Wie verlässt Corona die Zelle?
Freiburg, 11.09.2020
Der Freiburger Pharmakologe Prof. Dr. Robert Grosse untersucht im Rahmen von groß angelegten internationalen Studien, wie das Virus SARS-CoV-2 die Strukturen im Zellinnern verändert. Dabei nimmt er vor allem ein bestimmtes Enzym in den Blick, das mit dem Coronavirus in einer Wechselwirkung steht. Grosse ist Professor am Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie und forscht auch am Freiburger Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies.
Die pinkfarbenen Punkte sind Moleküle des Virus SARS-CoV-2, die sich in einer menschlichen Zelle befinden. Robert Grosse und sein Team untersuchen, wie sie sich auf das Zellskelett auswirken. Quelle: Robert Grosse
Auf dem Foto ist eine menschliche Darmepithelzelle vor viel schwarzem Hintergrund zu sehen. Im Inneren der Zelle sind pinkfarbene Punkte, an ihrem Rand kleine Ausstülpungen. Ein bisschen sieht es so aus, als zöge dort eine unsichtbare Kraft die Zellmembran nach außen. Robert Grosse und sein Team haben das Foto mit einem Laser-Scanning-Mikroskop gemacht. Mehr als vier Monate ist das jetzt her. Die so harmlos im Bild wirkenden Punkte seien Moleküle des neuen Coronavirus, erzählt Grosse. Mit der Aufnahme wollte er herausfinden, was SARS-CoV-2 mit dem Zellskelett macht, also der Struktur, die die Zelle stabil, aber auch beweglich hält.
Grosse forscht seit Jahren an dem Protein Aktin, das einen wichtigen Teil des Zellskeletts bildet. Und hin und wieder auch dazu, wie Viren, genauer HIV und Vaccinia, das Zellskelett verändern. Mit SARS-CoV-2 hatte Grosse plötzlich einen neuen Untersuchungsgegenstand. Zusammen mit seiner Doktorandin Svenja Ulferts machte er sich im März 2020 an die Arbeit. Verbindungen in die Virologie gab es auch, sodass Grosse und Ulferts das S3-Labor (S3 steht für Sicherheitsstufe 3) der Universitätsklinik Freiburg nutzen konnten. Unterstützt wurden sie dabei von Sebastian Weigang, der dort promoviert. Kaum hatte die Gruppe die ersten mikroskopischen Fotos geschossen, gehörte sie auch schon zu einem internationalen Forschungsverbund, der eine groß angelegte Studie in Arbeit hat. Initiiert wurde diese von Pedro Beltrao vom Europäischen Institut für Bioinformatik der Universität Cambridge und von Nevan Krogan, der in San Francisco das Quantitative Biosciences Institute leitet.
Feine Linien verzweigen sich wie Finger
Auch diese Arbeit hat SARS-CoV-2 im Blick sowie das Protein Casein kinase 2, kurz CK2, das mit dem Virus in einer spannenden Wechselwirkung steht. Spannend deswegen, weil das Virus dieses eine Enzym in der Zelle auffällig stark aktiviert. Im Rahmen dieser Studie hat das Freiburger Team Mikroskopie-Analysen zugeliefert, die eben dieses Zusammenspiel dokumentieren. Darauf zu sehen sind feine Linien, die von der Zelle wegführen und sich am oberen Ende wie Finger verzweigen. Grosse nennt diese Linien auch Straßen: „Das Virus verändert das Aktin-Gerüst der Zelle, zieht es an der ein oder anderen Stelle auseinander.“ Auch wenn es so aussehe, als würden auf diesen Straßen Virus und CK2 aus der Zelle heraustransportiert, sei noch unklar, welche Funktion diese Finger-Strukturen haben. Bislang könne man nur sehen, dass CK2 in diesen Strukturen enthalten sei und mit den Virusproteinen kolokalisiere. Heißt: Es gibt eine biochemische Verbindung.
Grosses Befund deckt sich mit den Aufnahmen der US-amerikanischen Forscherin Elisabeth Fisher, die zeitgleich ganz ähnliche Fotos geschossen hat – allerdings mit einem Elektronenmikroskop: „Auf diesen hoch auflösenden Aufnahmen sieht es so aus, als würde das Virus die Zelle tatsächlich verlassen“, sagt Grosse, fügt aber gleich hinzu: „Mehr als eine Vermutung ist das erst einmal nicht, schließlich arbeitet man mit Momentaufnahmen und nicht mit Filmen, die einen Verlauf dokumentieren können.“
Auf den richtigen Hemmer kommt es an
Spannend ist das Zusammenspiel von Zelle, Virus und CK2 aber auch deswegen, weil sich daraus möglicherweise Therapieansätze ergeben könnten, um Covid-19 zu behandeln. Darin liege auch die Haupterrungenschaft der Studie, so Grosse. In einem ersten Schritt sei untersucht worden, welche Kinasen in der mit SARS-CoV-2 infizierten Zelle besonders aktiviert werden, um dann Substanzen zu listen, die eben diese Kinasen hemmen. Einige dieser pharmakologischen Hemmstoffe werden in klinischen Studien bereits getestet, allerdings nicht in Zusammenhang mit Covid-19, sondern vor allem für Tumortherapien. Eine dieser Substanzen ist Silmitasertib, sie hemmt CK2. Mit ihr wird Grosse in den nächsten Monaten noch zu tun haben. Sollte sich tatsächlich herausstellen, dass CK2 für die Ausbildung der verzweigten Straßen verantwortlich ist und das Virus auch über diese Straßen an benachbarte Zellen weitergegeben wird, könnte dieser Prozess mit den richtigen Hemmern möglicherweise gestoppt werden.
Das sei noch alles sehr spekulativ, betont Robert Grosse. Trotzdem werde man in diese Richtung weiterforschen. Oder gleich in mehrere Richtungen: Um CK2 möglichst klein zu halten, testen Grosse und sein Team gerade einige Methoden durch. Außerdem wollen die Forschenden versuchsweise auch andere von dem Virus aktivierte Enzyme hemmen, die die Aktinfasern im Zellskelett polymerisieren, also auseinanderziehen. In Sachen SARS-CoV-2 wird Grosse auch in Zukunft mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenarbeiten. Unter anderem mit Beltrao: Man wolle noch tiefer bohren, um zu verstehen, was das Virus mit der Zelle mache. Grosse freut sich auf die Zusammenarbeit. Für ihn sei das internationale Miteinander extrem spannend gewesen. In so einem großen Team über alle Ländergrenzen hinweg zu forschen sei fantastisch. Eine unglaubliche Dynamik habe das gehabt.
Stephanie Streif