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Übungsprogramm in Achtsamkeit für Ärzt*innen

Programmteilnehmende äußerten nach sechs Monaten deutlich weniger Burnout-Symptome

Freiburg, 21.02.2022

Ein Team von Freiburger Forschenden hat untersucht, ob ein Übungsprogramm in Achtsamkeit jungen Ärzt*innen helfen kann, im Klinikalltag ihre Belastung zu senken und mehr Muße zu erleben.

Foto: Blue Planet Studio / Stock.adobe.com

Große Anforderungen im Beruf kombiniert mit hohen Selbstansprüchen können Stress auslösen. Als Dauerzustand mindert starke Belastung nicht nur die Lebensqualität, sondern kann krank machen. Burnout oder Depressionen sind mögliche Folgen. Gelegentlicher Stress ist heutzutage aus vielen Berufen nicht mehr wegzudenken. Auch die hektische Umgebung eines Krankenhauses sowie die immense Verantwortung bergen insbesondere bei jungen Ärzt*innen chronisches Stresspotential. Deshalb entwickelte ein Team um die Freiburger Professor*innen Anja Göritz aus der Abteilung Wirtschaftspsychologie der Universität Freiburg und Prof. Dr. Stefan Schmidt von der Medizinischen Fakultät und der Sektion Systemische Gesundheitsforschung der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Freiburg ein Achtsamkeitsprogramm, speziell angepasst auf die Bedürfnisse von Ärzt*innen in Weiterbildung. In einer von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Freiburger Sonderforschungsbereichs 1015 „Muße. Gesellschaftliche Ressource - Kritisches Potenzial“ geförderten Studie untersuchten die Forschenden, ob damit die empfundene Belastung der jungen Ärzt*innen gesenkt und im Klinikalltag Momente der Muße erlebt werden können.

Ein maßgeschneidertes Programm

Achtsamkeit ist ein von Offenheit und Neugier geprägter Bewusstseinszustand, in dem sich die Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment richtet und sowohl Umwelt als auch eigene Empfindungen ohne Wertung wahrgenommen werden. „Um das Programm auf die Bedürfnisse junger Ärzt*innen zuzuschneiden, nimmt das Konzept der Muße darin eine Schlüsselrolle ein“, erklärt Schmidt. „Muße ist ein Zielzustand, in dem sich Personen auch in stressigen Zeiten frei und selbstbestimmt fühlen und bildet gleichzeitig einen Gegenpol zur Selbstoptimierung.“ Das soll gewährleisten, dass Achtsamkeit im leistungsorientierten Krankenhauskontext nur als Mittel zur Befindensverbesserung und nicht im Sinne einer zusätzlichen Leistungssteigerung fehlinterpretiert wird. Um diese Praxis der Achtsamkeit zu schulen, umfasst das Programm acht wöchentliche und eine ganztätige Sitzung, die von erfahrenen Fachärzt*innen für Psychosomatische Medizin, die auch als Achtsamkeitstrainer*innen ausgebildet sind, angeleitet werden. Ein Augenmerk liegt dabei auf dem Transfer der Achtsamkeitsübungen aus dem Seminarraum in den Klinikalltag.

Achtsamkeit als Chance

Im Rahmen einer DFG-geförderten Studie untersuchte das Forschungsteam die Wirksamkeit des Programms. Darin wurden 147 Ärzt*innen in Weiterbildung entweder in eine Praxis- oder in eine Kontrollgruppe gelost. Die Kontrollgruppe erhielt lediglich theoretische Informationen über Achtsamkeit. Mithilfe einer gezielten Befragung der Proband*innen – vor und nach dem Programm, nach sechs sowie nach 12 Monaten – zeigten sich bei der Gegenüberstellung der tatsächlich praktizierten mit der nur theoretisch vermittelten Achtsamkeit deutliche Wirkungsunterschiede. Wer am Programm teilgenommen hatte, wies direkt nach dem Kurs signifikant weniger Stressanzeichen auf und litt seltener an negativen Stimmungen. Nach sechs Monaten äußerten die Programmteilnehmenden deutlich weniger Burnout-Symptome. Im Vergleich zur Kontrollgruppe gaben sie zudem an, mehr Muße und Selbstmitgefühl zu erleben. Vorgesetze, Kolleg*innen sowie Patient*innen nahmen die Programmteilnehmenden als empathischer und als präsenter wahr. Die Untersuchung der Haaranalysen auf das Stresshormon Cortisol unterschied sich allerdings nicht zwischen den beiden Gruppen.

„Viele der jungen Ärzt*innen profitierten nachweislich von der Teilnahme am Programm. Das heißt aber natürlich nicht, dass Ärzt*innen in Weiterbildung zukünftig ihren Stress durch eine Übung in Achtsamkeit mit sich allein ausmachen sollen“, betont Schmidt. „Wichtig ist vielmehr, die Stressfaktoren von unterschiedlichen Seiten ausfindig zu machen und zu vermindern. Gesetz- und Arbeitgeber*innen stehen in der Pflicht, gesunde Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.“

 

Im Juni 2022 startet der nächste Aufbaukrs für zertifizierte MBSR/MBCT-Lehrende, die die Methode „Stressreduzierung durch Achtsamkeit“ anwenden und vermitteln möchten.

 

Publikationen zur Studie:
Fendel, J. C., Aeschbach, V. M., Schmidt, S., & Göritz, A. S. (2021): The impact of a tailored mindfulness-based program for resident physicians on distress and the quality of care: A randomised controlled trial. In: Journal of Internal Medicine, 290(6), 1233–1248. https://doi.org/10.1111/joim.13374  

Aeschbach, V. M., Fendel, J. C., Schmidt, S., & Göritz, A. S. (2021): A tailored mindfulness-based program for resident physicians: A qualitative study. In: Complementary Therapies in Clinical Practice, 43, 101333. https://doi.org/10.1016/j.ctcp.2021.101333

Fendel, J. C., Aeschbach, V. M., Göritz, A. S., & Schmidt, S. (2020): A Mindfulness Program to Improve Resident Physicians’ Personal and Work-Related Well-being: A feasibility study. In: Mindfulness, 11(6), 1511–1519. https://doi.org/10.1007/s12671-020-01366-x

 

Kontakt:
Prof. Dr. Anja Göritz
Abteilung Wirtschaftspsychologie
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
E-Mail:
Telefon: +49 (0)761/203 5686

Prof. Dr. Stefan Schmidt
Sektion Systemische Gesundheitsforschung
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Universitätsklinikum Freiburg
E-Mail:
Telefon: +49 (0)761/270 69280