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Nostalgie und Handelskrieg

Der Freiburger Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld warnt vor den Folgen von populistisch verbrämtem ökonomischem Nationalismus

Freiburg, 06.05.2019

Nostalgie und Handelskrieg

Foto: Elsenhans – stock.adobe.com

Die immer engere internationale Verflechtung der Wirtschaft, seit drei Jahrzehnten als fortschrittlicher Weg zur Förderung von umfassendem Wohlstand propagiert und betrieben, gerät zunehmend in die Kritik von Populisten und Globalisierungsgegnern. Lars P. Feld, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, beobachtet dieses Phänomen schon seit längerem, etwa in einem Forschungsprojekt über die Auswirkungen der Flüchtlingsmigration. Verena Adt hat ihn gefragt, welche Folgen der schärfer werdenden Globalisierungskritik zu erwarten sind.

Mit Protektionismus zum Erfolg? Die USA erzielen derzeit handelspolitische Fortschritte, indem sie mit Härte vorgehen, beobachtet Lars Feld. Foto: Elsenhans – stock.adobe.com

Herr Feld, der ehemalige französische Präsident François Mitterrand hat einmal im Europaparlament gesagt: „Nationalismus heißt Krieg.“ Was heißt ökonomischer Nationalismus?

Lars P. Feld: Ökonomischer Nationalismus heißt Handelskrieg. In der heutigen Situation würde ich allerdings noch nicht von Krieg reden. Aktuell haben wir Handelskonflikte.

Ist „America first“, die Maxime des US-Präsidenten Donald Trump, ein Ausdruck von ökonomischem Nationalismus?

Was wir im Wahlkampf von Donald Trump erlebt haben und wie er jetzt mit Staats- und Regierungschefinnen und -chefs umgeht, gehört sich einfach nicht. Allerdings bewegt er erstaunlich viel in den handelspolitischen Fragen, die er angegangen ist. Ich hatte in vergangenen Monaten häufig mit chinesischen Kolleginnen und Kollegen zu tun, und die sagten uns: „Trumps Strategie ist viel schlauer, als ihr Europäer meint. Wir Chinesen können gar nicht anders, als einem neuen Deal zuzustimmen.“ China ist zwar ein großer Gläubiger der USA, aber dadurch auch stark exponiert. Ein Druckmittel haben daher nicht die Chinesen, sondern die Amerikaner, und sie spielen das gnadenlos aus, rein auf ihre nationalen ökonomischen Interessen ausgerichtet.

Erzielt Trump also handelspolitische Erfolge durch ruppigen Stil?   

Erfolge erzielt er, weil er zuerst einmal Zölle in Höhe von 250 Milliarden US-Dollar einführt und dann den Verhandlungspartner fragt: „Was bietet ihr mir, damit ich sie wieder zurücknehme?“ Trump bewegt etwas mit solcher Härte, gerade in China, das Freundlichkeit in Verhandlungen als Schwäche interpretiert. China hat im März 2019 ein neues Gesetz verabschiedet, mit dem es sich für ausländische Direktinvestitionen öffnet. Auch zwischen den USA und Europa finden jetzt wieder ernsthaftere Handelsgespräche statt. Die USA sind zugleich mit Japan in Diskussionen. Gegenwärtig sieht es so aus, als ob Trump an allen drei Fronten zu Ergebnissen kommen wird.  

Erleben wir mit dem Brexit in Europa gerade auch ein Beispiel von ökonomischem Nationalismus?

Die Commonwealth-Nostalgie in Großbritannien ist hanebüchen. Dahinter steht die Vorstellung, trotz der relativen Kleinheit des Vereinigten Königreiches wirtschaftliche Stärke demonstrieren zu können, weil die Briten ein besonderes Volk sind. Dies ist ein besonderer Ausdruck britischen Nationalismus, wie ihn sogar der frühere britische Premierminister Winston Churchill ausgedrückt haben soll. Aber wir haben immer noch die Hoffnung, dass die Briten ein zweites Referendum bekommen und dann doch in der EU bleiben. Das wäre die beste Lösung.

Kann das Brexit-Chaos andere EU-kritische Länder wie Polen, Ungarn und Italien von nationalistischen Abwegen abschrecken?  

Die Ungarn und die Polen lassen sich leichter einbinden, weil sie, anders als die Briten, am Finanztropf der EU hängen. Auf Italien wirkt vermutlich der Fall Griechenland in stärkerem Maße als Abschreckung. Das haben die Italiener im Jahr 2018 gemerkt, als sie im Entwurf eines Koalitionsvertrags die Mitgliedschaft in der Währungsunion in Frage stellen wollten. Das ist ihnen von den Finanzmärkten so übel genommen worden, dass sie einen Rückzieher machen mussten. Italien ist gleichwohl ein hohes Risiko für den Euro. Da ist eindeutig ökonomischer Nationalismus im Spiel.

Lars Feld hofft, dass sich die Briten in einem zweiten Referendum für den Verbleib in der EU aussprechen. Foto: Walter Eucken Institut

Die Globalisierungskritik kommt oft in populistischer Form daher. Hat die Globalisierung die Menschen überfordert?

Globalisierung ist ein Sammelbegriff. Zum einen gehört die Internationalisierung im Handel dazu. Für viele Menschen ist außerdem die Europäisierung, also die Abgabe von Kompetenzen an die EU, Teil der Globalisierung. Migration ist ebenfalls ein Globalisierungsphänomen. Die Migrationskrise in Europa stellte in vielerlei Hinsicht ein Problem dar. Sie hat in Italien und bereits zuvor in Spanien große Schwierigkeiten verursacht, sie hat die Krise in Griechenland verschärft. In Frankreich spielt Migration für den Erfolg der Rechtsextremen unter Marine Le Pen eine wichtige Rolle. Auch der Brexit wurde teilweise dadurch motiviert. Migration als ein Element der Globalisierung ist problematisch, so sehr man das als liberaler Ökonom bedauert.

Ist die Migration eher ein wirtschaftliches oder ein gesellschaftliches Problem?

Sowohl als auch. In Ländern mit hoher Arbeitslosigkeit konnten die Arbeitsmärkte die Migrantinnen und Migranten nicht umfassend aufnehmen. In Deutschland gelingt die Integration selbst von gering qualifizierten, die deutsche Sprache nicht beherrschenden Flüchtlingsmigranten in den Arbeitsmarkt indessen besser als gedacht. Hierzulande ist die Integration kein Problem des Arbeitsmarktes, sondern eine gesellschaftspolitische Frage.  

Wie stark ist inzwischen die Tendenz zur nationalistischen Abgrenzung innerhalb der EU?  

Da spielen die Probleme, die in der Eurokrise aufgetreten sind, eine Rolle. In Italien und Griechenland herrscht hohe Arbeitslosigkeit. Dass dann so genannte populistische Parteien aufkommen, ist kein Wunder. In Ländern wie Spanien, Portugal, Zypern und Irland, die mit der Eurokrise trotz großer Schwierigkeiten relativ gut umgegangen sind, tritt der Populismus weniger stark in Erscheinung.  

Ist die Gelbwesten-Bewegung in Frankreich auch eine populistische Reaktion auf die Globalisierung?

Sie hat andere Ursachen. Den Anstoß zur Gelbwesten-Bewegung gab die viel zu hohe Abgabenbelastung im unteren und im mittleren Einkommensbereich in Frankreich. Als dann noch eine Erhöhung der Benzinsteuer dazukommen sollte, war das die Initialzündung für den Protest. Danach haben sich auch andere Unzufriedene angeschlossen.   

In Deutschland gab es bei den inzwischen auf Eis gelegten TTIP-Verhandlungen scharfe Proteste gegen ein neues europäisch-amerikanisches Freihandelsabkommen. Gewinnt die Globalisierungskritik auch hier an Boden?

Die Internationalisierung des Handels und der Wertschöpfungsketten waren für Deutschland eindeutig ein Vorteil. Sie haben massiv Arbeitsplätze im Inland gesichert. Es ist aber unbestritten, dass wir Globalisierungskritik haben, auch in Bezug auf den Handel. Das hat mit den Umweltschäden zu tun, die dieses System hervorruft. Globalisierung bedeutet viel Transport und Transport verursacht Emissionen. Gerade die TTIP-Kritik war stark aus dieser Richtung betrieben worden.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier will deutsche und europäische Wirtschaftschampions besonders fördern. Ist das wohlverstandene Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen oder ökonomischer Nationalismus?

Ich bin einer der schärfsten Kritiker der Pläne von Herrn Altmaier. Was als nationale Industriestrategie daherkommt, widerspricht allem, was wir uns in der Sozialen Marktwirtschaft vorgenommen haben. Das ist ein klarer Verstoß gegen die Grundprinzipien unserer Wettbewerbspolitik.

Was sollte Europa tun, um dem Trend zur Desintegration gegenzusteuern?

In den Bereichen integrieren, in denen die EU etwas erreichen kann. Das ist der gesamte Sicherheitsbereich, bis hin zu Landesverteidigung. Eine gemeinsame Armee wäre das Fernziel, sie setzt allerdings eine politische Union voraus. Es gibt gleichwohl Zwischenschritte – bereits bestehende gemeinsame Kommandos ausbauen, zum Beispiel. Wichtig wäre zudem eine effektivere gemeinsame Kriminalitätsbekämpfung. Die organisierte Kriminalität hat den Binnenmarkt für ihre Zwecke genutzt und längst expandiert, während wir im Hinblick auf die Sicherheitskräfte, die dagegen vorgehen sollen, immer noch sehr kleinteilig agieren.

 

Symposium „Die Rückkehr des ökonomischen Nationalismus? – Protektionismus, Populismus und das Ende der zweiten Ära der Globalisierung?“