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Filme als Lehrmittel

Videos, die das persönliche Erleben der Patienten und den Alltag auf der Station veranschaulichen, ergänzen das Studium der Palliativmedizin

Freiburg, 06.03.2017

Filme als Lehrmittel

Photo: Medical Center – University of Freiburg, Department of Palliative Care

Grenzsituationen gehören in der Palliativmedizin zum Alltag. Doch wie können Studierende lernen, damit umzugehen? Ein didaktisches Konzept verzahnt Vorlesungen und Seminare mit E-Learning-Modulen, die Teile des Lernens vor Ort ersetzen. Das Besondere: Das Online-Modul enthält Filme, in denen sowohl Patienten als auch Ärzte, Pfleger, Psychologen oder Seelsorger zu Wort kommen.

In der Palliativstation des Universitätsklinikums Freiburg gehören Grenzsituationen zum Alltag. Auch wenn zwei Drittel der Patientinnen und Patienten wieder von der Station entlassen werden: Die Begrenztheit des Lebens, Ängste und Unsicherheiten sind Themen, mit denen diejenigen umgehen müssen, die diese Menschen betreuen. Nicht nur die Linderung von Schmerzen ist wichtig, auch psychosoziale und spirituelle Bedürfnisse müssen berücksichtigt werden.

Foto: Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Palliativmedizin
Foto: Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Palliativmedizin


Diese besonderen Umstände auch Studierenden nahezubringen ist in vielerlei Hinsicht eine Herausforderung. Zunächst gibt es rein logistische Grenzen: „Wir haben zehn Betten und ungefähr 350 Studierende", sagt Prof. Dr. Gerhild Becker, Ärztliche Direktorin der Klinik für Palliativmedizin. Allein dies zeige schon die Grenzen auf, die dem „Bedside-Teaching" gesetzt seien. Hinzu kommt: „Die Menschen sind sehr krank. Das macht es immer schwer vorhersehbar, wann ein Patient überhaupt in der Lage ist, mit Studierenden zu sprechen." Die Rücksicht auf die Patienten steht in der Palliativklinik immer an erster Stelle. Zugleich erlaubt der eng getaktete Studienplan der Studierenden jedoch keine Patientenbesuche auf Abruf.

Rundgang durch die Station

Angesichts dieser schwierigen Situation haben Gerhild Becker und die Erziehungswissenschaftlerin Bettina Couné zum Wintersemester 2015/16 ein didaktisches Konzept entwickelt, das Vorlesungen und Präsenzseminare mit E-Learning-Modulen, die Teile des Lernens vor Ort ersetzen, verzahnt. Das Besondere: In das Online-Modul sind Filmsequenzen integriert, in denen sowohl Patienten als auch Ärzte und weitere Mitarbeiter zu Wort kommen. Im Einführungsfilm macht eine Studentin mit der geschäftsführenden Oberärztin Dr. Karin Jaroslawski einen Rundgang durch die Palliativstation. Dabei stellt die Studentin Fragen, die aus ihrer Sicht – und damit aus der Sicht derjenigen, die den Film ansehen – wichtig sind und von der Oberärztin beantwortet werden. Ein anderer Film zeigt eine Teambesprechung, in der auf jeden einzelnen Patienten eingegangen wird. Solche Besprechungen sind ein Herzstück des Palliativbereichs. Dort arbeiten Ärzte, Physiotherapeuten, Psychologen und Seelsorger mit dem Patienten, um gemeinsam das Beste für ihn zu erreichen. Das geht nur über gelungene Kommunikation. Die Filme geben den Studierenden wichtige Einblicke in die Abläufe der Palliativklinik.

Einen besonderen Stellenwert haben Filme, in denen die Patienten über ihr Erleben berichten. „In seinem Erleben ist der Patient der Experte und der Arzt der Laie", sagt Becker. Nur wenige Patienten sind aufgrund ihrer Erkrankung in der Lage, dieses Erleben zu schildern, und falls doch, dann kaum auf Abruf, wenn Studierende auf der Station sind. Deshalb sind diese Filme für die Studierenden eine wertvolle Ressource, die sie bei Bedarf nutzen können.

Wertvolle Erfahrungen weitergeben

In einem Film schildert eine Patientin mit Amyotropher Lateralsklerose (ALS), einer Erkrankung des Nervensystems, ihr persönliches Erleben. Ihr Sprachvermögen war zum Zeitpunkt der Aufnahmen bereits stark beeinträchtigt. Diese nahmen entsprechend viel Zeit in Anspruch – Zeit, die Studierende beim Bedside-Teaching nicht haben. Aber gerade solche Patienten können den Studierenden viele wertvolle Erfahrungen vermitteln. Die ALS-Patientin empfand es als besonders schlimm, nicht verstanden zu werden. „Es ist ein tiefgreifendes Gefühl von Entmündigung", erklärt Becker. Viele Patienten würden dies leidvoll erfahren, weil für sie zum Beispiel ungefragt Dinge übernommen würden, die sie eigentlich noch selbst machen könnten. „In diesem Fall ist es für die Filmaufnahmen ein großes Glück gewesen, dass sich eine Patientin dazu bereit erklärt hat, die in der Lage war, dieses Erleben so zu vermitteln, dass die Studierenden es leicht nachvollziehen können", betont Becker. Das sei beim Bedside-Teaching nicht immer gegeben.

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Klinikalltags wird ebenfalls durch einen Film vermittelt: der Ablauf einer Visite. Es ist zu sehen, wie sehr in der Palliativmedizin darauf geachtet wird, dass die Begegnung mit dem Patienten auf Augenhöhe stattfindet. Die Ärztin setzt sich ans Bett und hört ihm zu. Kein Durchrauschen des Chefarztes, der sich mit seiner Entourage über den Menschen im Bett anstatt mit ihm unterhält.

Langsamkeit aushalten lernen

Medizinstudierende durchlaufen die Palliativmedizin in zwei Lerneinheiten im ersten und im fünften Semester. Zum Lehrplan gehört zunächst eine Grundlagenvorlesung, es folgt das E-Learning-Modul und dann ein Präsenzseminar. Die Videos stehen im Rahmen des E-Learning-Moduls auf dem Programm. „Mithilfe der Filme können die Studierenden auf mehreren Ebenen lernen", sagt Becker. Es ist ein Lernen am Modell, in dem die Studierenden ein konkretes Thema bearbeiten und zugleich ein Empfinden dafür entwickeln können, wie wichtig die eigene innere Haltung beim Führen eines Gesprächs mit sehr kranken Menschen ist. Gerhild Becker nennt weitere Vorteile: „Die Studierenden sind heute vor allem aus den Medien ein ganz anderes Tempo gewohnt. Bei der ALS-Patientin bekommen sie ein Gefühl dafür vermittelt, dass Abläufe sehr viel Zeit brauchen können. Sie müssen Langsamkeit aushalten lernen."


Gespräche auf Augenhöhe zwischen Pfleger und Patientin: Studierende lernen unter anderem mithilfe von Filmen, was die Arbeit auf der Palliativstation ausmacht.

Foto: Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Palliativmedizin

Diese Form des Lernens kann für Studierende belastend sein, weil es um die Auseinandersetzung mit Leiden und Sterben geht, während sie vor allem helfen und heilen wollen. „Wir haben von manchen die Rückmeldung bekommen, dass es ihnen nicht leichtfällt, das alleine durchzuarbeiten", sagt Couné. In gewisser Weise sei das auch gut so: Die Studierenden müssten schließlich herausfinden, ob sie sich den Herausforderungen der Palliativmedizin gewachsen fühlen. Zum Abschluss des Online-Moduls müssen alle Studierenden einen Multiple-Choice-Test absolvieren. „Diese Vorgehensweise ist wichtig, denn wir brauchen den Nachweis, dass sich die Studierenden die Grundlagen für das folgende Seminar erarbeitet haben", sagt Couné.

Direkt aus dem Arbeitsalltag

„Insgesamt ist es natürlich wichtig, dass die Studierenden mit dem, was sie mit den Filmen lernen, nicht alleingelassen werden", resümiert die Erziehungswissenschaftlerin. Deshalb wird das auf das E-Learning-Modul folgende Seminar für die Reflexion und Einordnung dessen genutzt, was sie im Selbststudium erarbeitet haben. Auch Karin Jaroslawski ist beim Seminar mit dabei. „Sie berichtet sozusagen direkt aus dem täglichen Arbeitsalltag", sagt Becker. Die erfahrene Oberärztin beantwortet brennende Fragen, die die Filme aufgeworfen haben, und ermöglicht Studierenden, mit Patienten direkt in Kontakt zu kommen.

Die Filme werden von einem kleinen Team um den Medientechnologen Matthias Weis gedreht. „Wir versuchen, die Technik so unauffällig wie möglich zu halten", erzählt Becker, denn man wolle die Patienten so wenig wie möglich zusätzlich belasten. Dafür werden kleinere technische Schwächen, zum Beispiel Störgeräusche, die sich auch durch eine aufwendige Nachbearbeitung nicht beseitigen lassen, in Kauf genommen. Zumeist entsteht sehr viel Filmmaterial, von dem letztendlich nur kleine Ausschnitte für die Online-Module verwendet werden. „Die Filme zeigen im Grunde den Kristallisationskern eines Themas, mit dem sich die Studierenden beschäftigen", sagt Becker. Schön sei im Übrigen, dass die beteiligten Patienten es als gewinnbringend empfänden, über ihre Situation sprechen und damit etwas zur Ausbildung junger Medizinerinnen und Mediziner beitragen zu können.

Petra Völzing

www.palliativecare.uni-freiburg.de