Wird das Wasser knapp, mehren sich die Konflikte
Freiburg, 04.08.2020
Das Akronym verrät bereits, worum sich das Vorhaben dreht: Im Projekt „DRIeR“ haben Freiburger Forscherinnen und Forscher in Kooperation mit weiteren Partnern untersucht, wie sich Trockenheit und Dürre in Baden-Württemberg auswirken. DRIeR sei ein gutes Beispiel für die erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit, sagt Kerstin Stahl, Professorin für Umwelthydrosysteme an der Universität Freiburg. Sie leitet das Projekt gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Jens Lange, ebenfalls Hydrologe. Anlässlich des 50. Jubiläums der Fakultät für Umwelt und Natürliche Ressourcen (UNR) stellt eine Serie verschiedene Forschungsprojekte und Fachbereiche vor. Der vierte Teil – „Wasser“ – beschäftigt sich mit jüngst erarbeiteten Empfehlungen für die Bewirtschaftung und das Management von Wasser.
Die Fischtreppe in Freiburg ist ein beliebter Ort, wenn die Temperaturen steigen. In allzu heißen Sommern sinkt der Wasserspiegel der Dreisam drastisch. Foto: Thomas Kunz
„Hochwasser war als Wetterextrem in der Forschung sowie im öffentlichen Bewusstsein lange Zeit präsenter als Dürre und Trockenheit“, sagt Kerstin Stahl. Mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten Tübingen, Heidelberg und Freiburg wollte sie dieses „vergessene Extrem“ mehr in den Fokus rücken, seine Folgen für das Land Baden-Württemberg erforschen und daraus Empfehlungen für betroffene Regionen ableiten. 2015 reichte die Gruppe ihren Antrag für das Projekt „DRIeR: Drought impacts, processes and resilience: making the invisible visible“ beim Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (MWK) ein – in jenem Jahr, als eine schwere Dürre deutschlandweit zu ausgetrockneten Böden, Ernteverlusten und Niedrigwasser führte. „Medien berichteten damals zunehmend über Dürrefolgen, und unser Projekt bekam eine neue Bedeutung“, erinnert sich die Hydrologin.
Heute vereint DRIeR acht Professuren, die geistes-, natur- und rechtswissenschaftliche Disziplinen abdecken. Aus der UNR-Fakultät sind die Professuren für Umwelthydrosysteme, Forst- und Umweltpolitik, Hydrologie und Waldbau sowie das Institut für Physische Geographie beteiligt. DRIeR arbeitet zudem eng mit Partnern aus Politik und Praxis zusammen, darunter Wasser- und Umweltbehörden, Branchenverbände, die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg, Forst Baden-Württemberg, das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg und das MWK, das das Projekt mit zwei Millionen Euro fördert.
Im Gespräch mit Stakeholdern
Um zentrale Forschungsfragen zu beantworten, nutzten die Fachrichtungen unterschiedliche Methoden: Stahl und ihr Team haben Wasserflüsse auf Basis von Monitoring-Daten analysiert und den Nitratgehalt im Grundwasser gemessen, um die Menge und Qualität der zur Trinkwasserversorgung vorhandenen Ressourcen zu analysieren. Vegetationsökologinnen und -ökologen simulierten in Freilandexperimenten mit Trockendächern die Auswirkungen von schweren Dürren auf Gras-Ökosysteme und untersuchten deren Widerstandsfähigkeit. Juristinnen und Juristen prüften die rechtlichen Möglichkeiten im Umgang mit Wasser und verglichen sie mit Gesetzen aus Ländern wie Kalifornien und Spanien, die regelmäßig von Dürreperioden betroffen sind.
Gespräche und Workshops mit diversen Stakeholdern, darunter zum Beispiel Wasserkraftwerke, Land- und Forstwirtschaft sowie Politik auf Bundes- und Landesebene, gaben Aufschluss über Konfliktlinien zwischen den betroffenen Sektoren und Akteurinnen und Akteuren. Dabei erfuhren die Forschenden auch, welche Anforderungen oder Hilfsangebote für Resilienzstrategien die unterschiedlichen Gruppen hatten. Ferner hat DRIeR Medienberichte sowie wissenschaftliche Publikationen ausgewertet, um die Veränderungen von Dürrefolgen nachzuvollziehen. Unter anderem hat das Team die politischen Rahmenbedingungen im Umgang mit Dürrefolgen seit Beginn des 20. Jahrhunderts und den Einfluss der Klimaerwärmung der vergangenen Jahrzehnte analysiert.
Häufigere Dürresommer stehen bevor
Im Herbst 2020 endet das Projekt. Dann wollen die Forschenden ein Konzeptmodell präsentieren, das den Zusammenhang zwischen Ursachen und Auswirkungen von Trockenheit und Dürren aufzeigt und Empfehlungen für die Bewirtschaftung und das Management von Wasser gibt. Stahl berichtet vorab über einige grundlegende Ergebnisse: Zum einen haben sich die erarbeiteten Wirkungsketten über die Zeit kaum verändert – heute wie damals beeinflussen Dürren die Wasser-, Strom- und Nahrungsversorgung direkt. Zum anderen zeigen die Vegetationsprojekte, dass Gras-Ökosysteme robust sind und sich relativ schnell von Dürrefolgen erholen können – wobei sich diese Erkenntnisse nicht auf den Waldbereich übertragen lassen. Darüber hinaus machen die juristischen Vergleiche den Mangel an bundesweit einheitlichen Regelungen zu Fragen des Wasserrechts deutlich.
„Die Prozesse sind eng miteinander vernetzt. Ohne klare Regelungen wird diese Situation bestehende Nutzungskonflikte verschärfen“, sagt Stahl. Es sei dringend ein Sektor-übergreifendes Wassermanagement geboten, zumal Vorhersagemodelle auf häufigere Dürresommer in der Zukunft schließen lassen. „Die Politik muss klären, welche Sektoren bei Knappheit vorrangig auf Wasser zugreifen dürfen. Oberste Priorität hat aus meiner Sicht die Trinkwasserversorgung“, betont die Hydrologin. Doch was passiert zum Beispiel, wenn zu viel Trinkwasser entnommen wird und der Grundwasserpegel sinkt? Dieses Szenario vergrößere die Herausforderungen für Waldbesitzer und Landwirte, die mit der begrenzten Ressource Tiere sowie Pflanzen versorgen müssten. Gleichzeitig könnten bestimmte Industriezweige ihre Produktion – und damit auch Arbeitsplätze in der Region – nur aufrechterhalten, wenn sie über ausreichend Kühlwasser verfügten. „Der regionalen Priorisierung von Sektoren geht meist ein langer Verstehens- und Aushandlungsprozess zwischen allen Akteuren voraus.“
Kerstin Stahl ist sich sicher, dass von den Projektergebnissen nicht nur Betroffene, Politik und Fachbehörden in Baden-Württemberg profitieren werden. Die Erkenntnisse seien auch auf andere deutsche Regionen übertragbar. „Wir wissen, dass unsere bisherigen Resultate bereits in weitere Informations- und Vorhersageplattformen eingeflossen sind. Darunter ist auch ein Programm, welches sich mit Dürren im Alpenraum beschäftigt“, erklärt Stahl. „Unser Ziel, das Unsichtbare sichtbar zu machen, haben wir damit erreicht.“
Kristin Schwarz
Weitere Texte aus der Serie:
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