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Schöne neue Schicht

Oberflächen mit Lotuseffekt sollen robuster werden – mithilfe von Schlangen und Eidechsen

Freiburg, 07.07.2017

Schöne neue Schicht

Foto: lunatic67/Fotolia

Die Natur beherrscht das Kunststück, mit wenigen Bausteinen ganze Mikrowelten entstehen zu lassen, die verblüffende Effekte haben: Die Lotuspflanze zum Beispiel verfügt über eine Oberfläche, die Wasser und Schmutz abperlen lässt – ein Phänomen, das sich Industrie und Forschung längst zu eigen gemacht haben. Doch der Effekt funktioniert nur, wenn die Schicht keine Risse oder Kratzer hat. Freiburger Forschende wollen sie nun widerstandsfähiger machen. Das Team hat sich von Schlangen inspirieren lassen: Die werfen einfach ihre Haut ab, wenn sie sie nicht mehr brauchen.


Schlaue Schlange: Die Reptilien streifen ihre Haut ab, wenn sie sie nicht mehr brauchen – von diesem Mechanismus haben sich die Forscher inspirieren lassen. Foto: lunatic67/Fotolia

Als Jürgen Rühe für eine größere Streichaktion zu Hause Farbe kaufen wollte, riet ihm der Verkäufer von der Farbe mit Lotuseffekt ab. „Das hat mich total überrascht“, erinnert sich Rühe, der am Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg die Professur für Chemie und Physik der Grenzflächen leitet. „Schließlich ist der wasserabweisende Effekt der Lotuspflanze weit und breit bekannt.“ Dieses Prinzip, erfuhr der Mikrosystemtechniker vom Farbenfachmann, funktioniere tadellos, solange die Oberfläche intakt sei. Tropfen rollen an der gestrichenen Wand ab und nehmen dabei den Schmutz mit. Doch sobald ein Kratzer den Weg stört, bleiben der Tropfen und mit ihm der Dreck hängen. Unschön sei das. Rühes Interesse war geweckt.

Ein Schluck Nebel

Sich Ideen bei der Natur zu holen, ist für Jürgen Rühe und seine Kolleginnen und Kollegen nicht neu. „Bio-Inspiration“ nennen sie das. Beim Stenocara-Käfer zum Beispiel haben sie sich eine Technik abgeschaut, mit der in Nebelwüsten Wasser gesammelt werden kann. Der Käfer muss seinen Flüssigkeitsbedarf mangels Alternativen mit dem Nebel decken. Dazu hat er eine ultrawasserabweisende Schicht auf dem Körper. Sobald der Morgennebel über die Dünen zieht, stellt er sich kopfüber hin und sammelt die feinen Tröpfchen.

Die rollen über die wasserabweisende Fläche hinweg, bleiben aber an einigen wasseranziehenden Stellen hängen. Sobald ein Tropfen dort groß und schwer genug ist, löst er sich und fließt über die wasserabweisenden Stellen bis zum Maul des Käfers. „Wir haben das einfach mithilfe von Mikro- und Nanostrukturierung und Oberflächenchemie nachgebaut und eine künstliche Oberfläche erhalten, mit der man Nebel kondensieren kann“, sagt Rühe.


Die Lotuspflanze lässt Wasser und Schmutz abperlen – doch der Effekt funktioniert nur, wenn die Oberfläche der Blätter nicht beschädigt ist. Foto: Cooperr/Fotolia

Dieses „einfache Nachbauen“ bedingt die Kenntnis hochgradig komplexer Strukturen. Die Natur beherrscht das Kunststück, mit wenigen Bausteinen ganze Mikrowelten entstehen zu lassen, die verblüffende Effekte haben. Knallbunte Schmetterlingsflügel oder Blütenblätter enthalten mitunter kein bisschen Farbstoff, sondern erzeugen den Farbeindruck allein durch die Anordnung verschiedener Strukturen. „Das ist ungeheuer inspirierend“, sagt Rühe, „solche Effekte wollen wir auch nutzen.“ Zum Beispiel, um die an sich praktische Lotusschicht widerstandsfähiger zu gestalten. Der Bedarf ist groß, wasserabweisende Materialien sind gefragt: Regenkleidung, Teflonpfannen, Schutzschichten in der Industrie.

Kegel und Gras

Die Wissenschaftler kombinieren deshalb Nano- und Mikrostrukturen: die eine sieht wie eine große Grasfläche aus, die andere ähnelt kleinen Bergkegeln mit spitzen Kuppen. „Kommt ein Wassertropfen oder ein derber Fingerdruck auf dem Nanograss an, werden die einzelnen Gräser schnell umgeknickt und können ihrer Aufgabe nicht mehr nachkommen“, erklärt Rühe. Die Kegel jedoch sind deutlich höher als das Gras. Wird eine solche Struktur stark mechanisch beansprucht, bricht vielleicht der Kegel oben ab, doch die Funktion der Gesamtfläche bleibt erhalten. Den Forschern ist es gelungen, die Lotus-Oberfläche an sich dank der neuen Kombination stabiler zu machen, selbst für Metallflächen ist eine solche Lösung jetzt denkbar. Daran tüftelt gerade ein Doktorand am IMTEK.

„Doch die stärkste Oberfläche nützt nichts, wenn die Kraft, die auf sie einwirkt, zu stark ist“, sagt Rühe. „Einen kratzenden Schlüssel zum Beispiel hält keine der bisherigen Kunststoffoberflächen aus.“ Die Herstellung einer stabileren Schicht ist also nur die erste Verteidigungslinie. Die zweite haben sich die Wissenschaftler – klar – ebenfalls in der Natur abgeschaut. Die kennt nämlich keinen Reparaturdienst. Bei gravierenden Schäden entledigt sie sich der kaputten Schicht: Blätter, die lädiert sind, werden abgeworfen.


Die neue Schicht besteht aus Nano- und Mikrostrukturen: die eine sieht wie eine große Grasfläche aus, die andere ähnelt kleinen Bergkegeln mit spitzen Kuppen. Kombiniert man beide Strukturen, wird die Oberfläche stabiler. Quelle: Jürgen Rühe/Universität Freiburg

Wie beim Parkettboden

„Bei Tieren ist das etwas anspruchsvoller. Die können ja nicht einfach auf ein Bein verzichten.“ Unter anderem Schlangen und Eidechsen verfügen über einen Mechanismus, den die Freiburger Wissenschaftler auf die Lotusfläche übertragen wollen: das Häuten. Die Idee dahinter: Ist die obere wasserabweisende Schicht beschädigt, wird sie beseitigt und es kommt eine neue, voll funktionsfähige Schicht mit den gleichen Eigenschaften zum Vorschein. Dafür wird zwischen die beiden Schichten eine weitere aus wasserlöslichen Polymeren geklebt, „Opferschicht“ nennt Rühe sie. Wird die oberste Schicht beschädigt, dringt das Wasser durch die Kratzer und erreicht die Opferschicht. Sie beginnt, sich aufzulösen. Dadurch wird die oberste Schicht abgelöst und die darunterliegende, noch unbeschädigte Schicht, kommt zum Vorschein. Das Wasser kann erneut ungestört abperlen und sämtlichen Schmutz mitnehmen.

„Wir haben so die Lebenszeit des hydrophoben, also wassermeidendend Effektes verdoppelt“, sagt Rühe. Theoretisch könne man das mehrfach wiederholen und auch drei oder mehr Schichten mit jeweils einer Opferschicht verbinden. Damit sich nicht immer die komplette Schicht löst, wollen die Wissenschaftler die Schichten wie einen Parkettboden in Kompartimenten aufkleben. Dann würde sich die Oberfläche nur in dem Kompartiment erneuern, das beschädigt worden ist. „Wir wissen noch nicht, wie hübsch das dann aussieht, aber das ist die nächste Fragestellung. Zunächst einmal stand die Lebenszeit des Materials im Vordergrund.“

Claudia Füßler

 

Jürgen Rühes Forschung an der Universität Freiburg
http://www.cpi.uni-freiburg.de

In einem Video erklärt die Gruppe ihre Arbeit.
https://www.cpi.uni-freiburg.de/news/snakeskin-pressrelease