Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin lehren & lernen Lernen mit ELIS

Lernen mit ELIS

Wie ein Onlinetraining Lernstrategien vermittelt und Studierenden dabei hilft, sie im Alltag umzusetzen

Freiburg, 16.10.2017

Lernen mit ELIS

Foto: Sandra Meyndt

Hohes Lesepensum, dutzende Abgabetermine, Zeit und Puls rasen: Ein neues Onlinetraining der Universität Freiburg könnte Studierenden dabei helfen, besser mit Stress umzugehen: „ELIS“ –„Erfolgreich Lernen im Studium“ – vermittelt in einem ersten Schritt Lernstrategien und hilft in einem zweiten dabei, diese in den Alltag zu integrieren.


Praxistest: In einer ersten Anwendungsphase haben etwa 150 Studierende das Onlinetraining „ELIS“ – „Erfolgreich Lernen im Studium“ absolviert.  Foto: Sandra Meyndt

Lisa ist neu an der Universität. Die 18-Jährige studiert Psychologie und wird in zwei Wochen ihre erste Klausur schreiben. Bücher türmen sich auf ihrem Schreibtisch. Lisa sortiert, unterstreicht und malt Schaubilder; mehrere Hundert Seiten Literatur muss sie durcharbeiten. Zeit und Puls rasen – Lisa hat gerade mal die Hälfte der Unterlagen gelesen, und bisher weiß sie nicht, wie sie sich die vielen Fachbegriffe merken soll. Ihr Mut sinkt, die Klausur überhaupt noch bestehen zu können. In der Schule hatte sie doch immer sehr gute Noten. Schon überlegt sie, ob ein Studium überhaupt das Richtige für sie ist.

Ein neues Onlinetraining der Universität Freiburg könnte Lisa nun helfen: „ELIS“ –„Erfolgreich Lernen im Studium“ – vermittelt in einem ersten Schritt Lernstrategien und hilft in einem zweiten dabei, diese in den Alltag zu integrieren. „Studierende sind zunächst völlig überfordert mit der Menge an Lernstoff“, berichtet Prof. Dr. Alexander Renkl vom Institut für Psychologie der Universität Freiburg. Deshalb haben Renkl, seine Mitarbeiterin Jasmin Leber und sein Mitarbeiter Tino Endres das Training entwickelt. Die Idee dazu entstand in der Praxis. „Unsere Abteilung sollte in einer Einführungsvorlesung am Institut für Psychologie in der ersten Semesterwoche immer eineinhalb Stunden etwas zu Lernstrategien erzählen. Das haben wir auch gemacht, aber mit dem Wissen, dass man in dieser Zeit nichts lehren kann, was zu substanziellen Effekten aufseiten der Lernenden führt. Deshalb dachten wir an ein Onlinetraining“, erläutert Renkl.

„ELIS“ heißt die skizzierte Figur, die durch das neue Onlinetraining der Universität Freiburg führt. Die Abkürzung steht für „Erfolgreich Lernen im Studium“. Grafik: Steffen Weyreter/Universität Freiburg

Dieses wurde 2015 mit dem Lehrentwicklungspreis „Instructional Development Award“ (IDA) der Universität Freiburg ausgezeichnet. Eine Fördersumme von 70.000 Euro war mit dem Preis verknüpft. Damit wurde die Plattform im Labor weiterentwickelt und anschließend in einer ersten Anwendungsphase im Wintersemester 2016/2017 von rund 150 Psychologiestudierenden getestet. Anders als die marktübliche Ratgeberliteratur zu dem Thema hilft ELIS den Studierenden bei der Umsetzung von Lernstrategien im Alltag. „Bisher gab es kein systematisch angelegtes Online-Lernstrategietraining, das darüber hinaus noch an die authentische Lernsituation gekoppelt ist“, betont Leber.

Das Programm ermittelt Vorwissen

 Eine skizzierte Figur, die ebenfalls den Namen ELIS trägt, führt die Nutzerinnen und Nutzer durch die drei Module zu unterschiedlichen Lernstrategien. Diese werden durch Videos, Texte und Grafiken veranschaulicht. „Wir haben uns bei der Entwicklung von den so genannten MOOCs, Massive Open Online Courses, inspirieren lassen, die ein individuelles Lernen möglich machen“, erklärt Endres. Im Gegensatz zu den MOOCs kann das Tool jedoch terminunabhängig genutzt werden. Die Anwenderinnen und Anwender steuern das Lernen also selbst. Sie wählen aus, wann sie mit welchem Modul beginnen möchten, und wiederholen den Stoff in mehreren aufeinanderfolgenden Lernphasen. Das Besondere dabei: ELIS passt sich dem Vorwissen der Nutzer an, funktioniert also adaptiv.

 Wenn Lisa die Lernplattform nutzt, absolviert sie deshalb zunächst einen Test, bei dem sie unterschiedliche Aussagen zu ihren Lernstrategien und Szenarien aus dem Lernalltag bewerten muss. Was macht sie, wenn sie sich nicht mehr konzentrieren kann und hinter ihrem Zeitplan zurückliegt? Macht sie lieber ein zwanzigminütiges Nickerchen, oder wechselt sie das Lernumfeld? Welche Taktik hilft ihr bei großem Zeitdruck? Soll sie einen Text für eine Seminarsitzung erst einmal überfliegen, um seine Grundstruktur zu erfassen, oder ist es besser, ihn mehrmals hintereinander zu lesen? Nachdem Lisa die verschiedenen Antwortmöglichkeiten mit Schulnoten bewertet hat, berechnet das Programm im Hintergrund, was sie über Lernstrategien weiß, und leitet sie weiter in die drei Lernmodule mit Aufgabentypen, die an ihr Vorwissen angepasst sind.

Planen, kontrollieren, abrufen

Lisa entscheidet sich, mit dem Modul zu ressourcenorientierten Lernstrategien zu starten. Diese helfen dabei, die Lernumgebung zu verbessern, den Lernprozess zu organisieren und Motivation zu entwickeln. Lisa erfährt nun beispielsweise, dass sie ihre Konzentrationsspanne aktiv steigern kann, indem sie die Dauer des konzentrierten Arbeitens kontinuierlich verlängert. Im Modul zu kognitiven Lernstrategien lernt Lisa, wie sie die Komplexität des Lernstoffes reduzieren kann. Das Tool schlägt ihr vor, die Fachbegriffe in visuellen Darstellungen wie Mind Maps oder Concept Maps zu ordnen. Das kennt sie bereits aus der Schule. „Studierende lernen nicht völlig strategielos“, ist sich Renkl sicher. „Die meisten Studierenden schaffen es mit der Zeit ganz gut, Ordnung in den Stoff zu bringen. Sie machen sich Schaubilder und unterstreichen. Aber auch das lässt sich mit unserem Training noch optimieren.“

Die metakognitiven Lernstrategien des dritten Moduls sollen sicherstellen, dass Lernziele tatsächlich erreicht werden. „Studierende geben sich häufig Verständnisillusionen hin. Sie überwachen ihr Verständnis nicht, sondern denken: ‚Das habe ich schon einmal gehört, das kann ich.‘ Da sollen sie mithilfe des Tools kritischer werden“, sagt Renkl. Empfehlenswert sei beispielsweise das Abgleichen von Lernzielen und Wissensfortschritt, etwa durch Lernprotokolle: Mithilfe von Leitfragen überprüfen die Studierenden selbst, wie viel sie über ein Thema schon wissen. Am besten geschehe dies direkt nach einer Lerneinheit, wenn das Gelernte noch ganz frisch ist, und dann einige Tage später noch einmal.

ELIS ist zufrieden. Die in unterschiedliche Module unterteilten Lernstrategien sollen Studierende unter anderem dabei unterstützen, ihren Lernprozess besser zu planen und zu kontrollieren.Grafik: Steffen Weyreter/Universität Freiburg

Die Strategien, die im Onlinetraining dargestellt werden, konzentrieren sich vor allem auf das Aufrufen von Wissen. „Die meisten Studierenden lernen, indem sie einen Text lesen, nochmals lesen und dann noch die Zusammenfassung lesen. Es ist jedoch nicht sehr effektiv, durch Wiederholen auswendig zu lernen – das zeigt unsere Forschung“, erklärt Endres. Viel effektiver sei es, sich das Gelesene erst noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Testing-Effekt oder abrufbasiertes Lernen nennt man das in der Psychologie. „Dabei wird das Wissen im Gehirn vernetzt und gefestigt. Der Abruf trainiert das Gehirn sozusagen für die konkrete Prüfungssituation“, ergänzt Renkl. Dieses Prinzip vermittelt das Tool anwendungsbasiert: Zwischen den Lernphasen testet es das neu gewonnene Wissen über Lernstrategien. Das System stellt Lisa deshalb erneut Fragen aus dem Eingangstest: Haben sich ihre Antworten verändert, hat sie die Techniken verinnerlicht?

Im zweiten Teil unterstützt das Programm Lisa dabei, sich konkrete Situationen zurechtzulegen, in denen sie die Lernstrategien anwendet und einübt. Dafür formuliert sie so genannte Implementation Intentions. Diese folgen einem Wenn-dann-Schema: Immer wenn Lisa beispielsweise ein Kapitel in einem Lehrbuch gelesen hat, wird sie im Anschluss Lernstrategie A anwenden. Da Lisa solche Leitsätze mithilfe des Trainings vorher festlegt, fällt ihr es leichter, die Lernstrategien im Alltag tatsächlich einzusetzen.

Seit Februar 2017 steht das Onlinetraining ELIS allen Studierenden des Instituts für Psychologie zur Verfügung. „Derzeit hat es eine doppelte Funktion. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir es Studierenden schon als voll funktionsfähiges Tool anbieten können, aber wir testen im Hintergrund noch, ob technisch alles funktioniert und ob wir inhaltlich noch etwas verbessern können“, sagt Jasmin Leber. „Langfristig können wir uns auch vorstellen, dass es an anderen Fakultäten eingesetzt wird.“

Sonja Seidel

 

ELIS –Erfolgreich Lernen im Studium

https://elis.vm.uni-freiburg.de