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Prognosen für die Polizei

Algorithmen könnten dabei helfen, Verbrechen zu verhindern – wie tragfähig sind solche Technologien?

Freiburg, 15.05.2017

Prognosen für die Polizei

Foto: Lothar Drechsel/Fotolia

Es hört sich wie ein Szenario aus einem Science-Fiction-Roman an: Beim „Predictive Policing" (PP) werden mit mathematisch-statistischen Methoden Wahrscheinlichkeiten errechnet, die vorhersagen, an welchen Orten vermutlich Straftaten begangen werden. Dr. Jens Hälterlein, Soziologe am Center for Security and Society der Universität Freiburg, erforscht den Einsatz solcher Technologien in der präventiven Polizeiarbeit. Petra Völzing sprach mit ihm über die Wirksamkeit algorithmus-basierter Methoden und mögliche gesellschaftliche Folgen.

Die Software nutzt Daten zu Einbrüchen aus polizeilichen Datenbanken und berechnet, mit welcher Wahrscheinlichkeit in einem bestimmten Zeitraum in einem Stadtteil eingebrochen wird.
Foto: Lothar Drechsel/Fotolia

Herr Hälterlein, woran liegt es, dass das Thema „Predictive Policing" derzeit so präsent in den Medien ist?

Jens Hälterlein: Zunächst einmal haben sich viele Bundesländer dafür entschieden PP zu testen. Bayern ist hier Vorreiter und setzt die Methode bereits in Nürnberg und in München ein. In der Gesellschaft gibt es ein großes Gefühl von Unsicherheit – das setzt Politik und Polizei unter Handlungsdruck. So können sie sagen: „Seht her, wir tun etwas." Für die Medien ist sicher auch die vermeintliche Nähe zu Science-Fiction-Szenarien interessant, wie sie zum Beispiel im Film „Minority Report" gezeigt werden. Dort sagen Wesen mit dem Namen „Precogs" Morde vorher, die die Polizei aufgrund der Information verhindern kann. Mit Künstlicher Intelligenz hat Predicitve Policing allerdings bis jetzt überhaupt nichts zu tun. Das ist ein rein statistisch-mathematisches Verfahren.

Wie funktioniert Predictive Policing?

Die Grundlage bilden kriminologische Theorien, wie zum Beispiel die Near-Repeat-Theorie, die besagt, dass professionelle Einbrüche zeitlich und räumlich nah beieinander liegen. Der Fokus von PP liegt zurzeit auch auf Einbruchsdelikten. Die Software verwendet Daten zu Einbrüchen aus den polizeilichen Datenbanken. Auf dieser Grundlage errechnet das Programm für ein eingegrenztes Gebiet, zum Beispiel für einen Stadtteil, und ein eher kleines Zeitfenster, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass in bestimmten Gebieten Einbrüche stattfinden. Die Ergebnisse werden auf einer Karte angezeigt.

Was macht die Polizei mit dieser Information?

Sie kann ihre Ressourcen planen. In die „gefährdeten" Gebiete werden dann verstärkt Streifen geschickt. Ziel ist, Täterinnen und Täter abzuschrecken oder auch auf frischer Tat zu ertappen, was aber eher selten vorkommt. Allerdings muss man sehen, dass dafür dann an anderen Stellen weniger Präsenz möglich ist, denn die Ressourcen sind beschränkt.

Bringt das Vorgehen etwas?

Es gibt Evaluationen der Landeskriminalämter, die positive Auswirkungen verzeichnen. Allerdings ist es fragwürdig, wenn sich der Anwender selbst evaluiert. Externe wissenschaftliche Studien mit belastbaren Daten gibt es bisher nicht. Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat eine Studie über die Anwendung in Karlsruhe und Stuttgart in Arbeit, die demnächst publiziert wird. Aber auch wenn die Einbruchsraten sinken, so kann man höchstens annehmen, aber nicht wissen, dass PP eine Rolle gespielt hat. Die Wirklichkeit ist sehr komplex, es gibt viele Einflussfaktoren, die sich letztlich nicht in einer kausalen Aussage wie „PP hat zu einer deutlichen Abnahme der Kriminalität geführt" abbilden lassen.

Predicitve Policing ist also eher eine teure Sackgasse?

Ich denke, dass der Hype um PP auch eine politische Seite hat. Von Einbruch sind eher wohlhabende Gesellschaftsschichten betroffen, die politisch mehr Einfluss haben. Die Software könnte bewirken, dass sich die Polizei jetzt noch mehr auf diese Delikte fokussiert. Die Verhinderung von häuslicher Gewalt zum Beispiel hat keine derartige Lobby. Polizeigewerkschaften fordern schon länger, mehr Polizistinnen und Polizisten einzustellen, anstatt nur teure Software zu kaufen.

Szenarien wie in dem Film „Minority Report" mögen übertrieben sein, aber besteht beim Einsatz der Software nicht die Gefahr, dass Datenschutz und Persönlichkeitsrechte ausgehebelt werden?

In den USA, wo PP schon länger im Einsatz ist, gibt es Programme, die Social-Media-Daten nutzen und berechnen, welche konkrete Person wahrscheinlich zum Opfer oder zum Täter eines Gewaltverbrechens wird. Das ist schon sehr brisant. Beim hiesigen Verfahren, das sich auf Daten zu Ort und Zeit und der Art des Einbruchs beschränkt, denke ich das eher nicht. Allerdings gibt es keine Garantie dafür, dass der Einsatz von PP in Deutschland auf die räumliche Analyse von Einbruchsdelikten begrenzt bleibt. In anderen Bereichen werden Prognosetechnologien auch hierzulande bereits mit personenbezogenen Daten gefüttert, zum Beispiel wenn es um die Identifikation terroristischer Gefährderinnen und Gefährder geht.

Halten Sie solche Technologien für zukunftstauglich?

Bisher ist kein Nutzen wissenschaftlich eindeutig belegt, es gibt aber viele begründete Bedenken. Nach meiner Einschätzung wird die Technologie überbewertet. Die ihr zugeschriebene Wirkmächtigkeit ist bei sachlicher Betrachtung der Faktenlage nur ein Mythos. Das gilt im Übrigen auch für andere Prognosetechnologien, von denen behauptet wird, sie könnten gesellschaftliche Entwicklungen in der Zukunft voraussagen. Google hatte beispielsweise behauptet, es könnte anhand Social-Media-Daten voraussagen, wie sich die Grippe verbreitet. Das hat überhaupt nicht funktioniert.

Jens Hälterleins Website

Center for Security and Society

Die Prognosetechnologien werden überbewertet – bisher fehlen eindeutige wissenschaftliche Studien zu ihrer Wirkung, sagt Jens Hälterlein.
Foto: Oliwia Blender