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Das virtuelle Mikroskop

Eine App erlaubt Medizinstudierenden die Untersuchung von Gewebeproben am Bildschirm

Freiburg, 11.08.2021

Eingefärbte Gewebeproben helfen Ärzt*innen, präzisere Diagnosen für ihre Patient*innen zu treffen. Mithilfe eines Mikroskops lassen sich Strukturveränderungen im Gewebe feststellen. In der Medizin wird dieser Fachbereich Histologie genannt und ist ein wichtiger Bestandteil des Studiums. Zusammen mit der Universität Ulm entwickeln Prof. Dr. Andreas Vlachos und Dr. Bernd Heimrich von der Medizinischen Fakultät eine App für Studierende, die dabei hilft, Gewebsauffälligkeiten erkennen und analysieren zu lernen.


Die Medizinstudentin Phyllis Stöhr gehört zu dem Team, das die Freiburger Datensätze in die App eingepflegt hat. Foto: Jürgen Gocke

Zu den wenigen hilfreichen Entwicklungen, die Corona mit sich gebracht hat, zählt Prof. Dr. Andreas Vlachos „den klaren Blick auf das Digitale“. Da sei Gutes angeschoben worden, findet der Leiter der Abteilung Neuroanatomie am Institut für Anatomie und Zellbiologie der Universität Freiburg. Doch die Pandemie ist nicht für alle Digitalisierungsprojekte verantwortlich. Das Softwareprogramm „MyMi.mobile“ zum Beispiel, eine Kooperation der Universitäten Ulm und Freiburg, entstand unabhängig davon. Es handelt sich um eine App mit Zugriff auf eine Datenbank, in der histologische Proben, also Gewebeproben, in digitaler Form vorliegen. Studierende, die erlernen, wie der menschliche Körper aufgebaut ist, können jetzt auf diese App zurückgreifen. Deren neueste Version im Juli 2020 erschien. Sie steht ihnen jederzeit und überall zur Verfügung.

„Die ersten Entwicklungsschritte reichen zehn Jahre zurück“, erzählt Dr. Bernd Heimrich von der Abteilung Neuroanatomie. Er ist für die Koordination der Lehre verantwortlich. „Prof. Dr. Stefan Britsch stieß das damals in Ulm an“, sagt er. Zur Kooperation kam es, weil Britsch und Heimrich sich von der Berliner Universitätsmedizin Charité gut kannten. „Es ist unglaublich, welche Weitsicht Stefan Britsch damals an den Tag legte“, ergänzt Vlachos. „Das Programm wurde so aufgebaut, dass es modular und skalierbar ist.“

Die Lehrkultur bewahren

Modular bedeutet, dass neue Bausteine unkompliziert hinzugefügt werden können, zum Beispiel die histologischen Proben aus Freiburg. Sie wurden nicht in den Ulmer Bestand integriert, sondern als eigenständige Datensätze ergänzt. „Jedes Institut hat seine eigene Identität und Lehrkultur“, erläutert Vlachos. Dass die App solche Kulturen nebeneinanderstehen lasse, anstatt sie zu vereinheitlichen, sei wichtig. Es erleichtere zukünftige Kooperationen. Dies wiederum führe zu einer Zunahme von Datensätzen und Einsatzmöglichkeiten, was die App noch nützlicher mache. In Zukunft sollen zudem Systeme künstlicher Intelligenz die Studierenden beim Lernen unterstützen. „Gespräche mit weiteren Kooperationspartnern an Universitäten in Baden-Württemberg laufen“, sagt Heimrich. „Solche Zusammenschlüsse sparen ja auch Geld“, ergänzt Vlachos, „wir müssen das Rad nicht zehnmal neu erfinden.“


Mithilfe der App „MyMi.Mobile“ können Studierende von Zuhause aus ihre Kenntnisse in Histologie festigen. Foto: Jürgen Gocke

Zu dem Team, das in Freiburg die Datensätze eingepflegt hat, gehört unter anderem Phyllis Stöhr, Studentin der Humanmedizin. Sie lernte die App im zweiten Semester kennen und war von ihrem Wert für die Lehre gleich überzeugt: „Deswegen besuchte ich in den Sommerferien eine Fortbildung zur Dateneingabe in Ulm, um ab dem dritten Semester die Weiterentwicklung von MyMi.mobile mitzugestalten.“ Studierende der Medizin untersuchen während ihrer Ausbildung unterschiedliche Gewebeproben. „Im Präsenzunterricht sitzt dabei jede und jeder am Mikroskop und erhält Hinweise von den Dozierenden.“ In MyMi.mobile sind diese Hinweise durch „Annotationen“ ersetzt, die unter anderem Stöhr erstellt hat: „Wir haben wichtige Strukturen markiert, dazu gibt es einen begleitenden Text.“ Wer auf ein kleines Eulensymbol klickt, erhält Zugriff auf vertiefende Informationen.

Die App verfügt über ein virtuelles hochauflösendes Mikroskop mit stufenlosem Zoom und bietet den Studierenden Funktionen wie „Finde die Struktur“ – zur Schulung der visuellen Kompetenz –  und „Stelle die Diagnose“. So etwas leistet keine andere App im deutschsprachigen Raum.

Zuverlässige Diagnosen stellen

Phyllis Stöhr arbeitet inzwischen selbst mit MyMi.mobile und kennt das Feedback von Kommiliton*innen. „Das ist sehr gut, vielen hat die App geholfen, gerade jetzt, wo Präsenzunterricht nicht möglich war.“ Bernd Heimrich kann diese Einschätzung mit Daten untermauern: „Im vergangenen Jahr haben insgesamt knapp 1.000 Studierende beider Universitäten mehr als 200.000-mal auf MyMi.mobile zugegriffen. Sie verwenden die App regelmäßig und immer wieder.“ Doch dass die App den Präsenzunterricht einst vollkommen ersetzen wird, glaubt die Medizinstudentin Stöhr nicht. Mit Andreas Vlachos ist sie sich einig darüber, dass das Digitale Grenzen hat: „Nur die händische Arbeit am Mikroskop und die wissenschaftlich angeleitete eigene Analyse ohne Hinweise und Marker vertieft das histologische Wissen so, dass man später zuverlässige Diagnosen erstellen und verstehen kann.“

Mathias Heybrock

Zur Desktop-Anwendung von MyMi.mobile

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