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Religionsvielfalt in der Schule

Unterricht kann zu einem verständnisvolleren Miteinander beitragen – wenn er richtig gestaltet ist

Freiburg, 04.05.2018

Religionsvielfalt in der Schule

Foto: Rose Winter/Fotolia

Antisemitische Vorfälle an Schulen, Attacken auf Männer, die in der Öffentlichkeit Kippa tragen: In jüngster Zeit ist Religion verstärkt zum Konfliktthema geworden, zunehmend begleitet von aggressiven Übergriffen. Die Schulen müssen reagieren und den Rassismus bekämpfen, fordern viele – doch wie kann ein Unterricht aussehen, der Verständnis für andere Religionen schafft? Eva Opitz hat die Freiburger Religionspädagogin Prof. Dr. Mirjam Schambeck gefragt, wie interreligiöse Bildung gestaltet sein sollte und ob sie sich positiv auf das Zusammenleben in einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Glaubensrichtungen auswirken kann.

 Foto: Rose Winter/Fotolia

Frau Schambeck, haben Sie eine Erklärung dafür, warum religiös motivierte Konflikte immer öfter in Verbindung mit Gewalt ausgetragen werden?

Mirjam Schambeck: Hier möchte ich gerne etwas weiter ausholen. Seit der Aufklärung und der damit einhergehenden Trennung von Staat und Religion ist Religion weitgehend zur Privatsache geworden. Das war erst mal positiv, weil es zur Befriedung der Gesellschaft beigetragen hat. Religion wurde zu einer Art Geschmackssache. Mit der Privatisierung von Religion ist uns jedoch das theologische Vokabular verlorengegangen. Kenntnisse über die eigene Religion sind zurückgegangen und über fremde haben wir auch zu wenig.

Warum spielt das jetzt eine Rolle?

Wir leben in einer Gesellschaft, in der Religion wieder zum öffentlichen Faktor geworden ist. Eine vernunftgemäße Begegnung mit anderen Religionen wird angesichts aggressiver Übergriffe immer nötiger. Wir brauchen ausgebildete Religionsexpertinnen und -experten sowie Orte, an denen interreligiöse Bildung weitergegeben wird. Das sind vor allem Schulen und Universitäten. Religionsunterricht allgemein ist dafür ein prädestinierter Ort.

Was bedeutet in diesem Zusammenhang der Begriff „interreligiös“?

Unter interreligiöser Bildung kann man die Fähigkeit von Menschen verstehen, sich angesichts des Religionsplurals, also der Vielfalt von Religionen, zurechtzufinden. Es kann zum Beispiel kein Verständnis für das Christentum jenseits des Judentums und in Deutschland auch nicht jenseits des Islams geben. Beispiele, wie andere Religionen auf das Christentum eingewirkt haben, gibt es viele: Das Glockenläuten verdanken wir etwa dem Islam. Franz von Assisi war von dem täglich fünfmaligen Gebet der Muslime so fasziniert, dass er nach einer klangvollen Nachahmung suchte.

Wie kann die Schule interreligiöse Kompetenzen vermitteln?

Der Religionsunterricht ist für viele Kinder und Jugendliche zum „ersten Ort“ religiöser Bildung geworden. Sie werden befähigt, eine eigene, begründete Position einzunehmen. Religionsunterricht dient nicht einer Rekrutierung von Gläubigen, sondern will die Schülerinnen und Schüler zu einer kritischen Reflexion über Inhalte anleiten. Denk- und Beurteilungsfähigkeit sind die Lernziele. Wer reagieren will, muss etwas wissen. Religion ist ein Diskurssystem und gleichzeitig Lebensüberzeugung, also etwas, dem man einen Geltungsbereich in seinem Leben zugesteht. Es ist wichtig, diese Doppelstruktur aufzuzeigen. Die an den Hochschulen ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer sollten sich daher in einer Religion positioniert haben.

„Religionsunterricht dient nicht einer Rekrutierung von Gläubigen, sondern will die Schülerinnen und Schüler zu einer kritischen Reflexion über Inhalte anleiten“, sagt Mirjam Schambeck.
Foto: Thomas Kunz

Wie soll dieser Unterricht konkret aussehen?

Ideal ist ein an Konfessionen ausgerichteter religionspluraler Unterricht im vertrauten Klassenverband. Das könnte so aussehen, dass in der ersten Phase theologische Fragen aufgeworfen werden wie etwa die Frage nach dem Sinn des Lebens. Diese werden in der ersten Phase mit den Schülern von konfessionell gebundenen Lehrkräften bearbeitet, also von christlichen, jüdischen oder islamischen. In der zweiten, dialogischen Phase kommen die Lerngruppen zusammen, um einander vorzustellen, was die christliche, jüdische und muslimische Perspektive jeweils zum Unterrichtsthema einbringt. In der dritten Lernphase erfolgt dann wieder eine Reflexion darauf, was das Kennengelernte für die eigene Position bedeutet.

Welche Voraussetzungen sollten die Lehrkräfte mitbringen, die migrationssensibel unterrichten?

Sie müssen genau wissen, wo sie ansetzen und erfragen können, welches Vorwissen besteht. Das Wichtigste jedoch ist, ihr eigenes Wissen über kulturelle Hintergründe zu vertiefen. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass Lehrkräfte fragen, welche Schüler Sunniten und welche Schiiten sind. Damit zwingen sie die Jugendlichen, sich zu outen und setzen sie möglicherweise Konflikten aus.

Wie schätzen Sie die Chance ein, dass interreligiöse Bildung religiös motivierte Konflikte eingrenzt?

Wenn ich überhaupt nicht daran glauben würde, dass Vernunft Konflikte entschärft, wäre mein Engagement beendet. Zugleich bin ich nicht nur optimistisch. Das liegt auch daran, dass solche Auseinandersetzungen erfahrungsgemäß ihre Ursachen im sozialen Konfliktfeld haben. Es ist ein Ruf nach Teilhabe, in religiöser Semantik ausgedrückt. Religion wird zum Vehikel, um gegen Ausgrenzung und fehlende Anerkennung zu protestieren.

Wie sollte sich die Gesellschaft verhalten?

Wenn Kippaträger, wie in Berlin geschehen, angegriffen werden, dürfen wir uns nicht zurückziehen, sondern müssen uns lautstark mit den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern solidarisieren. Wenn hier wieder einige anfangen, andere zu deklassieren, abzuwerten und meinen, sie könnten entscheiden, wer dazu gehört und wer nicht, dann sind das alte Nazimuster. Sie feiern gerade fröhliche Urstände, unter anderem in der AfD.

Kann Politik auch selbst mittels religiöser Symbolik und Semantik zur Ausgrenzung beitragen?

Jüngstes Beispiel ist die Aktion des CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder. Er will Kreuze in allen bayerischen Behörden aufhängen lassen mit dem Hinweis, dass es zur bayerischen Identität gehöre. Damit verkennt er zutiefst, dass das Kreuz das religiöse Symbol des Christentums schlechthin ist und nicht auf eine kulturelle Identität eingegrenzt werden darf. Es taugt nicht zum Zeichen zur Ausgrenzung. Im Gegenteil! Das Kreuz schließt ein, nicht aus. Es gehört keiner einzelnen Gruppe, Nation, Ethnie oder Geschlecht. Auch nicht den Bayern. Es gehört uns allen.