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Bioökonomie im landwirtschaftlichen Alltag

Studierende der Kulturanthropologie haben den Alltag von Landwirt*innen begleitet, die bioökonomische Ansätze verfolgen – ihre Forschungsergebnisse zeigen sie in einer Ausstellung

Freiburg, 13.07.2023

Seit Sommer 2022 haben Bachelor-Studierende der Kulturanthropologie an der Universität Freiburg zu Bioökonomie in der Landwirtschaft geforscht. Dabei arbeiteten sie eng mit Landwirt*innen in Südbaden zusammen: Entsprechend der Methode Photovoice fotografierten diese über die Erntezeit hinweg ihren Alltag. Die Studierenden kamen auf Basis der Bilder mit den Landwirt*innen ins Gespräch. Daraus entstanden Essays, die jetzt zusammen mit den Bildern in einer Ausstellung im Haus der Bauern des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverband (BLHV) bis Ende August zu sehen sind. Sehr konkret werden so die komplexen wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Spannungsfelder sichtbar, in denen die Landwirt*innen angesichts der bioökonomischen Herausforderungen leben. Außerdem gestalteten die Studierenden großflächige Plakate mit Bildern und Zitaten aus dem Projekt, die in Freiburg und Stuttgart eine Woche lang in der Stadt verteilt aufgehängt wurden. Diese sollen auf die Situation der Landwirt*innen aufmerksam machen und zur Reflexion anregen. Die Projekt-Ergebnisse sind auf einer eigenen Projekt-Website zu finden. Weitere Hintergründe zum Projekt und seinem Verlauf hat Verena Krall von der Abteilung Hochschul- und Wissenschaftskommunikation im Gespräch mit den Projektleiterinnen Dr. Sarah May und Lea Breitsprecher sowie Samuel Walliser, Mitglied der studentischen Forschungsgruppe, erfahren.

Eines der von Studierenden gestalteten Plakate. Foto: Sarah May

Was hat Sie motiviert, das Forschungsprojekt durchzuführen?

May: Wir forschen schon länger zum Thema Bioökonomie, also zum Ansatz, fossile Rohstoffe durch biobasierte zu ersetzen. Für uns zeigten sich immer deutlicher offene Fragen in Bezug auf die konkrete landwirtschaftliche Umsetzung: Wie sollen diese Stoffe hergestellt werden? Wie können die beteiligten Menschen das überhaupt leisten? Gerade das Thema Landwirtschaft polarisiert in meiner Wahrnehmung in gesellschaftlichen Debatten stark: Von „Das sind die Hoffnungsträger“ bis hin zu „Die machen alles falsch“ wird dort alles geäußert. Da tiefer einzutauchen, Zwischentöne herauszuhören und die Sicht einiger Akteur*innen zu beschreiben, das hat uns als Kulturanthropolog*innen gereizt.

Breitsprecher: Der Begriff der Bioökonomie ist stark politisch geprägt und an Strategien geknüpft. Wir wollten vor allem verstehen: Wie sieht das in der Realität aus? Welche Hürden nehmen die Landwirt*innen? Wie zeigt sich die Transformation schon konkret?

Walliser: Für uns Studierende war es vor allem eine Chance, zum ersten Mal selbst bei einem Forschungsprojekt dabei zu sein. Gerade die Photovoice-Methode auszuprobieren, war spannend.

Wie lief das Projekt denn konkret ab?

May: Nachdem wir die Idee für das Photovoice-Projekt zum Thema Bioökonomie hatten, haben wir einen Antrag auf Förderung bei der Stiftung „Innovation in der Hochschullehre“ gestellt. In deren neuen Förderlinie „Freiraum 2022“ haben wir mit unserer Absicht, auch im Bachelor Forschung, Lehre und Transfer zu verbinden, punkten können. Nach der Zusage vermittelte uns der BLHV den Kontakt zu Landwirt*innen, die Ansätze von Bioökonomie auf ihren Höfen umsetzen. Im Sommersemester gab es dann eine Auftaktsitzung mit den Studierenden, in der wir kurz erklärt haben, worum es geht, und Leitfäden für den Einsatz der Fotokameras erstellt haben. Mit diesem Wissen sind die Studierenden dann losgezogen.

Walliser: Bei der ersten Begegnung mit den Landwirt*innen im Sommer 2022 ging es um ein erstes Kennenlernen. Außerdem haben wir ihnen direkt die Kameras gegeben und sie gebeten, ihren Arbeitsalltag zu fotografieren – der Auftrag war so offen wie möglich formuliert. Die Bilder bekamen wir am Ende der vorlesungsfreien Zeit zurück. Wir haben sie uns alle angeschaut, überlegt: Was könnte interessant sein? Und darauf basierend haben wir dann die Interviewleitfäden erstellt und sind damit nochmal auf die Höfe gegangen. Die Interviews zusammen mit den ausgewählten Bildern waren dann die Basis für unsere Essays, Instagram-Posts und die Plakate.

Wie lief die Zusammenarbeit mit den Landwirt*innen? Gab es da Herausforderungen?

Breitsprecher: In unserer Forschung ist es oft so, dass man auf vermeintlich geschlossene Lebenswelten trifft, die ihre eigenen Routinen und Zyklen haben. In der Landwirtschaft herrscht gerade im Sommer ein großer Zeitdruck wegen der anstehenden Ernte, der Arbeitsalltag ist sowieso sehr voll. Ohne den Kontakt über den BLHV wäre es vielleicht gar nicht möglich gewesen, in dieser Zeit das Projekt durchzuführen.

May: Dass die Landwirt*innen mitgemacht haben, hatte meiner Meinung nach auch damit zu tun, dass das Fotografieren für sie ein spannender, niedrigschwelliger Zugang zur Forschung war. Photovoice ist gedacht als eine Methode des Empowerments. Die Landwirt*innen konnten selbst zeigen, was ihnen in ihrem Alltag wichtig ist und gerade auch Probleme, die eher übersehen werden, dokumentieren. In ihren Rückmeldungen zeigt sich, dass sie das Projekt inklusive der Ergebnisse als bereichernd empfunden haben.

Was hat sich vielleicht im Laufe der Zeit erst entwickelt?

Breitsprecher: In puncto Vermittlung sind immer mehr Formate dazugekommen. Da müssen wir auf jeden Fall die Studierenden hervorheben, die eigeninitiativ einige Formate eingebracht haben. Zum Beispiel, dass die Bilder und Essays hier im Institut und im Haus der Bauern ausgestellt werden, war anfangs nicht geplant. Die Idee dazu kam von einer unserer studentischen Mitarbeitenden.

May: Das große Engagement der Studierenden hat mich auch sehr gefreut. Zumal das Projekt schon auch risikobehaftet war. Forschungsorientierte Lehre kommt im Bachelor kaum vor, weil es einfach ein Kraftakt ist und eine ziemlich gute Struktur braucht, so ein Forschungsprojekt im Rahmen eines Semesters durchzuführen.

Walliser: Am Anfang war uns allen sehr unklar, wie das genau funktioniert und wie viel Arbeit man dann letztlich konkret haben wird. Mittlerweile ist das Seminar schon lange abgeschlossen, trotzdem haben, glaube ich, fast alle, die teilgenommen haben, danach noch irgendwas für das Projekt gemacht, zum Beispiel Essays vertont oder Instagram-Posts geschrieben.

Auch wenn Photovoice ein sehr deskriptiver Ansatz ist – lassen sich die Ergebnisse des Projektes knapp zusammenfassen?

May: Dadurch, dass Landwirt*innen und Studierende der Kulturanthropologie in dieser Forschung zusammengearbeitet haben, konnten sie Charakteristika von landwirtschaftlichen Alltagen in der Gegenwart aufzeigen: Wie Landwirt*innen sich technisches Know-how aneignen, wie sie sich aus wirtschaftlichen und kollegialen Gründen regional vernetzen, wie sie ihre Böden fruchtbar halten und wie sie in dem Zuge über Natur und Biodiversität denken. Und auch, wie sie über landwirtschaftliche Zukünfte denken, ob und wie grünes Wachstum funktionieren kann: Dazu gehöre auch, dass alle Teile der Gesellschaft mehr Wissen über landwirtschaftliche Arbeit haben. Hier haben wir mit der Webseite und Interventionen angesetzt: Nicht als Fürsprecher*innen ‚der Landwirtschaft‘, sondern als Kulturanthropolog*innen, die Wissen und Handeln durch Zitate und Fotos in den Nicht-landwirtschaftlichen Alltag holen.

Gab es überraschende Momente und Ergebnisse?

May: Für mich war überraschend, welche Fotos die Landwirt*innen gemacht haben. Da waren wunderschöne Sonnenuntergänge, Blumen und bei einem Hof ganz oft der Hund zu sehen. Wieder andere haben extra alle Traktoren, die sie haben, nebeneinandergestellt, um ihren Fuhrpark zu zeigen. Aus ethnografischer Sicht besonders spannend sind Bilder, die Menschen bei der Arbeit, Menschen in großen Geräten, Menschen auf dem Feld zeigen, oder mal kurz ein verwackeltes aus dem Trecker raus. Interessant ist dabei natürlich auch, was nicht fotografiert wurde.

Breitsprecher: Auf der Mikroebene gab es immer wieder Überraschungen. Was auf den Fotos abgebildet ist, sind oft Kleinigkeiten, die stellvertretend für größere Themen stehen. In einer Gruppe war beispielsweise die Wildblumenwiese ein immer wiederkehrendes Element, an dem sich dann Aspekte der Biodiversität, des ökonomischen Managements, aber auch die Frage nach politischen Förderungen, die hier nicht greifen, gezeigt haben.

Walliser: Auf einem Foto war zum Beispiel ein T-Shirt mit einem Motiv abgebildet: Da sieht man einen Menschen, der mit einer Mistgabel bewaffnet auf einem Schwein reitet, und obendrüber steht „Power to the Bauer“. In unserem Interview ging es dann, passend dazu, auch um Politik und Bürokratie. 

Was erhoffen Sie sich in Bezug auf die öffentliche Wirkung des Projekts?

May: Bei den Plakaten war meine Idee, Irritationen auszulösen. Diese Bilder zusammen mit dem Zitat werfen eher Fragen auf, als irgendetwas zu erklären. Es gibt den QR-Code, der zur Webseite führt, wo dann das Lesen und Verstehen einsetzt, die Irritationen sind für mich wichtiger Moment des Innehaltens im städtischen Alltag.

Walliser: In dem Kontext finde ich es auch super, dass wir mit den Plakaten im Stadtraum Aufmerksamkeit auf unser kleines, eher unbekanntes Fach lenken können.

Breitsprecher: Ja, und damit auch auf die Herangehensweise, die in der Kulturanthropologie oder der Ethnografie zentral ist: Nämlich ganz unvoreingenommen Alltäglichkeiten nochmal neu zu betrachten und zu fragen, was da eigentlich vor sich geht.

Verena Krall