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Wie sich frühere Gesellschaften klimatischen Veränderungen anpassten

Forschungsteam zeigt fünf sogenannte Resilienzpfade von vormodernen Bevölkerungen auf – und was sich aus ihnen lernen lässt.

Freiburg, 19.11.2021

Viele harte Winter, lange Dürreperioden und verregnete, kühle Sommer – es war oft recht ungemütlich während der Kleinen Eiszeit. Die dauerte vom 13. bis ins 19. Jahrhundert und brachte nach der vorher herrschenden mittelalterlichen Warmzeit einige klimatische Veränderungen mit sich. Diese waren zwar weniger ausgeprägt als der Klimawandel, den wir heute erleben, dennoch mussten sich die damaligen Gesellschaften damit auseinandersetzen. Ein internationales Forschungsteam, dem auch Katrin Kleemann vom Lehrstuhl für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Freiburg angehört, hat in der renommierten Fachzeitschrift Nature ein Rahmenwerk zur Erforschung der Geschichte von Klima und Gesellschaft vorgestellt. Sie zeigen darin fünf Wege, sogenannte Resilienzpfade, auf, mit deren Hilfe sich vormoderne Bevölkerungen an Klimaveränderungen angepasst haben.


Klimatischen Veränderungen musste sich der Menschen auch in vormodernen Zeiten bereits anpassen. Foto: appledesign/stock.adobe.com
 

„Viele Studien beschäftigen sich vor allem mit Desastern und der Frage, warum eine Gesellschaft kollabiert ist“, sagt Kleemann, „wir haben uns gefragt, ob die Reaktionen gerade auf klimatische Veränderungen vielleicht vielschichtiger waren, als es manchmal suggeriert wird.“ Auch wenn es nicht immer große Katastrophen waren, veränderte sich das Klima dennoch stark genug, dass es das Leben der Menschen beeinflusste. Um einen möglichst umfassenden Blick zu bekommen, haben sich Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengetan: Historiker*innen studieren historische Quellen, Naturwissenschaftler*innen steuern das Wissen aus Eiskernbohrungen bei, Statistiker*innen lesen die Zahlen. „So lassen sich beispielweise Ereignisse aus schriftlichen Quellen mit den Funden aus Baumringanalysen bestätigen“, erklärt Kleemann. „Umgekehrt können Angaben der Dendrochronolog*innen mitunter durch Historiker präzisiert werden.“

Warnungen per Glockengeläut oder Kanonenfeuer

Wie also sind vergangene Gesellschaften mit natürlichen – und weniger gravierenden – Klimaveränderungen umgegangen? Und lassen sich daraus womöglich Lehren dafür ziehen, wie wir dem modernen Klimawandel begegnen? Das lässt sich gut am Beispiel der Überflutungen nachvollziehen, die sich Kleemann anschaut: Schon jetzt ist klar, dass die sogenannten Jahrhunderthochwasser aufgrund des Klimawandels in Zukunft öfter auftreten als nur einmal in 100 Jahren - sich darauf vorzubereiten, wäre also klug. Im 18. Jahrhundert waren Versicherungen noch nicht weit verbreitet, die Menschen, die damals von Überflutungen betroffen waren, mussten also viel härter arbeiten, um die entstandenen Schäden auszugleichen. Zudem profitieren zeitgenössische Gesellschaftenvon einem ausgeklügelten Frühwarnsystem und regelmäßig Messung der Pegelstände. Früher funktionierte das Warnsystem noch per Glockengeläut oder Kanonenfeuer: Den flussabwärts gelegenen Gemeinden wurde auf diese Weise signalisiert, dass Wasser- und mitunter auch Eismassen - auf sie zukamen. Am Beispiel der Eisfluten von Köln im Frühjahr 1784 zeigt die Freiburger Historikern so den Resilienzpfad der politischen und institutionellen Adaption. „Menschen, die kein Obdach mehr hatten, wurden per behördlichem Dekret in Häusern einquartiert. Die Müller bekamen Mehl von der Stadt, aus dem sie Brot buken, das der Bevölkerung kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Und die lutherische und katholische Kirche sammelte Spenden und verteilten Lebensmittel“, erzählt Kleemann.

Der Ausbruch der isländischen Lakispalte bedingte möglicherweise den kalten Winter von 1783/1784, dieser Ausbruch hatte bereits im Juni 1783 begonnen. Über acht Monate wurden etwa 15 Kubikkilometer Lava freigesetzt, viele Gase gelangten in Strato- und Troposphäre und mit dem Jetstream nach Europa. „Das war als trockener Nebel beobacht- und teilweise auch riechbar“, erzählt Kleemann. „Für die Menschen damals muss das sehr beunruhigend gewesen sein: Sie haben all die Veränderungen registriert, ohne zu wissen, woher sie kommen.“

Neue Infrastruktur und Regeln als Reaktion

Gänzlich unvorbereitet wurde Europa schon einmal Mitte des 13. Jahrhunderts von einem völlig veränderten Klima getroffen: Der Sommer 1258 war stürmisch, kalt und verregnet, es gab Missernten und Überschwemmungen. Grund dafür war der Ausbruch des Schichtvulkans Samalas im Jahr 1257 auf der indonesischen Insel Lombok. „Damals ausgestoßene Sedimente konnten in Eiskernbohrungen nachgewiesen werden, das passte zu den historischen Aufzeichnungen aus dieser Zeit, die von stürmischen und kalten Wetterlagen berichteten“, erzählt Kleemann. In Italien konnten hingegen größere Hungernöte und daraus folgend eine hohe Sterblichkeit vermieden werden, weil die Menschen sich anpassten: Sie importierten mehr Getreide und bauten eigens dafür neue Kornspeicher, aus denen das Lebensmittel dann rationiert ausgegeben worden ist. „Hier sehen wir deutlich, wie eine neue Infrastruktur und neue Regeln als Reaktion auf eine Klimaveränderung entstanden sind“, erklärt Kleemann. Gleichzeitig wirkte sich der Ausbruch des Samalas in Asien viel gravierender aus als bei uns, ganze Dörfer in Indonesien wurden ausradiert. Weil die lokalen Auswirkungen so unterschiedlich sein können, behalten die Forscher*innen immer einen Dreiklang im Blick: die Klimageschichte, regionale Ereignisse und die jeweilige gesellschaftliche Reaktion vor Ort.

Mit der jetzt veröffentlichten Studie und dem neuen Rahmenwerk wollen die Wissenschaftler*innen andere Forschende dazu anregen, Verbindungen zwischen Klima und Gesellschaft zu untersuchen. „Das ist ein wachsendes Feld, in dem wir nach und nach neue Erkenntnisse gewinnen und in dem auch viel Potential steckt für neue Studien“, sagt Kleemann. „Denn auch wenn wir heute weitaus bessere technische Möglichkeiten haben als die Menschen vor einigen hundert Jahren, können wir für die Zukunft lernen, wenn wir die Vergangenheit besser verstehen, das heißt vor allem, sie realistischer sehen.“

Claudia Füßler

 

Pressemitteilung des MPI für Menschheitsgeschichte zum Paper

Originalpublikation in Nature

Website Katrin Kleemann