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Landeslehrpreis für Politikwissenschaftler

Julia Gurol und Ingo Henneberg erhalten Auszeichnung für ihr interaktives und standortübergreifendes Ringseminar

Freiburg, 04.12.2019

Das Seminar beginnt, wenn die Liveschaltung steht: In einem Raum im Freiburger Rechenzentrum haben sich im Sommersemester 2019 Studierende von insgesamt fünf Universitäten aus vier Bundesländern getroffen. Die meisten davon waren per Videokonferenz virtuell zugeschaltet. Sie alle einte nicht nur das Interesse für die Friedens- und Konfliktforschung, sondern auch die Neugier, wie eine interaktive und standortübergreifende Lehrveranstaltung abläuft und wie neue digitale Werkzeuge, unter anderem die Online-Lernplattform ILIAS, eingesetzt werden. Nun sind die verantwortlichen Lehrpersonen Julia Gurol und Ingo Henneberg vom Seminar für Wissenschaftliche Politik der Albert-Ludwigs-Universität zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Universität Tübingen für das Kooperationsprojekt mit dem Landeslehrpreis 2019 ausgezeichnet worden. Judith Burggrabe hat mit ihnen über die Ziele und Herausforderungen des neuen Lehrkonzepts gesprochen.


Mit E-Learning das klassische Format der Vorlesung oder des Seminars aufbrechen: Die Studierenden sind stärker eingebunden und stellen ihre Arbeitsergebnisse online. Foto: Rawpixel/Fotolia

Herr Henneberg, 2016 leiteten Sie die erste standortübergreifende Ringvorlesung. Ein Jahr später das erste Ringseminar. Warum haben Sie das Format verändert?  

Ingo Henneberg: Es ist kein starres Konzept, wir haben jedes Jahr verschiedene Dinge ausprobiert und geschaut, was sich bewährt hat und was nicht. An der Vorlesung waren damals 13 Universitäten beteiligt. Das war zwar von der Organisation her relativ einfach, aber wir wollten mehr Beteiligung und Interaktion zwischen den Studierenden. Deshalb haben wir die Vorlesung zu einem Seminar umgestaltet.

Daran waren aber deutlich weniger Universitäten beteiligt. Wieso?

Ingo Henneberg: Ein Seminar hat mehr Voraussetzungen als eine zentral organisierte Vorlesung. Wir sind recht schnell an technische und organisatorische Grenzen gestoßen. Je mehr Universitäten beteiligt sind, desto geringer wird auch die Sprechzeit für jeden Standort. Zudem braucht es eine Technik, die eine stabile Videokonferenz ermöglicht. Mit sechs Universitäten funktioniert das sehr gut, acht sind Stand heute zu viel. Auch der organisatorisch-planerische Aufwand ist nicht zu unterschätzen.

Julia Gurol: Während bei einem klassischen Seminar im Vordergrund steht, die einzelnen Sitzungen inhaltlich zu planen, liegt der Fokus bei der Vorbereitung des standortübergreifenden Seminars vor allem auf den Absprachen zwischen den einzelnen Standorten. Es muss geklärt werden, wer wann die Leitung innerhalb der Sitzung übernimmt oder welche Inhalte vermittelt werden sollen. Alles wird ausdiskutiert, bis es eine Konsensentscheidung gibt.

Wieso haben Sie sich in der Lehre für das Konzept des „umgedrehten Unterrichts“ entschieden?

Ingo Henneberg: Beim so genannten umgedrehten Unterricht geht es darum, dass die Studierenden ihre Rolle als Zuhörerinnen und Zuhörer verlassen und sich stärker in die Aufbereitung der Inhalte einbringen. Das wollten wir fördern, indem wir viele digitale Arbeitsmethoden zur Vor- und Nachbereitung genutzt haben. Die Studierenden haben für das Seminar unter anderem Radio- und Videointerviews geführt, Umfragen gemacht oder einen Literatur-Podcast produziert, in dem ein kleines Team die Pflichtlektüre nochmal neu aufbereitet hat.

Welche Lernziele haben Sie verfolgt?

Julia Gurol: Neben den politikwissenschaftlichen Kompetenzen wollten wir die Studierenden für diese neue Form der Wissensvermittlung schulen. Da dürfen auch die praktisch-technischen Fähigkeiten nicht fehlen.

Ingo Henneberg: Ein Argument war, dass sich die Arbeitswelt in diese Richtung entwickelt und an den neuen digitalen Formaten orientiert. In Firmen und Betrieben werden heute Videokonferenzen eingesetzt, um mit anderen Standorten oder Institutionen enger zusammenzuarbeiten.


Die Freiburger Forschenden Julia Gurol und Ingo Henneberg vom Seminar für Wissenschaftliche Politik der Universität Freiburg sind mit dem Landeslehrpreis 2019 ausgezeichnet worden. Foto: Sandra Meyndt

Wie lief Ihr Seminar im Sommersemester ab? Wie haben Sie die Technik eingesetzt?

Julia Gurol: Wir haben uns im Videokonferenzraum des Rechenzentrums getroffen. Zur Vorbereitung hatten alle Studierenden vorab die Aufgabe, sich einen Videovortrag von einer Expertin oder einem Experten zum jeweiligen Sitzungsthema anzuschauen. Das Gute daran ist, dass das jede und jeder zu Hause in einem individuellen Tempo machen kann. In der Sitzung selbst war dann der Experte zugeschaltet, und es gab die Möglichkeit, ihm ausgewählte Fragen direkt zu stellen. Auch die Studierenden konnten mit Tweedback untereinander diskutieren.

Tweedback?

Julia Gurol: Das ist eine Online-Plattform, die es ermöglicht, Fragen oder Feedback in Echtzeit zu stellen oder zu geben. Optisch kann man es sich wie eine Chatwall vorstellen. Die Fragen werden als Textnachrichten empfangen und über einen Beamer auf eine Leinwand projiziert. Für uns ein sehr effektives digitales Werkzeug, um gezielt die Interaktion, auch standortübergreifend, unter den Studierenden zu fördern.

Ingo Henneberg: Hilfreich war auch, dass wir einen gemeinsamen E-Learning-Raum für alle Standorte hatten, wo sich die Lehrenden und die Studierenden aus Freiburg treffen und die der anderen Universitäten einklinken konnten, sodass es einen Kommunikationsraum gab, wo auch die Lehrmaterialien zentral gesammelt wurden.

Nochmal zurück zu den Expertenvorträgen. Was war der Vorteil daran?

Ingo Henneberg: Zum einen konnten wir den Vortrag zeitlich auslagern, zum anderen bot das vorherige Aufzeichnen eine gewisse Sicherheit, weil die Veranstaltung ins Wasser gefallen wäre, wenn die Schalte nicht funktioniert hätte. Zudem stehen die im Seminar erstellten Materialien danach der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung. Dies ist ein guter Schritt in Richtung Nachhaltigkeit.

Julia Gurol: Im Seminar war es toll, den Expertinnen und Experten direkt Fragen stellen zu können. Das ist so, als würde die Autorin oder der Autor der zu lesenden Pflichtlektüre ins Seminar kommen. Eine sehr seltene und schöne Gelegenheit. Gerade in der Politikwissenschaft ist es großartig, auch internationale Gäste zuschalten zu können – aus Großbritannien, wenn es um den Brexit geht, oder aus Afrika, wenn wir über das Thema Migration sprechen.

Über welche Probleme stolperten Sie bei dem neuen Format?

Ingo Henneberg: Es bedarf einer guten Kommunikation und Abstimmung, da je nach Bundesland unterschiedliche Semesterzeiten und Prüfungsordnungen gelten. Die größte Herausforderung ist allerdings, dass fast alle beteiligten Lehrpersonen dem akademischen Mittelbau angehören und die meisten befristete Verträge haben. Wir können uns zwar bemühen, den Staffelstab gewissenhaft weiterzugeben und die Materialien gut sortiert aufzubereiten, aber letztendlich liegt es nicht in unserer Hand. Wie lange wir es schaffen, das Format in die Zukunft zu bringen steht in den Sternen. Dazu braucht es Professorinnen und Professoren, die bereit sind, es stärker in den Lehrplänen zu verankern.

Julia Gurol: Deshalb liegt uns auch die Verstetigung des Seminars am Herzen. Wir möchten Bausteine entwickeln, die den Seminarrahmen bilden und die wir für das nächste Semester wieder einsetzen können, um den hohen Aufwand langfristig zu reduzieren. Das macht das Format auch für andere Institutionen attraktiver. Gleichzeitig betrachten wir das Ganze als Lehrforschung, indem wir unterschiedliche Methoden ausprobieren und anschließend kritisch evaluieren lassen. Unsere Erfahrungen versuchen wir dann transparent zu machen, sei es in Fachzeitschriften oder anhand eines Leitfadens, der auf unserer Homepage steht.

 

Weitere Informationen

Video: "Ringseminare Landeslehrpreis 2019"

uni’wissen: Der umgedrehte Unterricht