Artikelaktionen

Sie sind hier: Startseite Online-Magazin forschen & entdecken Offene Weiten wollen gelernt …

Offene Weiten wollen gelernt sein

Die Arbeitswelt ist auch räumlich im Wandel – die Vorzüge und Nachteile von Open Spaces

Freiburg, 02.03.2020

Offene Weiten wollen gelernt sein

Foto: Ingeborg Lehmann

Wenn derzeit Büros neu entstehen oder umgebaut werden, geht es in 88 Prozent der Fälle in Richtung „Open Space“: Diese offenen Räume mit Bereichen für unterschiedliche Aufgaben sind einerseits als Rationalisierungsinstrument zu sehen. Andererseits tragen sie dem Arbeiten im digitalen Zeitalter mit seiner veränderten Geschwindigkeit Rechnung. Eine knappe Mehrheit der Beschäftigten ist mit ihren Open-Space-Arbeitsplätzen zufrieden, doch es gibt auch Herausforderungen. Darüber hat Annette Hoffmann mit Cathrin Becker von der Professur für Wirtschaftspsychologie der Universität Freiburg gesprochen.

Austausch an Theke und Tisch: Das Zentrum für Biosystemanalyse bietet seinen Mitarbeitern offen gestaltete Flächen, die sie zum Beispiel für Besprechungen nutzen können.
Foto: Ingeborg F. Lehmann

Frau Becker, Sie haben drei Jahre an der Studie „PräGeWelt – Präventionsorientierte Gestaltung neuer Open-Space-Arbeitswelten“ gearbeitet. Wie sieht denn eigentlich Ihr Büro aus?

Cathrin Becker: Überhaupt nicht nach Open Space. Es ist ein ziemlich großes, helles Einzelbüro. Teilweise arbeite ich auch von zu Hause aus. Das wiederum ist ganz im Sinne des Open-Space-Arbeitens. Für Aufgaben mit besonderen Herausforderungen kann man entsprechende Plätze aufsuchen. Das kann auch Homeoffice bedeuten.

Haben Sie im Laufe des Projekts etwas an Ihrem Arbeitsplatz verändert?

Ja, ich habe mir meinen Arbeitsbereich zu Hause bequemer eingerichtet. Einige Fallbeispiele hatten gezeigt, dass das Mobiliar viel ausmacht. Ich habe einen besseren Stuhl angeschafft und sitze jetzt manchmal auch auf einem Ball. Manche meiner Kolleginnen und Kollegen haben es sich auch in ihren Uni-Büros bequemer gemacht und sich mit Teppichen und Sesseln eine wohnliche Ecke eingerichtet.

Steckt hinter der Bezeichnung „PräGeWelt“ die Idee, dass die Arbeitswelt unser Leben prägt?

Es ging bei unserem Projekt, bei dem wir acht Fallbetriebe wissenschaftlich begleiteten, weniger um die Prägung als um die Prävention bei der Gestaltung neuer Open-Space-Arbeitswelten. Wir haben also untersucht, wie man vorbeugend darauf hinwirken kann, dass die Arbeit gut verläuft. Wir haben uns auf die Gesundheit konzentriert, insbesondere auf die psychische.

Das heißt, Arbeit macht krank?

Sie muss nicht, aber sie kann. Nicht grundlos gibt es in den letzten Jahren viele Ausfälle durch psychische Erkrankungen. Prävention ist hier sehr wichtig.


Auch wenn Open-Space-Arbeitsplätze Konjunktur haben, bleibt das Büro wichtig, um sich dazugehörig zu fühlen, sagt Cathrin Becker: „Sobald die Mitarbeiter feste Schreibtische haben, stellen sie ihre Pflanze und ihr Bild hin.“ Foto: Ingeborg F. Lehmann

Was sagen Open-Space-Büros über unsere Arbeitswelt aus?

Sie zeigen einen Wechsel in der Arbeitswelt auf. Im Gegensatz zum Großraumbüro der 1980er Jahre gehen Open-Space-Arbeitsbereiche mit einer Neuorganisation von Abläufen einher. Wenn ich konzentriert arbeiten muss, kann ich das Homeoffice wählen oder in einen Besprechungsraum oder einen Rückzugsraum gehen. Man nutzt die Möglichkeiten, die gegeben sind. Das Ganze ist ja dadurch entstanden, dass Arbeit flexibler und schneller geworden ist. Open Space ist eine Antwort darauf, da alles dynamischer sein muss und es mehr Interaktion gibt. Doch jetzt trifft man nicht nur Kollegen zum Arbeiten in der Cafeteria, auch im Hinblick auf die Unternehmungsführung hat sich einiges geändert.

Verschleiert das nicht die Hierarchien, wenn Führungskräfte auch in Open-Space-Büros arbeiten?

Auch hier gibt es Unterschiede. Viele Konzepte sind immer noch auf das Einzelbüro ausgerichtet. Wenn Führungskräfte unter ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sitzen, bringt das neue Herausforderungen mit sich – nicht im Sinne einer Einbuße von Macht, aber die Führungskräfte werden nahbarer. Viele Mitarbeiter nehmen es als positiv wahr, dass sie nicht extra ins Büro der oder des Vorgesetzten gehen müssen, um einen Termin zu vereinbaren. Manche Führungskräfte sagen auch, sie erkennen so Konflikte, bevor sie eskalieren, und können sie schneller lösen. Doch auch für Führungskräfte ist die ständige Erreichbarkeit stressiger. Open Space muss man lernen.

Wie sieht es grundsätzlich mit der Akzeptanz von Open Spaces aus?

In den Analysen gab es eher eine Tendenz zur Zufriedenheit. Wenn wir in qualitativen Interviews nachfragten, sahen alle etwas Positives und etwas Negatives. Wer sich über einen höhenverstellbaren Tisch freut, kann gleichzeitig unzufrieden sein, weil es laut ist. Es ist auch eine Typfrage, ob es passt – viel mehr als eine Alters- oder Geschlechtsfrage. Was auch eine große Rolle spielt, ist, ob man aus einem Einzel- oder einem Großraumbüro in einen Open-Space-Arbeitsbereich wechselt.

Wenn alles derart individuell ist, wird es dann nicht schwierig, Verbesserungen vorzunehmen?

Manche Verbesserungen sind immer und allgemein möglich, etwa bei der Akustik. Einige Betriebe konnten hier durch Akustikpaneele nachbessern. In anderen Unternehmen hat man festgestellt, dass es die Mitarbeiter stört, wenn Kollegen hinter ihnen hin- und herlaufen. Dort wurden dann feste Laufwege markiert. Viele Mitarbeiter nutzen Kopfhörer, die den Lärm abhalten. Es gibt Dinge, die Unternehmen von sich aus machen können, andere Probleme muss jede und jeder individuell lösen. Es bleibt ein dynamischer Prozess.

Braucht es nicht ein bisschen Privatheit, etwa eine Bürotasse oder Familienfotos, um sich mit dem Arbeitsplatz zu identifizieren?

Sobald die Mitarbeiter feste Schreibtische haben, stellen sie ihre Pflanze und ihr Bild hin. Selbst in Unternehmen mit einer „clean desk policy“ werden den Mitarbeitern Container zur Verfügung gestellt, in denen sie ihre persönlichen Dinge über Nacht einschließen können. Was den privaten Austausch angeht, so nimmt der im Open-Space-Büro eher ab oder verschiebt sich in andere Zonen wie etwa die Cafeteria. Dennoch ist das Büro wichtig, um sich dazugehörig zu fühlen. Das Büro wird auch wichtig bleiben, selbst wenn es das Homeoffice und viele Kundenkontakte gibt. Es ist für alle eine Anlaufstation. Man könnte auch sagen „Hub and Home“.

 

Mehr zum Projekt

Freigeister in Freiburg