vorbereiten und dann kommen Fragen und weitere Veranstaltungen. Am Ende des Tages bleibt der Aufwand gleich. Der Vorteil des MOOC liegt in der Flexibilität. Ich habe extrem viel während dieser Wochen gelernt, nicht allein über E-Learning, sondern auch von den Teilnehmenden. Ich lese immer noch Bücher und Aufsätze, die diese empfohlen haben.
Krisen schaffen Kreativität, sagt Alex Giurca – und ist sich sicher, dass die digitale Lehre eine Erfolgsgeschichte der Corona-Zeit sein wird. Foto: Jürgen Gocke
Wird E-Learning also die klassische Vorlesung ersetzen?
Nein, E-Learning wird ein Element in einer Werkzeugkiste sein. In EPICUR werden wir Blended Learning verwirklichen. Unsere beiden Kurse sind in den ersten beiden Wochen digital organisiert und finden in der dritten Woche als Präsenzveranstaltung statt. Wir machen das, damit möglichst viele teilnehmen können. Das hat auch etwas mit Demokratisierung von Wissen zu tun. Alle wären dann auf einem gemeinsamen Level. Lernen wäre nicht mehr das klassische Top-Down-Modell, es wäre eine offene Debatte. Meine Rolle ist die des Moderators, der die Leute zusammenbringt und schaut, wer über welche Information verfügt und wie sich diese teilen und diskutieren lässt, so dass alle etwas davon haben.
Denken Sie, Corona verändert die Lehre nachhaltig?
Auf jeden Fall. Krisen schaffen Kreativität. Als wir letztes Jahr mit E-Learning anfingen, musste ich die Professorinnen und Professoren noch davon überzeugen, dass es wichtig ist, ihre Vorträge aufzunehmen. Jetzt bin ich überrascht, wie schnell alle den Wandel gemeistert haben. Es gab so viele kreative Konzepte. Ich hoffe, die Dynamik bleibt. Ich hoffe aber auch, dass die Lehre bald wieder in den Seminarräumen stattfinden kann. Was wir für die Zukunft mitnehmen sollten, ist vor allem Flexibilität. Bis vor kurzem gab es noch die absurde Haltung, dass vier Stunden vor dem Computer vier Stunden Präsenzveranstaltungen ersetzen – das wäre so, als ob sich Studierende an einem Tag drei Hollywoodfilme anschauten. Viele Lehrende denken derzeit darüber nach, wie sich Lernziele besser formulieren lassen, wie Wissen klarer vermittelt werden kann. Das hat viel mit Vertrauen in die Lernbereitschaft der Studierenden zu tun. Es reicht, einen Impuls von zehn Minuten zu geben, dann können wir im Anschluss in Foren chatten, weitere Papers empfehlen und diskutieren. Ich bin mir sicher, dass die digitale Lehre eine Erfolgsgeschichte dieser Zeit sein wird.