Werkzeuge der Natur als Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln
Freiburg, 28.02.2022
Das Wechselspiel verschiedener Organismen, also etwa von Pflanzen, Pilzen und Bakterien, ist höchst komplex. Die Pharmazeutin Petra Mußler und der Chemiker Prof. Dr. Michael Müller von der Universität Freiburg forschen im transnationalen Verbund „DialogProTec“ daran, besser zu verstehen, wie unterschiedlich zum Beispiel eine Pflanze ein Enzym einsetzen kann, um auf Veränderungen in ihrer Umgebung zu reagieren – auch auf neue Krankheitsbilder, die der Klimawandel hervorbringt.
Leben, sagt Michael Müller, funktioniert nachhaltig. „Seit 100 Millionen Jahren kommen sämtliche Organismen wie Pflanzen, Pilze und Bakterien zurecht, indem sie sich gegenseitig schützen und stärken“, erklärt der Professor vom Lehrstuhl für Pharmazeutische und Medizinische Chemie. Dieses faszinierende und höchst komplexe Miteinander schaut sich Müller derzeit mit seiner Mitarbeiterin Petra Mußler an, um Ideen für einen nachhaltigen Pflanzenschutz zu sammeln.
Die Forschung der Pharmazeutin und des Chemikers ist Teil eines transnationalen Verbundes, des sogenannten Interreg-Projektes „DialogProTec“. Dessen Ziel ist es, Strategien zu entwickeln, mit denen der chemische Dialog zwischen pflanzlichen Zellen und pilzlichen oder anderen Organismen spezifisch und nebenwirkungsfrei kontrolliert werden kann. Um ökologische Alternativen zu Pflanzenschutzmitteln finden zu können, werden die pflanzliche Immunität, das pflanzliche Wachstum sowie der Stoffwechsel von Pflanzen und Pilzen genauer untersucht. Neben der Universität Freiburg sind unter anderem das Karlsruher Institut für Technologie und die Universität Straßburg an dem Projekt beteiligt.
Enzyme wie Schweizer Taschenmesser
„Das Hauptanliegen des Projektes ist es, die Natur besser zu verstehen, genauer: das Wechselspiel zwischen verschiedenen Organismen“, erklärt Müller. Seine Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit der Biosynthese von Naturstoffen. Als er selbst noch Student gewesen sei, erzählt Müller, habe die einfache Annahme geherrscht, dass ein Enzym im pflanzlichen Stoffwechsel auch genau eine Funktion habe. Heute wisse man, dass die Natur sich der Enzyme so bedient, wie wir ein Schweizer Taschenmesser benutzen: Es hat verschiedene Funktionen, die je nach Bedarf zum Einsatz kommen. „Jetzt sehen wir, dass die Natur die Enzyme zunehmend anders nutzt als bisher, sie reagiert auf die vom Klimawandel verursachten Veränderungen“, sagt Müller.
Eine Verbindung, die Müller und Mußler besonders interessiert, ist die zwischen Pflanze und potentiellem Schädling, konkret: der Weinrebe und Pilzen. Ein Pilz wird die Rebe niemals ausrotten, weil er damit seine Lebensgrundlage verlöre. Spannend ist die Antwort auf die Frage, wieso diese Liaison so gut funktioniert: Stellt einer der beiden etwas für den anderen her? Produziert also beispielsweise die Pflanze eine Substanz, die dem Pilz nutzt? Oder ist es umgekehrt? Oder, Variante drei, produzieren beide Stoffe, von denen der jeweils andere profitiert? „Es gibt sehr viele Pflanzen, die nur gut wachsen können, wenn sie von einem Pilz ‚befallen‘ sind“, erklärt Petra Mußler.
Nicht jeder Pilz macht die Rebe krank
Ein Beispiel dafür ist der Mykorrhiza-Pilz. Interessant ist auch die Esca-Krankheit: Ist eine Rebe befallen, kann diese vor einem Schaden durch Bakterien geschützt sein, die Rebe kann aber auch geschwächt werden. Nicht jede Pflanze, auf der ein Pilz lebt, wird krank, zudem ist die Wissenschaft weit davon entfernt, alle existierenden Pilze zu kennen. Heißt: Vielleicht lebt einer auf einer Pflanze und interagiert mit ihr, wird von uns aber gar nicht wahrgenommen.
Weil biologisch hergestellte Lebensmittel zunehmend an Bedeutung gewinnen, werden auch pilzresistente Rebsorten immer wichtiger. Der Verbraucher möchte keinen Wein kaufen, der mit industriell hergestellten Fungiziden und Insektiziden behandelt worden ist. „Das heißt im Umkehrschluss aber nicht automatisch, dass jede Substanz, die natürlich ist, auch nachhaltig ist“, sagt Müller, „allerdings kann sie insofern besser sein, als dass sie von vornherein besser abbaubar ist.“
Staunen über die Vielfalt der Natur
Das, was Müller und Mußler derzeit betreiben, gehört zur Grundlagenforschung. Sie sind deskriptiv unterwegs und staunen dabei immer wieder über faszinierende Eigenheiten der Natur. Zum Beispiel der Botrytis. Dieser Schlauchpilz sorgt für unterschiedliche Effekte, abhängig davon, in welchem Reifegrad sich die Trauben der befallenen Reben gerade befinden. „Sind die Trauben noch jung, faulen sie, wird der Pilz hingegen erst zu einem späteren Zeitpunkt aktiv, bekommen die Trauben ein ganz besonderes Aroma“, erklärt Mußler. Diese Note hingegen macht nur den Riesling zu einem edlen Tropfen.
„Einfach“, das mussten die beiden Freiburger Forscher schon oft feststellen, gibt es in der Natur nicht. „Wann immer man von einem schlichten Mechanismus ausgeht, taucht man plötzlich ein in ein höchst komplexes Netzwerk aus Funktionen und Abhängigkeiten“, sagt Müller, „wir versuchen da ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen, auch wenn uns klar ist, dass der Mensch das in seiner Gänze nie komplett verstehen wird.“ Er vergleicht das mit dem Wissen, das die Menschheit über Antibiotika gewonnen hat: Vor einigen Jahrzehnten noch war man überzeugt, dass man dank der Entdeckung von Antibiotika die bakteriellen Infektionen im Griff hat. Heute weiß man auch aufgrund der zunehmenden Zahl multiresistenter Bakterien, dass man neue Wege finden und lernen muss, damit umzugehen.
Neue Erkenntnisse in chemischer Ökologie
Die Zukunft beim Infektionsschutz, ist Müller sicher, wird eher divers werden. Statt nur auf Antibiotika werde man vermehrt auf die Kombination von Phagen mit einem Antibiotikum setzen. Phagen sind Viren, die sich in Bakterien vermehren und diese dabei zerstören. Damit habe man bereits erste Erfolge gesammelt. „Wenn man das gleiche Antibiotikum in geringeren Mengen wie bisher anwendet, dem aber Phagen zugibt, kann das sogar multiresistente Stämme effektiv bekämpfen“, erklärt Müller.
„Zu sagen, wir haben hier ein neues Fungizid oder Herbizid ist viel zu kurz gedacht“, sagt der Chemiker, „wir wissen ja heute, dass das Zusammenspiel der unterschiedlichen Organismen nicht auf makroskopischer, also mit bloßem Auge sichtbarer Ebene stattfindet, sondern molekular.“ Immer wieder stelle er erstaunt fest, dass die eigenen Modelle, die dafür gedacht seien, komplexe Vorgänge möglichst verständlich zu erklären, zu einfach seien, weil plötzlich zweite, dritte, vierte Funktionen von Enzymen auftauchen.
Die komplexe Realität der chemischen Ökologie darzustellen, sei daher mit den der Vereinfachung dienenden Modellen schlicht nicht möglich. Dennoch, sind Müller und Mußler überzeugt, hilft ihre Arbeit dabei, die Werkzeuge der Natur ein wenig näher zu beleuchten. „Wenn ich die zusätzlichen, bisher nicht bekannten Funktionen eines Enzyms kenne, habe ich mehr Stellen, an denen ich eingreifen kann“, sagt Müller, „das erweitert auf lange Sicht die Optionen.“
Claudia Füßler