Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin forschen & entdecken Problemanzeiger der Gesellschaft

Problemanzeiger der Gesellschaft

Klassische Helden sind nicht mehr zeitgemäß, jedoch boomen Heldengeschichten – der Soziologe Ulrich Bröckling untersucht diesen Widerspruch

Freiburg, 21.02.2020

Problemanzeiger der Gesellschaft

Foto: Umanoide/Unsplash

Klassische Krieger, vorbildhafte Arbeiter, starke Politiker, mutige Frauen: Seit der Antike gibt es Heldengeschichten. Doch braucht die heutige Gesellschaft noch Heldinnen und Helden, und wenn ja, welche? Prof. Dr. Ulrich Bröckling vom Institut für Soziologie der Universität Freiburg ist dieser Frage in seinem Buch „Postheroische Helden – Ein Zeitbild“ nachgegangen. Im Gespräch mit Annette Kollefrath-Persch macht er deutlich, dass jede gesellschaftliche Ordnung ihre eigenen Heldenfiguren hervorbringt.

Kein strahlender Sieger: In neueren Verfilmungen erscheint Batman als gebrochener Held, der mit Selbstzweifeln geschlagen ist. Foto: Umanoide/Unsplash

Herr Bröckling, was macht für Sie einen Helden aus?

Ulrich Bröckling: Heldinnen und Helden sind außergewöhnliche Personen, die sich im Kampf oder Konflikt bewähren und dafür bewundert werden. Vor allem aber muss über sie und ihre Taten berichtet werden. Keine Heldenfigur ohne Heldengeschichte.

Was zeichnet solche Erzählungen aus?

Klassische Heldengeschichten handeln meist von einem Mann, weit seltener auch von einer Frau, die ausziehen, um eine Aufgabe zu bewältigen, um eine drohende Katastrophe abzuwenden und die Dinge zum Guten zu wenden. Heldenerzählungen personalisieren. Sie rücken die eine große Gestalt ins Zentrum. Sie allein vollbringt die rettende Tat. Um die Geschichte so zu erzählen, müssen die Handlungsanteile der vielen anderen Personen ausgeblendet werden. Heldengeschichten haben eine sehr lange Tradition, es gibt sie bereits seit der Antike, und das nicht nur in der westlichen Kultur. Schon damals versuchten die Menschen, sich mit diesen Erzählungen die eigene Position in der Welt verständlich zu machen.

Hat sich im Laufe der Zeit die Definition eines Helden verändert?

Jede Zeit bringt ihre eigenen Heldenfiguren hervor. In der Antike war das noch eng gebunden an kultische Praktiken und an mythische Gestalten wie jene Heroen, von denen Homer in der „Ilias“ erzählt. Maßgeblich für das Mittelalter wurde dann in der westlichen Kultur das Modell Christi als Held, der sich selbst opfert. Erst mit der Französischen Revolution konnten auch nicht adlige Menschen zu Helden aufsteigen, vor allem im militärischen Bereich. Bis dahin waren ein Bauer oder ein Handwerker überhaupt nicht heldenfähig. Das erstarkende Bürgertum brachte eigene Heldenfiguren hervor, was auch in der Literatur Änderungen mit sich brachte. Im 19. und frühen 20 Jahrhundert tauchten dann schließlich die Arbeiter als Helden auf – bis hin zu den heroischen Modellarbeitern, die in der früheren Sowjetunion oder China geehrt wurden.

 „Des einen Held ist des anderen Schurke“, betont Ulrich Bröckling die Polarisierung, die Heldenfiguren in Gesellschaften bewirken. Foto: Klaus Polkowsk

Wofür brauchen Gesellschaften Helden?

Aus soziologischer Sicht sind Helden Problemanzeiger für das, was die sozialen Ordnungen ihren Mitgliedern abverlangen. Daran, wie über Helden erzählt wird und wer ein Held wird, können wir erkennen, welche Ansprüche eine Gesellschaft an die Einzelnen stellt, welche Opfer sie ihnen abverlangt. Die Heldenfiguren dienen als Vorbild, das alle anderen nachahmen sollen. Es gibt freilich auch Helden, die geradezu übermenschliche Taten vollbringen. Zu ihnen wird aufgeschaut, ohne dass sie zum Maßstab für andere werden. Sie werden bewundert und entlasten zugleich ihre Anhängerschaft: „Wenn der Held es tut, brauche ich es nicht zu tun.“

Sie schreiben über Postheroismus: Gibt es demnach heutzutage keine Helden mehr?

Doch, es gibt so etwas wie eine gegenstrebige Gleichzeitigkeit: Einerseits häufen sich die Diagnosen, dass wir in einer postheroischen Zeit leben. Das wird zum Beispiel für die westliche Welt mit Bezug auf ihre Kriegsführung behauptet. Die These ist, dass sich die Menschen den Krieg allenfalls noch im Fernsehen oder Kino anschauen, ihm sich selbst aber nicht mehr aussetzen wollen. Der Begriff „postheroische Kriegsführung“ bedeutet allerdings nicht, dass friedlichere Zeiten herrschen. Westliche und zunehmend auch die übrigen Staaten führen ihre Kriege mit High-Tech-Waffen, zum Beispiel mit Drohnen, und versuchen so ihre Truppen zu schützen.

Und andererseits?

Andererseits boomen Heldengeschichten: Hollywood produziert einen Heldenblockbuster nach dem anderen. Und in der Politik haben die so genannten starken Männer Konjunktur, Figuren wie Donald Trump, Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdoğan oder Jair Bolsonaro, die sich als machohafte Volkshelden inszenieren. Umgekehrt finden wir zeitgenössische heroische Figuren in sozialen Bewegungen, Frauen wie Greta Thunberg oder Carola Rackete. Diese Gleichzeitigkeit postheroischer Orientierungen und des Aufkommens neuer Helden ist das, was mich als Soziologe interessiert.


Aktivisten wie die Schwedin Greta Thunberg sind ein Beispiel für neue Heldenfiguren: Im Mittelpunkt der Bewunderung, die ihnen eine Gesellschaft entgegenbringt, steht der Kampf gegen Umweltzerstörung. Foto: Markus Spiske/Unsplash

Welche Eigenschaften haben die postheroischen Helden?

Es gibt verstärkt einen Heroismus der Zivilcourage und des Widerstands gegen Umweltzerstörung oder Abschottung der Grenzen. „Postheroisch“ meint nicht das zeitliche Danach des Heroischen. Es bedeutet, dass traditionelle Heldenbilder problematisch gesehen werden. Beispiele dafür finden sich auch in der Populärkultur: Die Batman-Trilogie von Christopher Nolan zeigt einen gebrochenen Helden, der zwar weiterhin übermenschliche Fähigkeiten besitzt, zugleich aber mit Selbstzweifeln und psychischen Konflikten geschlagen ist. Alles andere als ein strahlender Sieger. Wichtiger werden zivile, nicht mit Gewalt verbundene Heldenmodelle. Retterfiguren wie der Pilot Chesley Sullenberger, der ein Flugzeug sicher auf dem Hudson River landete. Und natürlich die Helden des Sports. Das sind Bewährungsfelder, die moralisch nicht zweifelhaft und deshalb mit postheroischen Idealen besser kompatibel sind.

Und damit haben sich die Heldengeschichten verändert?

Die klassischen Heldengeschichten, die auf eine Person zugespitzt sind, funktionieren in modernen Gesellschaften nicht mehr. Dass es die großen Männer sind, die Geschichte machen, mag heute so recht niemand mehr glauben. Die Welt ist zu kompliziert, um ihre Probleme im Handstreich lösen zu können. Dazu braucht es viele Akteurinnen und Akteure. Aber die Tatsache, dass die meisten sich eher ohnmächtig fühlen, erzeugt auch einen fortdauernden Heldenhunger. Wir ertragen die aufgeblasenen Heldenfiguren nicht länger, aber wir werden sie auch nicht los.

Gibt es noch immer einen gesellschaftlichen Konsens darüber, wer ein Held ist?

Helden polarisieren. Des einen Held ist des anderen Schurke. Die einen feiern Trump, die anderen Thunberg. Die ganze Dramaturgie des diesjährigen Weltwirtschaftsgipfels in Davos lief darauf hinaus, diese beiden Personen, die ja kaum gegensätzlicher sein können, aufeinandertreffen zu lassen. In ihren gegensätzlichen Heldenfiguren zeigt sich die Polarisierung der Gesellschaft. Immerhin: Dass über Helden und ihre Legitimation gestritten wird, dass sie nicht mehr einfach verordnet werden können, das ist eine Stärke demokratischer Gesellschaften.

 

Sonderforschungsbereich „Helden. Heroisierungen. Heroismen“