Welche Zukunft hat die „Freiburger Schule“ und was kann der Ordoliberalismus zum Umgang mit aktuellen Krisen beitragen?
Freiburg, 17.03.2023
Der Ordoliberalismus der „Freiburger Schule“ um den Ökonomen Walter Eucken ist nicht nur eine vergangene ideengeschichtliche Episode, er kann auch wichtige Anregungen für den Umgang mit aktuellen Krisen von Inflation über Klima- und Energiekrise bis zur Bildungspolitik bieten – wenn er anschlussfähig gemacht wird an zeitgemäße Methoden und die internationale Forschung: Davon ist Tim Krieger überzeugt. Der Volkswirt hat die Wilfried-Guth-Stiftungsprofessur für Ordnungs- und Wettbewerbspolitik an der Universität Freiburg inne und hat kürzlich einen Workshop zur Zukunft des Ordoliberalismus veranstaltet.
Ordoliberalismus der „Freiburger Schule“ kann auch wichtige Anregungen für den Umgang mit aktuellen Krisen bieten. Foto: Adobe Stock/suriyapong
Ordoliberale setzen auf die positiven Kräfte von Marktwirtschaft und freiem Wettbewerb – unter bestimmten Bedingungen, sagt Krieger: „Das Wichtigste am Ordoliberalismus ist, dass er einen so genannten Ordnungsrahmen für die Wirtschaft befürwortet.“ Das seien „Regeln für den Wettbewerb auf Märkten, die einerseits die wünschenswerten Marktmechanismen wirken lassen, diese andererseits aber auch eingrenzen, damit sie nicht ausarten können“. Dafür sei wiederum ein starker Staat erforderlich, der die Regeln bestimmt und notfalls gegen Interessengruppen durchsetzt – sich ansonsten aber nicht in die individuellen Entscheidungen der Marktakteure einmischt und die Marktkräfte wirken lässt.
Freier Markt und starker Staat
Aktuell erlebe der zuvor ziemlich in Vergessenheit geratene Ordoliberalismus eine Art Renaissance, sagt Krieger. In einer scheinbar immer ungeordneteren Welt mit zahlreichen Krisen stelle sich die Frage nach einer Ordnung für die Zukunft. Antworten darauf werden auch in der Freiburger Ordnungsökonomik gesucht. Das sei allerdings eine neue Entwicklung, denn in der vergangenen Dekade, die von den Nachwehen der Eurokrise geprägt war, wurde der Ordoliberalismus massiv kritisiert: Er wurde als protestantisch-deutsche Ideologie – Stichwort „schwäbische Hausfrau“ – verantwortlich gemacht für ein vermeintliches Spardiktat der Deutschen in Europa. Kritisiert wurde auch das Beharren auf marktwirtschaftlichen Lösungen, statt einfach innerhalb Europas Steuergelder umzuverteilen.
Krieger hält zwar die Frage, warum ausgerechnet der Markt, der manche problematischen Zustände mit hervorgebracht hat, sie wieder beseitigen solle, für verständlich – trotzdem sieht er in dieser Kritik am Ordoliberalismus ein Missverständnis. Zum einen sei die Rettung der europäischen Schuldnerstaaten quer durch alle politischen Lager in Deutschland höchst unpopulär gewesen. Zum anderen habe sich gerade der Ordoliberalismus seit seinem Entstehen Ende der 1920er Jahre immer gegen einen ungeregelten Marktradikalismus ausgesprochen. So plädiere er zwar für Vertragsfreiheit als einen Kern des freien Marktes, aber ebenso für das Verbot von Verträgen zu Lasten Dritter, etwa durch Preisabsprachen. Ordoliberale bezweifelten nicht, dass es das Vorrecht des Staates sei, politische Ziele vorzugeben, aber sie plädierten leidenschaftlich dafür, den Weg, wie diese Ziele am besten erreicht werden, dann dem Markt zu überlassen.
Preissignale für Klimaziele
Krieger nennt als ein praktisches Beispiel hierfür den Emissionshandel der EU. Die europäische Politik gebe Klimaschutzziele in Form von CO2-Höchstmengen vor, die im Zeitablauf immer weiter abgesenkt werden. Für die erlaubten CO2-Mengen werden Zertifikate ausgegeben, die Unternehmen erwerben müssen, wenn sie CO2 ausstoßen möchten. Weil die Zahl der Zertifikate sinkt, werden diese immer teurer, was einen starken Anreiz setzt, Treibhausgase einzusparen. Der Handel mit den Zertifikaten ermögliche es kleinen, innovativen Unternehmen, besonders von einer CO2-armen Produktionsweise zu profitieren, während große, energieintensive Unternehmen etwas Zeit gewinnen, sich umzustellen, dafür aber einen immer höheren Preis zu bezahlen hätten. Es entspreche zwar vielleicht nicht dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden, dass einzelne große CO2-Produzenten Zeit gewinnen, sei aber höchst effizient, um wirkliche Einsparungen zu erzielen, sagt Krieger, denn die politisch vorgegebene Höchstmenge werde ja erreicht. „Der Staat muss allerdings stark genug sein, um die vorgegebene Emissionsmenge von Jahr zu Jahr weiter abzusenken.“
Volkswirt Tim Krieger von der Universität Freiburg arbeitet an einer zeitgemäßen Weiterentwicklung des ordnungspolitischen Denkansatzes. Foto: Thomas Kunz
Öl und Macht
Wie schwierig dies sein kann, zeige sich etwa an der dominanten Rolle großer Ölproduzenten in der globalen Wirtschaft. Private Ölkonzerne, vor allem aber staatliche Ölfirmen könnten einen enormen Einfluss auch auf politische Entscheidungen ausüben, weil sie eine Art Staat im Staate mit einem Machtmonopol seien. „Solche Monopole müssen wir aufbrechen, gerade auch vor dem Hintergrund des Klimawandels.“ Es gehöre zum „Urgedankengut“ der Freiburger Schule, Machtzusammenballungen zu verhindern, weil sie den freien Wettbewerb behinderten und zu viel Einfluss ausübten.
„Tatsächlich lässt sich heute empirisch belegen, dass die wirtschaftliche Freiheit in Ländern mit mächtigen Öl-Eliten eingeschränkt ist“, sagt Krieger. Das gelte nicht nur für offenkundige Fälle wie Russland oder die Autokratien am Golf, sondern auch etwa für Nigeria oder Venezuela. Die Öl-Eliten hätten kein Interesse daran, dass junge, innovative Unternehmen möglicherweise überlegene Alternativen im Bereich der Erneuerbaren Energien entwickelten. Und selbstverständlich wehrten sie sich auch gegen scharfe Klimavorgaben der Staaten.
Internationaler Workshop
Vor dem Hintergrund solcher drängenden Problemstellungen widmete sich ein internationaler Workshop, den Krieger an der Universität Freiburg veranstaltet hat, der Frage, wie ein moderner Ordoliberalismus aussehen könnte. Themen wie Globalisierung und weltweite Migration oder die Frage nach einem „grünen Ordoliberalismus“ konnten die Gründer der Freiburger Schule in den 1930er Jahren noch nicht behandeln. Es sei wichtig darüber nachzudenken, welche theoretischen und methodischen Ansätze hierzu heute produktiv und international anschlussfähig seien, sagt Krieger: „Die Frage, welche – auch informellen – Regeln eigentlich eine Gesellschaft lenken, ist hoch aktuell.“ Hier gebe es Berührungspunkte etwa mit der Institutionenökonomik, aber auch mit Politikwissenschaft und Soziologie.
„Funktionierende“ und „menschenwürdige“ Ordnung
Außerdem solle der Ordoliberalismus seine normativen Wurzeln wieder stärker in den Blick nehmen, sagt Krieger – auch wenn er sich hierin nicht mit allen Fachkolleg*innen einig sei: „Walter Eucken ging es nicht nur um eine ‚funktionierende‘, sondern auch um eine ‚menschenwürdige Ordnung‘.“ Das bedeute, nicht nur die Wirtschaft, sondern die ganze Gesellschaft in den Blick zu nehmen und zum Beispiel zu fragen, wie in einer liberalen Ordnung ein Bildungssystem aussehen könne, dass dazu beiträgt, allen dieselben Chancen zu bieten. „Die Wirtschaft steht zwar im Zentrum des ordoliberalen Ansatzes,“ sagt Krieger, „aber letztlich geht es ganz grundsätzlich um einen Prozess, der zu einer Ordnung führt, in der sich möglichst viele wohlfühlen und an ihr teilhaben.“