Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin forschen & entdecken „Seitens der Medien ist das …

„Seitens der Medien ist das Interesse an Herkunftskategorien groß“

Der Soziologe David Czudnochowski untersucht das Verhältnis zwischen der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und der Presse

Freiburg, 24.07.2020

„Seitens der Medien ist das Interesse an Herkunftskategorien groß“

Foto: Heiko Barth /stock.adobe.com

Das Forschungsprojekt „ZuRecht – Die Polizei in der offenen Gesellschaft“ am Centre for Security and Society der Universität Freiburg untersucht zusammen mit der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster unter anderem das Verhältnis zwischen der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und der Medien. In diesem Rahmen befasst sich der Freiburger Soziologe David Czudnochowski mit der Herkunftsnennung in der polizeilichen Pressearbeit im Wechselspiel mit der medialen Kriminalitätsberichterstattung. Dabei hat er sich auch mit dem so genannten Hans-Bunte-Fall in Freiburg beschäftigt, in dem gerade die Urteile gefällt wurden. Jürgen Reuß hat mit ihm gesprochen.

Eine Untersuchung zum Verhältnis zwischen der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei und der Medien ist ein Projekt am Freiburger Centre for Security and Society.
Foto: Heiko Barth /stock.adobe.com

Herr Czudnochowski, ist es eigentlich genau geregelt, wann die Polizei die Herkunft von Tatverdächtigen nennt und wann nicht?

David Czudnochowski: Ein konkretes Regelwerk, wann die Herkunft genannt wird und wann nicht, gibt es nicht. In manchen Bundesländern nennen Polizeien mittlerweile immer die Staatsangehörigkeit möglicher Tatverdächtiger, andere wiederum wägen im konkreten Einzelfall ab, ob die Herkunft zum Verständnis der Tat relevant ist. Das Verhältnis von Polizei und Medien wird aber grundsätzlich durch bundeseinheitliche Dienstvorschriften und die Pressegesetze der Länder geregelt. Diese verpflichten die Polizei beispielsweise zu Transparenz und Neutralität. Dazu ist die Polizei auch an datenschutzrechtliche Bestimmungen gebunden. Wird die Herkunft von Tatverdächtigen genannt, muss ausgeschlossen werden, dass dadurch Personen individuell identifiziert werden können Auch der Pressecodex des Deutschen Presserats spielt eine Rolle. Dieser besagt, dass die Herkunft nur dann genannt werden soll, wenn ein begründetes öffentliches Interesse daran besteht. Der Pressecodex ist aber zunächst nur eine Selbstverpflichtung. Wie die Polizei konkret vorgeht, variiert also von Bundesland zu Bundesland.

Wie sieht das in der Umsetzung aus?

Ein interessantes Beispiel ist die Kölner Silvesternacht beim Jahreswechsel von 2015 auf 2016. Dort hatte die Polizei zunächst von einer friedlichen Nacht gesprochen, in der es zwar einzelne, aber keine nennenswerten Vorfälle gab. Folgerichtig kam dieses Thema in großen Medien nicht vor. Dann gab es in den sozialen Medien Äußerungen, die dieser Sicht widersprachen und von nennenswerten Vorfällen berichteten. Es wurde recht schnell von einer homogenen Gruppe, die „nordafrikanisch“ gewesen sei, gesprochen. Es baute sich öffentlicher Druck auf. Die seriösen Medien gerieten in die Kritik, weil sie die „Herkunft“ der Tatverdächtigen nicht genannt hatten, und die Polizei, dass sie endlich sagen solle, was sie weiß. In der Folge gab auch die Polizei Herkunftsbeschreibungen weiter.

Warum nicht Tätermerkmale nennen? Sind diese denn nicht nur beschreibend?

Informationen brauchen einen Kontext, und der ist wiederum von aktuellen gesellschaftlichen Debatten abhängig. Da landet man schnell in einem sensiblen Bereich. Sobald man die Herkunft eines Tatverdächtigen nennt, hat man keinen Einfluss mehr darauf, welche Assoziation das im massenmedialen Diskurs auslöst. Gerade die Kölner Silvesternacht war da ein einschneidendes Erlebnis.

Inwiefern war sie das?

Studien weisen eindeutig nach, dass nach der Kölner Silvesternacht in der Kriminalitätsberichterstattung die Nennung der Herkunft von Menschen mit Migrationshintergrund oder nicht deutscher Herkunft überproportional zugenommen hat, gerade in Bezug auf Sexualverbrechen und andere schwere Delikte. Gleichzeitig lässt sich dieser Anstieg aber nicht in den Kriminalstatistiken wiederfinden. In einzelnen Bundesländern sind Polizeien auf Grund der zunehmenden Kritik nach den Kölner Ereignissen dazu übergegangen, kategorisch die Nationalität zu nennen, und nur bei begründeten Ausnahmefällen darauf zu verzichten.

Was ist daran problematisch?

Das beginnt eigentlich schon beim Begriff „Herkunft“. Was ist damit gemeint? Nationalität? Ein wie auch immer gearteter Migrationshintergrund? Kulturelle Prägung? Allein bei der Kategorie des Migrationshintergrunds gibt es viele, teilweise recht unterschiedliche Definitionen. Dazu haben Herkunftskategorien nur wenig bis keine Aussagekraft darüber, wie Straftaten entstehen. Die Forschung zeigt, dass es eben keine Zusammenhänge zwischen bloßen Kategorien der Herkunft und Kriminalität gibt. Das ist schlicht zu kurz gedacht. So einen Zusammenhang in der öffentlichen Berichterstattung herzustellen, wird der kriminologischen Komplexität des Themas nicht gerecht. Außerdem wird die Polizei von den Medien meist als privilegierte Quelle behandelt. Was die Polizei berichtet, wird meist auch so in der Berichterstattung übernommen. Wenn die Polizei also die „Herkunft“ nennt, schreibt sich das fest, es suggeriert, dass es hier einen Zusammenhang geben könnte. Das hat auch damit zu tun, dass sich der Beschreibungsrahmen, wie Medien über Kriminalität berichten, verändert.

Der Soziologe David Czudnochowski hat sich unter anderem mit dem so genannten Hans-Bunte-Fall in Freiburg beschäftigt, in dem gerade die Urteile gefällt wurden. Foto: Klaus Polkowski

Was meinen Sie damit?

Die Kommunikationswissenschaften sprechen dabei von „Frames“. Straftaten wie Sexualdelikte, aber auch Terrorismus werden dadurch oft in Kontext mit Migration gesetzt. Das setzt sich fest, vervielfältigt sich und führt letztlich dazu, dass vermeintlich „Fremde“ eher als Gefahr wahrgenommen werden. Übrigens hat in Köln die Aufklärung der Vorfälle ergeben, dass die Tätergruppe viel heterogener war, als sie wahrgenommen wurde. Die Berichterstattung setzt ein Bild, gegen das die Berichtigung durch die Ermittlungsergebnisse nur schwer ankommt.

Wie war das bei dem so genannten Hans-Bunte-Fall in Freiburg?

Die erste Pressemeldung erschien sehr schnell nach der Tat und wurde von der Freiburger Lokalpresse aufgegriffen. Dabei wurde die Herkunft nicht kommuniziert. Es war aber bereits klar, dass es sich um eine schreckliche Tat handelt, mit einem Ausmaß, dass sehr selten vorkommt. Trotzdem hat in den folgenden zehn Tagen keine nennenswerte bundesweite Rezeption stattgefunden. Das hat sich erst gravierend geändert, als über eine Boulevardzeitung parallel zur zweiten Folgemeldung der Polizei die Herkunft der Tatverdächtigen bekannt wurde. Ab da haben alle großen Redaktionen diesen Freiburger Fall aufgenommen. Das zeigt, welche Rolle Herkunftskategorien in der medialen Betrachtung spielen.

Auslöser für die Spekulationen über den Zusammenhang von „Herkunft“ und Verbrechen sind also nicht unbedingt die Polizeimeldungen?

Seitens der Medien ist das Interesse an Herkunftskategorien groß, das zeigen die ersten Interviews, die wir mit Pressestellen der Polizeien momentan führen. Selbst wenn die Polizei diese nicht nennt, wird das von Medien recherchiert, und die Polizei kommt dann in die Situation, dass sie dementieren oder bestätigen muss. Das zeigt, dass Polizeiarbeit nicht im luftleeren Raum stattfindet, sondern sich an öffentliche Debatten anschließt.

Ist es für die Öffentlichkeit nicht wichtig, diese Informationen zu kennen?

Wenn ich es mir einfach machen wollte, würde ich sagen: Nein. Andererseits lebt ein demokratischer Staat wie Deutschland notwendig davon, dass die Öffentlichkeit ihren Funktionen nachkommen und freien Meinungsaustausch ermöglichen, öffentliche Debatten und Diskurse anstoßen kann. Dafür ist Transparenz sehr wichtig.

Könnte der aktuelle Vorschlag, grundsätzlich immer die Nationalität aller Tatverdächtigen zu nennen, helfen?

Damit möchte man dem Vorwurf, Informationen zurückzuhalten, entgegentreten. Wenn das dazu beiträgt, die Kritik an der Polizei zu entschärfen, nicht transparent zu kommunizieren, mag das helfen. Aber auch da muss man vorsichtig sein. Nicht jedes Delikt, dass die Polizei aufnimmt, wird Teil einer Pressemeldung. Und nicht jede Pressemeldung wird von den Medien aufgegriffen. Was sich also aus diesen Meldungen zusammensetzt, wird kein vollständiges Bild über die tatsächlichen Verbrechensstrukturen ergeben. Hierzu gibt es Kriminalstatistiken. Die für mich entscheidendere Frage wäre daher: Schützt eine generelle Nennung vor Pauschalisierung und Stereotypisierung? Wenn man sich anschaut, wie Medien funktionieren, möchte ich das bezweifeln.

 

„ZuRecht – Die Polizei in der offenen Gesellschaft“