Wetter auf der Wärmeinsel
Freiburg, 16.06.2020
Immer mehr Menschen leben in Städten. Deshalb müssen Architektinnen und Architekten dort verstärkt darauf achten, ihre Planungen an den Klimawandel anzupassen. In der angewandten Human-Biometeorologie untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, wie sich das Wetter auf die menschliche Gesundheit auswirkt. Mit Modellen der Medizin, der Meteorologie und des Klimawandels können sie Planungs-und Klimafolgen simulieren und aktuelle sowie zukünftige Prognosen für Warnungen und für die Anpassungsplanung bereitstellen. Der Biometeorologe Prof. Dr. Andreas Matzarakis von der Universität Freiburg, wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologie des Deutschen Wetterdienstes in Freiburg, erklärt im Gespräch mit Franziska Heinzler, wie sich das Klima in Städten verhält und wie darauf reagiert werden kann.
In südwestdeutschen Städten rechnen Fachleute mit einer Erwärmung um drei bis vier Grad Celsius bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Foto: Sina Ettmer/stock.adobe.com
Herr Matzarakis, wenn sich das Wetter ändert, spüren das bereits viele Menschen vorher – gibt es Wetterfühligkeit wirklich?
Andreas Matzarakis: Wir reagieren alle aufs Wetter. Das heißt, wir schauen beispielsweise aus dem Fenster und freuen uns, wenn die Sonne scheint. Knapp über 50 Prozent der Bevölkerung in Deutschland sind wetterfühlig. Diese Personen sind keine Simulantinnen und Simulanten, die sagen, das Wetter ist schlecht, also geht es mir schlecht, sondern sie haben eine Vorerkrankung wie Rheuma, eine Atemwegserkrankung oder psychische Störungen. Diese Menschen sind bei einem Tiefdruckgebiet einer erhöhten Belastung ausgesetzt. Und dann gibt es noch wetterempfindliche Leute, die eine längere Krankheitsgeschichte oder zum Beispiel Narben von Operationen haben. Das betrifft in Deutschland circa 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung. Diese Menschen spüren das Wetter sehr stark und eine Veränderung oft bereits vorher. Das zeigt uns, dass es nicht klassische Faktoren wie Temperatur oder Feuchtigkeit sind, die diese Symptome auslösen, sondern Faktoren, die auch in einem geschlossenen Raum auftreten, also beispielsweise rasche, sehr niedrige Schwankungen des Luftdrucks.
Betrachten Sie als Human-Biometeorologe dann nur die negativen Effekte des Wetters?
Nein, zu einem großen Teil beschäftigten sich sowohl meine Kolleginnen und Kollegen als auch ich mich mit den positiven Aspekten, die das Klima für den Menschen hat. Wo beispielsweise heilklimatische Kurorte oder Luftkurorte zu finden sind. Es gibt aber nicht nur Forschende, die das Klima als Therapeutikum sehen und sich damit beschäftigen. Wir analysieren generell Orte, in denen Menschen leben – und die meisten Menschen leben in Städten. Deshalb untersuchen viele Forschende der Human-Biometeorologie das Stadtklima und wie es sich auf den Menschen auswirkt.
Was unterscheidet das Stadtklima von dem des Umlands?
Städte sind an sich wärmer als das Umland, weil es in Städten viel mehr Oberflächen gibt, nicht nur horizontal, sondern auch vertikal. Diese Oberflächen empfangen die Strahlung und reflektieren sie noch einmal. Zudem werden diese Strahlung und die Wärme durch die Materialien der Stadtoberflächen in Städten länger gespeichert. Somit gibt es tagsüber viel Strahlung, die nachts aber nicht abgegeben wird. Das führt neben andere Faktoren wie zum Beispiel mehr Schadstoffe in der Luft zu dem bekannten Phänomen der urbanen Wärmeinsel. Dadurch ist es im Jahresdurchschnitt in einer Stadt circa zwei bis drei Grad Celsius wärmer als im Umland.
Wärmeinsel: Die Weltorganisation für Meteorologie definiert das Stadtklima als „durch Bebauung und Emissionen gegenüber dem Umland verändertes Lokalklima“.
Quelle: Deutscher Wetterdienst
Verstärkt der Klimawandel das noch?
Ja, wir erwarten in Städten in Südwestdeutschland bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine Erwärmung um drei bis vier Grad Celsius. Somit erleben die Menschen in den Städten jetzt schon den Klimawandel und in Zukunft werden sie den Klimawandel zweimal haben: zum einen durch das städtische Klima und zum anderen durch den globalen Klimawandel. Deshalb müssen wir speziell hier eine Minderung der Ursachen vorantreiben und entsprechend an der Anpassung arbeiten.
Wie kann das aussehen?
Innerhalb der Stadt ist es wichtig, Oasen zu schaffen, in denen sich die Menschen erholen können. Schon mit wenigen Bäumen und je nachdem, wie die Bäume verteilt sind, kann sehr viel erreicht werden. Aber auch durch angepasste Ausrichtung und Höhen von Gebäuden, so dass es weniger vertikale Oberflächen gibt, oder durch Fassaden- und Dachbegrünung ist die Hitze in Städten reduzierbar. Deshalb arbeiten Biometeorologen eng mit Abteilungen für Stadtplanung zusammen. Wir untersuchen in der Freiburger Gerberau zum Beispiel Oberflächen. Wenn ich dort meine Hand an eine begrünte Fassade halte, spüre ich direkt einen Unterschied gegenüber einer Fassade ohne diese Begrünung. Außerdem untersuchen wir in Freiburg, ob der kühlende Wind, der aus dem Höllental kommt, ungehindert durch die Stadt fließen kann. Im Moment kommt es uns Forschenden entgegen, dass es für die Städte „in“ ist, nicht nur den Klimanotstand auszurufen, sondern auch Hitzeaktionspläne zu entwerfen.
Innerhalb der Stadt ist es wichtig, Erholungsoasen zu schaffen – schon mit wenigen Bäumen kann sehr viel erreicht werden, sagt Andreas Matzarakis.
Foto: Klaus Polkowski
Hitzeaktionspläne – was ist darunter zu verstehen?
Ziel von Hitzeaktionsplänen ist es, hitzebedingte und UV-bedingte Erkrankungen und Todesfälle durch eine angepasste Bau-und Stadtplanung zu vermeiden. Zudem greifen die Pläne in akuten Situationen wie ein Hitzewarnsystem. Darauf basierend wird dann eine amtlich-offizielle Warnung herausgegeben, wenn die Temperaturen gesundheitliche Belastungen hervorrufen.
Was sollte jede und jeder Einzelne bei Hitzewarnungen tun?
Die Empfehlungen sind, viel Flüssigkeit aufzunehmen, Innenräume kühl zu halten und die Sonne zu vermeiden. Bei extremer Hitzebelastung kommt eine vierte Verhaltensempfehlung dazu: Dann werden die Leute darum gebeten, nicht nur auf sich, sondern auch auf ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu achten.