Übermächtige Besucher
Freiburg, 28.03.2019
Nach heutigen Erkenntnissen gibt es mehrere Milliarden Planeten, auf denen Leben möglich ist. Eine Konfrontation der Menschheit mit einer außerirdischen Zivilisation wird nach Ansicht mancher Forscherinnen und Forscher immer wahrscheinlicher. Für Prof. Dr. Michael Schetsche vom Institut für Soziologie der Universität Freiburg ist es höchste Zeit, sich nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch gesellschaftlich und politisch mit der Annahme zu befassen, dass Menschen auf Spuren außerirdischer Intelligenzen stoßen – oder von Außerirdischen besucht werden könnten. Verena Adt hat ihn gefragt, wie man sich einen Kontakt mit Aliens vorstellen kann.
Michael Schetsche hält es für durchaus wahrscheinlich, dass Menschen in absehbarer Zeit mit außerirdischem Leben konfrontiert werden – „grüne Männchen“ werden die Besucher aber sicherlich nicht sein. Foto: Sasa Kadrijevic/stock.adobe.com
Herr Schetsche, werden wir irgendwann einmal kleinen grünen Männchen von einem anderen Stern begegnen?
Michael Schetsche: Sicher keine grünen Männchen. Es ist aber durchaus wahrscheinlich, dass wir in absehbarer Zeit mit außerirdischem Leben konfrontiert werden. Laut jüngeren naturwissenschaftlichen Erkenntnissen gibt es 200 oder 300 Milliarden Planeten in unserer Galaxie. Auf rund ein bis drei Milliarden davon herrschen nach Schätzungen der Astrophysik lebensfreundliche Bedingungen. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass auch außerhalb der Erde komplexes Leben entstanden ist, als dass wir allein sind. Wir können das im Moment nur noch nicht beweisen.
Wie muss man sich außerirdische Wesen vorstellen, denen wir begegnen könnten?
Eine außerirdische Zivilisation, die in der Lage ist, in unser Sonnensystem vorzustoßen, ist vermutlich eine hochentwickelte Künstliche Intelligenz (KI), die aus der Evolution einer biologischen Spezies entstanden ist. Mich beschäftigt die Frage, ob uns eine solche Entwicklung auf der Erde bevorsteht. Die KI-Forschung wird politisch und ökonomisch überall vorangetrieben. Ich vermisse aber die Reflexion über die gesellschaftlichen Folgen. Der Zukunftsforscher Nick Bostrom, der das Future of Humanity Institute in Oxford leitet, rechnet damit, dass wir in 40 bis 60 Jahren eine KI bauen werden, die so mächtig ist, dass sie uns ablösen könnte.
Die Übernahme der Macht auf der Erde durch eine überlegene Intelligenz: Ist das nicht das klassische Gruselthema der Science Fiction?
Auf die Science Fiction sollte man sich da nicht unbedingt verlassen. Deswegen diskutieren wir solche Fragen wissenschaftlich im interdisziplinären „Forschungsnetzwerk Extraterrestrische Intelligenz“. Dort sind gegenwärtig etwa 30 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus einem Dutzend Disziplinen vertreten. Eine unserer zentralen Fragen lautet: Was geschieht mit uns Menschen, wenn wir mit einer fremden Intelligenz konfrontiert sind?
Es sei höchste Zeit, sich auch gesellschaftlich und politisch mit der Annahme zu befassen, dass Menschen auf außerirdische Intelligenzen stoßen könnten, betont Michael Schetsche. Foto: Michael Schetsche
Wie könnte solch eine Konfrontation aussehen?
Wir Menschen sind noch weit davon entfernt, fremde Sonnensysteme besuchen zu können. Wir wären bei einem direkten Kontakt also eher die Entdeckten als die Entdecker. Es kann auch sein, dass eine außerirdische Zivilisation schon hier war und wir ihre Hinterlassenschaft finden, eine Raumsonde etwa oder Weltraummüll. Dieses so genannte Artefakt-Szenario ist für mich derzeit die wahrscheinlichste Möglichkeit.
Was würde mit einem solchen Fund geschehen?
Wem gehört solch ein Artefakt? Wer darf es nutzen? Es gibt bisher keine internationalen Abkommen darüber. Das sehen wir in unserem Forschungsnetzwerk kritisch. Wir befürchten, dass es auf der Erde zu Konflikten darüber kommen könnte, wer Zugang zu dieser überlegenen Hochtechnologie erhält. Es gibt auch keine Regeln, ob man solch einen Fund auf die Erde bringen darf. Das kann ja durchaus riskant sein. Man müsste hierüber eine Art von UN-Konvention vereinbaren. Die Exosoziologie, also der neue Teilbereich der Soziologe, der sich mit dem Kontakt zwischen Menschen und Außerirdischen beschäftigt, bemüht sich gerade darum, die Politik auf diese Frage aufmerksam zu machen. Denn wenn man erst einmal etwas Derartiges gefunden hat, wird man keine Regelung mehr zustande bringen.
Hat die Politik nicht dringendere Probleme zu lösen?
Als Politologe und Soziologe sage ich natürlich auch, wir müssen uns erstmal um den Klimawandel kümmern. Aber wir dürfen darüber nicht andere Fragen außer Acht lassen, die zum Risiko für die Menschheit werden können. Das eine große Risiko ist Künstliche Intelligenz, die wir selbst entwickeln. Da spielen wir möglicherweise Goethes „Zauberlehrling“. Das zweite Risiko ist: Je weiter wir ins Universum vorstoßen, desto eher könnten wir auf fremdartige, uns völlig unbekannte Dinge stoßen, die hochriskant sind.
Für wie groß halten Sie das Risiko einer Konfrontation mit einer außerirdischen Zivilisation?
Die Zukunftsforschung spricht von „wild card“-Ereignissen: Man kann nicht prognostizieren, wann sie eintreffen, weil man keine Vergleichsdaten hat. Aber wenn sie eintreffen, sind sie außerordentlich schwerwiegend. Die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten zehn, 20 Jahre deuten darauf hin, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, sich Gedanken hierüber zu machen.
Delfine gelten neben den Menschen als die vermutlich intelligentesten Lebewesen auf der Erde – trotzdem gibt es noch keine adäquate Form der Verständigung zwischen den beiden Spezies. Foto: Carlos Muñoz/stock.adobe.com
Können wir uns mit außerirdischen Besuchern irgendwie verständigen?
Das ist ein Problem. Es ist nicht möglich, eine völlig fremde Kommunikationsform zu erlernen, ohne eine gemeinsame Handlungspraxis zu entwickeln. Wir können ja nicht einmal alle in der Vergangenheit von Menschen gemachten Zeichensysteme entschlüsseln, wenn wir nicht gerade so etwas wie den Stein von Rosette finden, der uns Übersetzungen für Hieroglyphen liefert. Bei der Konfrontation mit dem „maximal Fremden“, wie ich das nenne, erkennt man, wie schwierig es ist, andere Kulturen zu verstehen. Das zeigt sich schon bei der Interaktion zwischen Tier und Mensch. Delfine sind neben uns die wahrscheinlich intelligentesten Lebewesen auf der Erde. Nach 70 Jahren Delfinforschung verstehen wir sie immer noch nicht und wissen nicht, wie schlau sie wirklich sind.
Damit stoßen Sie auch in eine ethische Dimension vor.
Diese Problematik ist uns in der Exosoziologie sehr wichtig. Wann betrachten wir ein Gegenüber als gleichwertig und billigen ihm Rechte zu? Die Frage stellt sich uns bereits bei Delfinen oder Primaten. Die bringen wir heute einfach um, und damit haben die meisten Menschen kein Problem. Die Frage wird aber an Schärfe gewinnen. In zehn, 20 Jahren werden wir Debatten darüber führen, ob Roboter oder Autos mit einer KI Persönlichkeitsrechte haben. Und ob sie Verantwortung tragen müssen.
Wenn Außerirdische uns technologisch so weit überlegen sind, würden wir Menschen ihnen wahrscheinlich wenig antun können.
Die Frage wird wohl eher sein, welchen Status diese Wesenheiten uns zuweisen werden. Wäre die Erde für sie nur eine Art Ameisenhaufen? Das wäre für uns ungünstig. Oder sind sie ethisch entwickelt und finden, dass wir zwar primitive Wesen sind, aber geschützt werden sollten. Vielleicht leben wir dann wie im Zoo. Man lässt die Erde in Ruhe, macht einen virtuellen Käfig darum herum – und dann können wir nur hoffen, dass die Außerirdischen freundlicher mit uns umgehen als wir mit anderen Spezies auf der Erde.