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Wo es knallte und krachte

Der Freiburger Geologe Thomas Kenkmann beschreibt in einem neuen Atlas alle bekannten Krater der Erde

Freiburg, 09.03.2021

Mehr als drei Jahre lang haben der Geologe Prof. Dr. Thomas Kenkmann vom Institut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften der Universität Freiburg, der Mineraloge Prof. Dr. Wolf Uwe Reimold von der Universität Brasilia/Brasilien und Dr. Manfred Gottwald vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) Daten zusammengetragen und jeden derzeit bekannten Meteoritenkrater auf der Erde beschrieben. Ein Mammutprojekt, freut sich Thomas Kenkmann über den jetzt erschienenen zweibändigen Atlas „Die Krater der Erde“. Claudia Füßler hat mit ihm gesprochen.


Der Atlas präsentiert alle 208 bekannten Krater der Erde. Quelle: Gottwald, Kenkmann, Reimold: Terrestrial Impact Structures, The TanDEM-X Atlas, Verlag Dr. Friedrich Pfeil

Herr Kenkmann, es gibt bereits Werke, die die Krater der Erde auflisten. Was ist an Ihrem Atlas anders?

Thomas Kenkmann: Das stimmt, es gibt zwei Vorgängerwerke. Allerdings sind die unvollständig, was den heutigen Kenntnisstand angeht. Unser Auslöser war die TanDEM-X-Mission, bei der das DLR die Erdoberfläche mit Radarsatelliten vermessen konnte. So entstand zum ersten Mal ein weltweites Geländemodell mit einer Höhengenauigkeit von bis zu einem Meter. Eine großartige Gelegenheit, um einmal die Daten für sämtliche bisher bekannten Krater zusammenzutragen. Wir alle forschen seit mehr als zwei Jahrzehnten an Kratern und konnten unsere Expertise einbringen. Entstanden ist ein einzigartiges Werk, das an Qualität und Umfang wirklich Neuland betreten hat.    

Wie viele Krater hat man denn bislang entdeckt?

Aktuell sind es 208, wobei wir einige besonders herausgestellt haben, bei denen noch der letzte Beweis dafür fehlt, dass es sich tatsächlich um einen Krater handelt.

Was ist das für ein Beweis?

Es müssen spezielle Gesteine und Minerale vorhanden sein, die geschockt sind. Durch den Einschlag eines Meteoriten werden Temperatur und Druck kurzfristig so stark verändert, dass das zu bleibenden Veränderungen in den Gesteinen kommt. Diese müssen wir in jedem Krater nachweisen.

Wie findet man einen neuen Krater? Setzen Sie sich vor den Rechner und scannen die Welt mit Google-Earth?

Das machen tatsächlich viele. Man kann zum Beispiel Studierende der Geowissenschaften oder Laien involvieren, die auffällige Strukturen in der Landschaft aufspüren können. Allerdings ist die Trefferquote bei dieser Methode sehr gering. In ihrem ursprünglichen Zustand kann man sich die kleineren Krater als eine Schüssel vorstellen, die größeren haben hingegen eine andere Gestalt und besitzen häufig einen Berg im Zentrum. Man kennt das vom Mond. Allerdings sind nur die allerallerwenigsten Krater auf der Erde so gut erhalten und auch auf Luftbildaufnahmen direkt zu erkennen.

Wie gehen Sie dann vor?

Wir nutzen hierfür verschiedene hochauflösende Fernerkundungsdaten und digitale Höhenmodelle. Weitaus häufiger passiert es aber, dass irgendwo auf der Welt in einem bestimmten Gebiet eine geologische Untersuchung stattgefunden hat und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei auf etwas gestoßen sind, das sie sich nicht erklären können. Dann werden wir Kraterforscher gerufen. Allerdings sind wir noch eine recht junge Disziplin, uns gibt es erst seit gut 60 Jahren.

Und Sie können vor Ort feststellen, ob es sich um einen Krater handelt?

Ja, allerdings ist das nicht ganz so einfach wie es klingt. Das ist viel Fleiß- und Detektivarbeit: Zum Beispiel bei Kratern, die unter jüngeren Schichten verborgen sind. Hier müssen wir Tiefbohrungen durchführen, um an das Gestein heranzukommen. Geophysikalische Anomalien im Gesteinsuntergrund helfen ebenfalls, einen Krater ausfindig zu machen und seine Größe zu bestimmen. Mit solch einer Puzzlearbeit hat man beispielsweise den Chicxulub-Krater auf der mexikanischen Yucatán-Halbinsel entdeckt. Mit etwa 180 Kilometer Durchmesser ist das der drittgrößte Krater, den wir kennen


Thomas Kenkmann hat bisher etwa 40 Krater selbst vor Ort studiert, untersucht und geologisch kartiert. Foto: Jürgen Gocke

Wie wurde der entdeckt?

Man wusste, dass es im Übergang von der Kreidezeit zur Tertiärzeit, also vor etwa 66 Millionen Jahren, ein großes kosmisches Ereignis gegeben haben musste, das unter anderem zum Aussterben der Dinosaurier führte. In besagter Grenzschicht fanden Forschende nämlich einen hohen Anteil des sehr seltenen Edelmetalls Iridium, das in einigen Meteoriten konzentriert ist. Diese Schicht wurde Richtung Nordamerika und Mexiko immer mächtiger – und führte schließlich zum Verursacher, dem Einschlagkrater Chicxulub.

Haben Sie einen Lieblingskrater?

Schwierige Frage. Ich habe bisher etwa 40 Krater selbst vor Ort studiert, detailliert untersucht und geologisch kartiert. Einige der Krater haben spektakuläre Landschaften gebildet, viele Krater befinden sich in sehr unwegsamen und schwer zu erreichenden Gebieten, in denen der Mensch kaum in die Natur eingegriffen hat. Besonders fasziniert hat mich zum Beispiel der Upheaval-Dome-Krater im US-amerikanischen Bundesstaat Utah. Hier ist der Krater zwar nicht mehr in seiner ursprünglichen Form erhalten, sondern stark erodiert. Dafür bietet er mit seinen extrem steilen Abhängen eine perfekte dreidimensionale Sicht auf den Krateruntergrund. Ich habe auch eine Vorliebe für australische Krater, das liegt an der Umgebung. Dort waren wir in mehreren Expeditionen wochenlang im Niemandsland auf uns allein gestellt, ein großartiges Abenteuer.

208 Krater sind bislang auf der Erde bekannt. Weiß die Fach-Community, wie viele es noch geben könnte?

Das ist eine Frage, die mich schon lange umtreibt Wenn man sich die Oberflächen anderer Planeten anschaut, den Mars oder Mond zum Beispiel, ist klar, dass Einschläge zu den fundamentalen Prozessen gehören. Aber sie sind zugleich einem dynamischen Prozess unterworfen, der Erosion. Wir haben also die Wahrscheinlichkeit eines Einschlages mit der Erosionsrate kombiniert und so ausgerechnet, dass es auf der Erde noch etwa 250 bis 300 Krater zu entdecken gibt. Und dazu zählen vor allem kleinere, die einen Durchmesser von weniger als sechs Kilometer haben.

Könnten die Krater nicht auch am Meeresboden sein?

Im Prinzip schon. Da zwei Drittel der Erde mit Wasser bedeckt sind, müssen also auch zwei Drittel der Einschläge in Ozeanen passiert sein. Viele der Einschläge erreichen jedoch nicht den Ozeanboden und bilden stattdessen reine Wasserkrater mit den entsprechenden Tsunamis. Nur die größeren Asteroide schaffen es bis zum Ozeanboden. Allerdings ist die ozeanische Kruste mit etwa 60 Millionen Jahren sehr viel jünger als die Gesteine der Kontinente – und mögliche Krater, die älter sind, sind längst wieder zerstört worden durch die Subduktion, also das Abtauchen der ozeanischen Platten in den Erdmantel.

Wie oft passiert es, dass ein Meteorit auf der Erde einschlägt?

Das hängt sehr von seiner Größe ab. Ein Meteorit, der einen Krater wie den Chicxulub-Krater in Mexiko verursacht, kommt etwa alle 100 Millionen Jahre. Etwa alle eine Million Jahre entsteht ein Krater von gut 25 Kilometer Durchmesser wie das Nördlinger Ries in Süddeutschland. Und so etwas wie der etwa 1,2 Kilometer große Barringer-Krater im US-amerikanischen Arizona kann statistisch gesehen alle 1.000 Jahre vorkommen.

Also ein eher seltenes Ereignis.

Absolut, das sind große Zeitmaßstäbe, in denen wir in der Geologie denken. Erdbeben und Vulkanausbrüche finden häufiger statt. Allerdings können große Einschlagsereignisse eine deutlich katastrophalere Wirkung entfalten.

 

Artikel über Thomas Kenkmanns Lehrprojekt