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„Ich könnte wirklich mal mit dem Rauchen aufhören“

Mit einem digitalen Lernprogramm üben Studierende der Zahnmedizin die motivierende Gesprächsführung

Freiburg, 08.07.2020

„Sie müssen mit dem Rauchen aufhören“: Auf solche Vorschriften reagieren Patientinnen und Patienten oftmals mit Widerstand, und viele Ärztinnen und Ärzte sprechen solche Themen wegen frustrierender Erfahrungen nicht mehr gerne an. Studierende der Zahnmedizin lernen deshalb an der Universität Freiburg die Methode der motivierenden Gesprächsführung, mit der sie den Erkenntnisprozess der Patienten anleiten und sie so zu Verhaltensänderungen animieren können.


Selbstüberzeugter Nichtraucher: Gelangt ein Patient selbst zu einer Erkenntnis, sind die Chancen besser, dass er entsprechend handelt. Foto: jetsadaphoto/stock.adobe.com

Die Methode „Motivational Interviewing“ kommt aus der Suchtbehandlung. Forschende erkannten, dass sich Patienten eine Veränderung nicht von außen aufzwingen lassen, sondern dass die Motivation dazu von ihnen selbst kommen muss. Die so genannte präventive Methode ist überall dort anwendbar, wo eine Verhaltensänderung notwendig ist – beispielsweise bei der Raucherentwöhnung, einer Ernährungsumstellung oder bei der Bewegungsförderung. „Auch, ob der Patient wiederkommt, können wir mit dieser Methode beeinflussen, da er sich durch wertschätzende Kommunikation besser aufgehoben fühlt“, erklärt Dr. Johan Wölber von der Abteilung für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie des Universitätsklinikums Freiburg.

Eine fächerübergreifende Arbeitsgruppe um den Zahnmediziner bekam für das Lernprogramm „eMI-med“, das Präsenzveranstaltungen und E-Learning verbindet, den Kurt-Kaltenbach-Preis für herausragende Didaktik in der Zahnheilkunde. Das Programm, mit dem Studierende diese Form der Gesprächsführung erlernen können, ist auf dem Weiterbildungsserver der Universität zugänglich.

Die richtige Fragetechnik führt zum Erfolg

Die Idee hinter der Methode ist, bei den Patienten die Motivation für eine Veränderung zu wecken und zu stärken. Aber nicht als Vorschrift – der Wunsch muss schon vorhanden sein. Bei der Raucherentwöhnung beispielsweise sind Patienten häufig entmutigt von gescheiterten Versuchen. „Viele würden gern aufhören, aber schaffen es nicht, weil es, abgesehen vom Suchtfaktor, gute Gründe dafür gibt, weiter zu rauchen. Es entspannt, man kommt runter, und es hat einen sozialen Aspekt“, erklärt der Mediziner Dr. Götz Fabry von der Abteilung Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie der Universität Freiburg. Mithilfe der motivierenden Gesprächsführung leiten Ärzte den Patienten an, sein Problem zu betrachten.

Techniken wie offene Fragen und aktives Zuhören bringen den Betroffenen dazu, sich die Vor- und Nachteile seines Verhaltens bewusst zu machen. „Die Expertin oder der Experte versucht nicht, ihm Wissen überzustülpen“, ergänzt die Psychologin Cornelia Schulz, Leiterin des Cancer Prevention Management Teams zur Raucherentwöhnung: „Der Experte gibt ihm Hilfestellungen, den Erkenntnisprozess langsam anzugehen und im eigenen Tempo in die Veränderung zu kommen. So kann der Wunsch zum Rauchstopp, der zwar da ist, aber noch von Gegenargumenten überlagert wird, wachsen und reifen.“

Ein wichtiger motivierender Schritt für den Patienten ist die Erkenntnis, welche Funktion das Rauchen bei ihm erfüllt. Ist das geklärt, geht es um konkrete Maßnahmen im Alltag. Der Patient muss herausfinden, welche Beweggründe ihn immer wieder davon abbringen, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen. „Die typische Situation ist die Arbeitspause, in der er gefragt wird, ob er eine mitraucht“, sagt Fabry. „Hat er eine solche Verführungssituation nicht ganz konkret vorbereitet, wird es ihm schwerfallen, spontan richtig zu reagieren.“ Wenn er vorher innerlich eine Handlungsanweisung für diese Situation abgespeichert hat, ist die Umsetzung wesentlich leichter.


Aufmerksam zuhören und passende Fragetechniken anwenden: Das lernen die Studierenden unter anderem bei der Methode „Motivational Interviewing“. Foto: lordn/stock.adobe.com

Ein besserer Lerneffekt

„Kommunikationstechniken sind am besten im praktischen Rahmen zu erlernen“, sagt Milena Isailov-Schöchlin, mediendidaktische Koordinatorin des Masterstudiengangs Parodontologie und Implantattherapie, für den die Arbeitsgruppe das Lernprogramm entwickelt hat. Praktischer Unterricht nimmt viele Ressourcen in Anspruch, etwa die Arbeit mit Simulationspatienten. „Häufig haben wir das Problem, dass Studierende nicht gut auf die Praxis vorbereitet sind“, erläutert Fabry. „Mit unserem digitalen Angebot können sie sich optimal vorbereiten und die aufwendig zu organisierenden Ressourcen im Praxisteil super nutzen. Das sorgt für einen besseren Lerneffekt.“

Der vierstündige online verfügbare Teil des Lernprogramms vermittelt in kurzen Vorlesungseinheiten die Grundlagen der motivierenden Gesprächsführung. Das Besondere sind die zusätzlichen interaktiven Lernmodule: „Zu Videos von typischen Patientengesprächen gibt es mehrere Antwortmöglichkeiten des Arztes, jeweils eine davon ist konform mit der Gesprächsführungstechnik“, erklärt Isailov-Schöchlin. „Je nachdem, welche Reaktion ausgewählt wird, geht es in einem anderen Kommunikationsstrang weiter.“ So sehen die Studierenden, wie unterschiedlich Gespräche verlaufen können – abhängig davon, wie die Lernenden agieren.

„Das Programm stieß bei den Studierenden auf Begeisterung, da es interaktiv und online nutzbar ist“, berichtet Isailov-Schöchlin. Das finale Erlernen der Kommunikationstechnik erfolgte anschließend im echten Gespräch: Die Studierenden konnten die Anwendung in einem Seminar üben, in dem sie mit Patienten über Verhaltensmaßnahmen sprachen. Die Auswertung zeigte, dass sie die im Lernprogramm vermittelten Techniken der motivierenden Gesprächsführung einsetzten und auch die Patienten entsprechend reagierten: „‚Ich könnte wirklich mal darüber nachdenken, mit dem Rauchen aufzuhören‘ – wenn wir solche Aussagen hören, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Patient sein Verhalten auch ändert“, sagt Wölber.

Bindeglied zwischen Diagnostik und Therapie

Die Herausforderung bei der Umsetzung dieser Methode ist das Selbstbild der Ärzte. „Sie sind gewohnt, dem Patienten zu sagen, was er tun muss – und dann frustriert, wenn es nicht klappt“, berichtet Fabry. „Oft fällt es ihnen schwer, seine Perspektive einzunehmen und zu begreifen, dass sie mit ihm nur das erreichen können, was er selber will.“ Dabei ist die motivierende Gesprächsführung das Bindeglied zwischen Diagnostik und Therapie. „Wir haben die Aufgabe, den Patienten ins Nachdenken zu bringen und ihn dabei langsam in Richtung Therapie zu geleiten“, betont Schulz. „Die Erkenntnis, dass er in seinem Prozess noch nicht weit genug dafür ist, hilft auch uns als Experten, mit den eigenen Ressourcen schonender umzugehen.“

Sarah Schwarzkopf

 

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