Nierenerkrankungen besser verstehen
Freiburg, 03.03.2022
Weltweit leben 10 bis 15 Prozent der Erwachsenen mit einer chronischen Nierenerkrankung, hinzu kommen Patient*innen mit Nierenkrebs. Häufig haben diese Krankheiten genetische Ursachen – die zugrundeliegenden Mechanismen sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht. Das fächerübergreifende Team des Sonderforschungsbereichs „Nephrogenetik (NephGen)” widmet sich mit verschiedenen Projekten dieser Aufgabe. Seit Januar 2021 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) das Vorhaben für die kommenden vier Jahre mit 13,5 Millionen Euro. Neben der Universität und dem Universitätsklinikum Freiburg ist auch die Charité – Universitätsmedizin Berlin an dem Projekt beteiligt. Franziska Becker hat sich mit der Sprecherin der Forschungsgruppe Prof. Dr. Anna Köttgen, Direktorin des Instituts für Genetische Epidemiologie am Universitätsklinikum Freiburg, darüber unterhalten, welche Rolle die Niere für die Gesundheit des Menschen spielt.
„Es schwierig, die optimale Therapie für bestimmte Unterformen von Nierenerkrankungen auszuwählen, weil sich diese anhand der Symptome der Patienten nicht immer unterscheiden lassen“, erklärt Anna Köttgen, die mit einem interdisziplinären Team zu Nierenkrankheiten forscht. Foto: Sandra Meyndt
Frau Köttgen, wozu benötigt der Mensch seine zwei Nieren?
Anna Köttgen: Die Nieren erfüllen viele lebenswichtige Funktionen: Sie filtern unser Blut und sorgen dafür, dass wir Abbau- und Schadstoffe ausscheiden und gleichzeitig wichtige Moleküle im Körper behalten. Sie steuern den Wasser-, den Salz- und den Säure-Basen-Haushalt und sind an der Regulation des Blutdrucks beteiligt. Darüber hinaus stellen sie wichtige Hormone her, die zum Beispiel die Blutbildung oder den Knochenstoffwechsel beeinflussen.
Kranke Nieren können also weitreichende Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Was ist über Nierenerkrankungen bislang erforscht?
Wir wissen schon Vieles über Nierenerkrankungen und über Faktoren, die das Risiko für eine Nierenerkrankung erhöhen. So ist zum Beispiel bekannt, dass eine unbehandelte Zuckerkrankheit, der Diabetes, zu einer Schädigung der Niere führen kann. Auch bestimmte Autoimmunerkrankungen oder Infektionen können die Niere angreifen. In den letzten Jahren wird Forschenden auch immer klarer, dass bei Erwachsenen Nierenerkrankungen viel häufiger einen erblichen Anteil haben, als wir früher dachten.
Warum ist es so schwierig, Nierenerkrankungen optimal zu therapieren?
Zum einen wissen wir oft einfach nicht, dass eine Nierenerkrankung vorliegt. Nierenerkrankungen werden häufig erst dann entdeckt, wenn schon mehr als die Hälfte der Nierenfunktion verloren ist. So kann man nicht vorher mit einer medikamentösen Therapie oder einer Lebensstiländerung zur Erhaltung der Nierenfunktion beginnen. Zum anderen ist es schwierig, die optimale Therapie für bestimmte Unterformen von Nierenerkrankungen auszuwählen, weil sich diese anhand der Symptome der Patienten nicht immer unterscheiden lassen. Und drittens kennen wir noch nicht alle Ursachen von Nierenerkrankungen, beziehungsweise verstehen die genauen Erkrankungsprozesse noch nicht gut genug, um neue Therapien zu entwickeln. Aus diesen Gründen können wir oft nur die Folgen von Nierenerkrankungen behandeln, jedoch nicht ihre Ursachen.
Die Nieren erfüllen lebenswichtige Aufgaben im menschlichen Körper: Sie filtern täglich rund 1.800 Liter Blut und sorgen dafür, dass über den Urin Gift- und Abfallstoffe abtransportiert werden. Foto: Crystal light
Mit welchem Aspekt von Nierenerkrankungen beschäftigt sich der Sonderforschungsbereich „NephGen“?
Da erbliche Faktoren eine wichtige Rolle bei Nierenerkrankungen spielen, forschen wir an genetischen Nierenerkrankungen, weshalb unser Sonderforschungsbereich auch „Nephrogenetik“ heißt. Davon erhoffen wir uns wichtige Erkenntnisse über das Entstehen von Nierenerkrankungen und den zugrundeliegenden Mechanismen, um so die Grundlage für eine bessere Diagnostik und Therapie zu schaffen. Dafür untersuchen wir die Erbsubstanz von Patient*innen mit dem Verdacht auf genetische Nierenerkrankungen mit hochmodernen Methoden, wie beispielsweise der Hochdurchsatzsequenzierung des gesamten Genoms. Die so entdeckten Veränderungen können uns Hinweise darauf liefern, welches Molekül im Körper nicht mehr richtig funktioniert und der Grund für die Nierenerkrankung sein könnte. In einem zweiten Schritt versuchen wir dann, die Funktion dieses Moleküls im Forschungslabor besser zu verstehen. Schließlich wollen wir die Grundlage für Therapien schaffen, die den Verlust des defekten Moleküls oder des betroffenen Mechanismus ausgleichen kann.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei Ihrer Forschung?
Nierenerkrankungen sind anfangs nicht schmerzhaft. Viele Patient*innen wissen deshalb gar nicht, dass sie eine Nierenerkrankung haben. Zudem ist die Funktion der Niere sehr komplex, so dass eine Zusammenarbeit von Expert*innen auf vielen Gebieten unerlässlich ist. Das wird uns in Freiburg zum Glück durch unseren Sonderforschungsbereich ermöglicht. Hier arbeiten Fachärzt*innen für die Niere, sogenannte Nephrologen, mit Ärzt*innen verschiedener anderer Bereiche, Biolog*innen, Computerwissenschaftler*innen und noch viele anderen Hand in Hand. Wir sind über die Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft sehr froh und dankbar.
Durch die Pandemie ist die Zusammenarbeit vermutlich erschwert. Wie ist die Arbeit des Sonderforschungsbereichs in den ersten Monaten angelaufen?
Es ist definitiv eine positive Überraschung, wie gut die gemeinsame Arbeit trotz der schwierigen Bedingungen während der Pandemie funktioniert. Obwohl wir erst am Beginn der vierjährigen Förderung unserer Forschungsprojekte stehen, konnten bereits wichtige Durchbrüche erzielt werden: zum Beispiel die Entdeckung neuer krankheitsverursachender Gene und ein neues Konzept zur Behandlung einer häufigen Erbkrankheit der Nieren, welches momentan in Experimenten im Labor genauer untersucht wird.
Webseite des Sonderforschungsbereichs SFB 1453
Prof. Dr. Anna Köttgen ist die Direktorin des Instituts für Genetische Epidemiologie am Universitätsklinikum Freiburg. Darüber hinaus ist sie Mitglied der Spemann Graduate School of Biology and Medicine, des Exzellenzclusters CIBSS, und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Im Jahr 2020 erhielt sie den Landesforschungspreis für Grundlagenforschung für ihre herausragenden wissenschaftlichen Leistungen.