Popsongs über die Pandemie
Freiburg, 08.01.2021
„Verdammt, ich will mich nicht / Mit Viren infizier’n“, singt eine Stimme. Natürlich geht es in dem deutschen Popsong aus dem Frühjahr 2020 um Corona. Songs dieser Art von Bands wie „Die Ärzte“ oder „Frei.Wild“ wurden 2020 millionenfach im Internet aufgerufen. Dr. Dr. Michael Fischer ist Geschäftsführender Direktor des Zentrums für Populäre Kultur und Musik in Freiburg und arbeitet dort als Kulturwissenschaftler. In einem Beitrag für das Onlinemagazin pop-zeitschrift.de untersuchte er den Umgang des Deutschpops mit der Pandemie in der Phase des ersten Lockdowns im März und April 2020. Hans-Dieter Fronz hat ihn dazu befragt.
Popsongs zum Coronavirus waren gefragt: In privaten Aufnahmesessions daheim entstanden im Frühjahr 2020 viele Lieder über die Pandemie. Foto: meteoritka /stock.adobe.com
Herr Fischer, wie greift die deutsche Popmusik das Thema Corona auf?
Michael Fischer: Es gibt ein sehr breites Spektrum der musikalischen Auseinandersetzung. Das reicht von privaten Aufnahmesessions daheim bis zu Songs von professionellen Musikerinnen und Musikern, darunter bekannte Bands wie „Die Ärzte“ oder auch die Südtiroler Gruppe „Frei.Wild“. Die Annäherungsweise an das ernste Thema ist gerade in der allerersten Phase der Pandemie nicht selten humorvoll. Da wurden beispielsweise bekannte Popsongs launig umgetextet. „Verdammt, ich will mich / Ich will mich nicht / Mit Viren infizier’n“, heißt es in einer Parodie auf einen Song von Matthias Reim. Dieser Ton weicht aber schnell einer emotionalen Betroffenheit.
Worum geht es in den Songs?
Das Ziel der Songs ist Angstbewältigung in einem sehr weit gefassten Sinn. Popsongs versuchen, mit künstlerischen Mitteln die Bedrohung durch das Virus und die damit verbundene Angst kulturell einzuhegen. Von Krankheit und Sterben wird in den Songs allerdings kaum gesprochen. Das wäre auch kontraproduktiv, denn Popmusik ist soziologisch und ökonomisch ein Teil der Unterhaltungskultur. Die Rezipientinnen und Rezipienten suchen in diesen Songs keine Angstverstärker, sondern Angebote, um ihre Angst bewältigen zu können. Inhaltlich könnte man von einer Spiegelung der sozialen Situation der Hörerinnen und Hörer sprechen. Es geht um das, was sie und wir alle in der ersten Welle, beim ersten Lockdown, erlebt haben: Verunsicherung, Einsamkeit, Langeweile, keine Partys, keine Besuche bei Freunden und so weiter.
Erreichen die Songs diese Ziele?
Um diese Frage zu beantworten, müsste man eigentlich empirisch forschen, also Befragungen durchführen. Aber ich denke schon, dass das Ziel der Angstbewältigung erreicht wird. Zumindest werden Angebote in diese Richtung gemacht. Und zwar wird die nüchterne Realität dessen, was man in den Nachrichten hört, in Emotionalität und Fiktionalität übersetzt. Die Hörer müssen sich mit diesen Geschichten identifizieren können, etwa indem sie ihre eigenen Befürchtungen und Erfahrungen damit verbinden. Das mindert die Angst, zugleich entsteht dadurch das Gefühl einer Gruppenzugehörigkeit, vielleicht sogar einer Solidarität.
Michael Fischer untersuchte deutschsprachige Popsong: „Da wird fast nie Klartext gesprochen, sondern alles wird emotional, also plüschig ausstaffiert.“ Foto: Klaus Polkowski
Werden die Dinge mehr oder weniger deutlich benannt? Oder bleibt alles schwammig und vage?
Es ist der Produktionslogik von Popsongs geschuldet, dass alles ein bisschen oberflächlich bleiben muss. Ich habe speziell den Bereich Deutschpop untersucht, und dort geht es ohnehin viel um die eigene Identität, um die Selbstbespiegelung des Ichs. Da wird fast nie Klartext gesprochen, sondern alles wird emotional, also plüschig ausstaffiert. Genau die Merkmale, die wir im Deutschpop im Allgemeinen finden, zeigen sich so auch in diesen so genannten Corona-Songs. Nun müssen die ja keine ethischen Programme entwerfen, aber man kann doch sagen, dass das einseitige Wohlfühlprogramm eine Schwachstelle dieser Musikrichtung darstellt. Die zehn erfolgreichsten deutschsprachigen Corona-Songs, die ich untersucht habe, nehmen grundsätzlich nicht die Perspektive der Erkrankten ein. Es geht immer um gesunde Menschen, die sich langweilen, die nicht Party machen oder ein Konzert besuchen können. Existentielle Themen werden kaum angesprochen.
Wird eigentlich auch Kritik laut - etwa an Maßnahmen der Politik?
Sehr wenig. Die deutschsprachigen Corona-Songs sind weitgehend unpolitisch, mit einer prominenten Ausnahme: Die Band „FreiWild“, die im rechten Spektrum angesiedelt ist, geht in dem Song „Weltuntergang“ mit der Pandemie ironisch oder geradezu zynisch um, indem die Sorge vor der Krankheit lächerlich gemacht wird. Die Bandmitglieder wurden dann übrigens selbst mit dem Virus infiziert. Danach legten sie eine zweite Version des Songs auf, die inhaltlich eine andere Richtung einschlägt und von der Ironisierung der Pandemie in der ersten Fassung abrückt. Allerdings muss man bei der inhaltlichen Bewertung eines Songs auch immer genau hinschauen, in welcher Phase des Infektionsgeschehens er entstanden ist. Auch wenn viele Songs häufig in Wehleidigkeit und Sentimentalität abgleiten: Es werden auch positive Werte beschworen wie das Streben nach mehr Zusammenhalt, mehr Menschlichkeit, mehr Geduld. Aber auch diese Wünsche bleiben unkonkret. Die Songs fordern nichts ein, sondern schwelgen in Gefühlen. Das ist selbstverständlich vollkommen legitim und verfehlt vielleicht auch nicht die Wirkung.
Wie haben sich die Corona-Songs seit dem Frühjahr weiterentwickelt?
Ich habe das nicht weiterverfolgt. Man könnte schauen, ob die zweite Welle in ähnlicher Weise produktiv war und ob der Ton ernster geworden ist. Interessant wäre auch ein Vergleich mit internationaler beziehungsweise englischsprachiger Popmusik. Meine Untersuchung war vor allem von der Frage geleitet: Treffen die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Deutschpop auch auf die Corona-Songs der ersten Welle der Pandemie zu? Und da würde ich einfach sagen: ja.