„Unpassend und peinlich“
Freiburg, 16.06.2017
Die Bundeswehr will laut Medienberichten ihr 1991 veröffentlichtes Liederbuch „Kameraden singt!“ überarbeiten. Das ist nicht ganz einfach, wie Dr. Dr. Michael Fischer, Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik, im Interview mit Nicolas Scherger verdeutlicht. Denn so berechtigt die Kritik an dem Buch ist, so schwierig ist es, passende Lieder dafür zu finden.
„Kameraden singt!“ ist seit 1991 das offizielle Liederbuch der Bundeswehr. Foto: Jürgen Gocke
Herr Fischer, ist es an der Zeit, das Liederbuch der Bundeswehr zu überarbeiten?
Michael Fischer: Es ist normal, dass man eine solche Liedsammlung nach einem Vierteljahrhundert überarbeiten muss. Interessant ist aber die Begründung: Im Rahmen des kritischen und sensiblen Umgangs mit den Inhalten sei erkannt worden, dass einige Textpassagen nicht mehr dem aktuellen Wertverständnis entsprechen. Dabei geht es um Lieder, die im nationalsozialistischen Kontext entstanden oder rezipiert worden sind: „Schwarzbraun ist die Haselnuss“, das „Panzerlied“ oder das „Westerwaldlied“. Darüber hinaus gibt es aber viele weitere problematische Texte und Kontexte. 90 Prozent der Textpassagen in diesem Buch sind unpassend und peinlich.
Also ist es nicht damit getan, einzelne Lieder herauszunehmen?
Überhaupt nicht. Anklänge an den Nationalsozialismus oder an die Wehrmacht finden sich auch in anderen Liedern. So beginnt eine Strophe mit dem Ausdruck: „Die Reihen fest geschlossen“ – das kommt auch im so genannten Horst-Wessel-Lied vor. In einem anderen finden wir folgende Passagen: „Wir sind die Herren der Welt, die Könige auf dem Meer … und da steigt am schwankenden Mast empor unsre Flagge so rot wie das Blut.“ Da stellen sich Assoziationen ein, mit denen man die Bundeswehr nicht verbinden möchte. Und in einem weiteren Text heißt es: „Wir fahren nach Norden … wir fahren seit tausend Jahren … Wir werden noch fahren in tausend Jahren“. Da hätte man schon 1991 merken müssen, dass das nicht geht.
Welche weiteren problematischen Kontexte haben Sie identifiziert?
Das Buch vermittelt überholte Vorstellungen von Heimat, Geschlecht, Mann- und Wehrhaftigkeit. Wir haben seit 1991 ganz andere gesellschaftliche Debatten, und auch die Bundeswehr selbst hat sich stark verändert, etwa dadurch, dass es inzwischen Soldatinnen gibt. Das macht einige Lieder unsagbar: „Lebe wohl, mein Schatz, mich ruft die Pflicht, gib die Hand zum Abschied mir! Ich bin schon morgen Soldat und schreibe aus der Kaserne dir.“ Natürlich kann man sagen, das ist in einer gewissen Weise harmlos – aber es ist einfach nicht mehr zeitgemäß und offenbart ein problematisches, unakzeptables Frauenbild.
Das Liederbuch vermittelt den Eindruck, es handele sich beim Krieg um ein Spiel oder ein großes Abenteuer. Das entspricht nicht dem Leitbild der Bundeswehr als Friedensarmee, sagt Michael Fischer. Foto: Jürgen Gocke
Die Liste geht noch weiter …
Ebenso fehl am Platz sind kolonialistische Inhalte: „Wie oft sind wir geschritten auf schmalem Negerpfad“ mit dem Refrain „Heia, Safari“. Diese Art von Humor sollte eigentlich vorbei sein. Dann finden wir Fastnachts- und Stimmungsschlager wie „Es gibt kein Bier auf Hawaii“. Und nicht zuletzt die so genannten Volkslieder: In „Hoch auf dem gelben Wagen“ lautet eine Strophe: „Postillion in der Schenke füttert die Rosse im Flug, schäumendes Gerstengetränke reicht uns der Wirt den Krug“. Ich weiß nicht, was 20-jährige Menschen heutzutage mit solchen Texten anfangen sollen.
Was sagt das Buch über die Entstehung dieser vermeintlichen Soldatenlieder?
Im Vorwort steht: „Daß Soldaten singen, ist ein alter Brauch. Soldatenlieder sind mündlich überliefert, immer wieder verändert und durch die Soldaten selbst im täglichen Umgang ‚zurechtgesungen‘ worden“. Das ist eine Ideologie, die das frühere Deutsche Volksliedarchiv, die Vorgängereinrichtung des Zentrums für Populäre Kultur und Musik, mit hervorgebracht und propagiert hat – allerdings vor über einhundert Jahren! Tatsächlich werden Soldatenlieder schriftlich verbreitet – eben durch solche normativen Bücher.
Welches Bild vermittelt das Buch dabei über die Bundeswehr selbst?
Das zeigt schon der Umschlag: Soldaten am Lagerfeuer, beim Bergsteigen, auf dem Segelschiff – die Bundeswehr als Abenteuerurlaub. Das erscheint mir deplatziert. In ethischer und politischer Hinsicht ist für mich klar: Der Krieg ist ein Übel, und in demokratischen Gesellschaften kann er nur zur Gefahrenabwehr, zur Verteidigung, in Erwägung gezogen werden. Dann dürfen sich in so einem Buch aber keine Texte finden, die den Eindruck erwecken, es handele sich beim Krieg um ein Spiel oder ein großes Abenteuer. Das entspricht nicht dem Leitbild der Bundeswehr als Friedensarmee.
Schwieriger Spagat: Das Liederbuch muss hohen normativen Ansprüchen genügen – sein Verwendungszweck ist aber, dass Soldaten Geselligkeit pflegen. Foto: Jürgen Gocke
Wie erklären Sie sich, dass sich all diese problematischen Inhalte dennoch so lange halten?
Es gibt einen nicht leicht aufzulösenden Spagat: Das Liederbuch ist eine offizielle Veröffentlichung der Bundeswehr, herausgegeben vom Bundesverteidigungsministerium. Deshalb muss es hohen normativen Ansprüchen genügen. Der Verwendungszweck ist aber, dass Soldaten zusammensitzen, Geselligkeit pflegen, sich unterhalten wollen. Also möchte man ihnen Lieder anbieten, die ihre Lebenswelt – neutral formuliert: das Soldatische – widerspiegeln. Das sind widerstreitende Interessen, und diese Schwierigkeit muss man bei aller berechtigten Kritik sehen.
Gibt es auch ein Lied, das Sie im Buch gut aufgehoben finden?
Ja, „We shall overcome“ – aber pazifistische Lieder und Protestgesänge passen eben auch schlecht zur Erfahrung des Soldatischen. Und natürlich gäbe es Texte von Bertold Brecht: „Anmut sparet nicht noch Mühe, Leidenschaft nicht noch Verstand, dass ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land“. Aber mit solchen ‚didaktischen‘ Liedern würde das Buch seinen Verwendungszweck auch verfehlen.
Was wäre dann die Lösung?
Ich muss zugeben, dass ich auch keine einfachen Lösungen anbieten kann – wenn man nicht sagt: Dieses offizielle Liederbuch ist unnötig, die Soldaten sollen das singen, was sie kennen und was ihnen Spaß macht. Am Anfang der derzeitigen Liedsammlung steht ein Zitat, das Friedrich dem Großen zugeschrieben wird: „Es darf nicht Trübsal geblasen werden, … es muß gesungen werden!“ Aber die Vorstellung, dass jemand militärisch anordnet, wir singen jetzt das Lied Nummer 17, ist doch längst veraltet. Musische Betätigung sollte immer spontan und freiwillig sein.