Lebensechte künstliche Organe
Freiburg, 05.05.2021
Dem Freiburger Forscher Dr. Falk Tauber ist es gelungen, die Muskeltätigkeit von Speiseröhre und Darm mittels Softrobotik lebensecht nachzubilden. Dadurch sind diese Modelle nicht nur als künstliche Organe für die Entwicklung medizinischer Produkte gefragt, sondern wären auch angenehme Zusatzorgane für Superhelden.
Flexibler Nachbau: Speiseröhre und Darm sind auch ein gutes biologisches Vorbild für Pumpsysteme in der E-Mobilität. Foto: Plant Biomechanics Group Freiburg
Eine Frage treibt den Biologen Dr. Falk Tauber schon länger um: „Wie kann ich als Wissenschaftler von meiner Arbeit so erzählen, dass sie Begeisterung weckt und wirklich verstanden wird, ohne dass es dabei zu kompliziert oder zu platt wird?“ Der Postdoktorand forscht am Freiburger Exzellenzcluster Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems (livMatS) und der Plant Biomechanics Group Freiburg zu Materialsystemen der Zukunft und bioinspirierten Technologien. Er will, wenn er seine Projekte beschreibt, den Mittelweg finden zwischen „Ich forsche an biomimetischen, peristaltischen Softrobotik-Pumpsystemen“ und „Ich mache was mit Schläuchen“.
Die Antwort fand Tauber, als er bei einer Tagung den Kollegen Barry W. Fitzgerald von der Technischen Universität Eindhoven/Niederlande kennenlernte. Der teilte nicht nur Taubers Begeisterung für Comics des Marvel-Universums, sondern ist Wissenschaftskommunikationsbeauftragter seiner Universität. Fitzgerald hat sich schon in vielen Publikationen mit der Wissenschaft auseinandergesetzt, die hinter den fantastischen Kräften von Superhelden steckt, dass er sich selbst als „Superhero Scientist“ bezeichnet. Als er von Taubers Arbeit erfuhr und ihn anregte, sie doch einmal daraufhin zu durchdenken, dass er damit einem beliebten Superhelden einen lang gehegten Wunsch erfüllen könnte, war Tauber sofort dabei. Schließlich erinnerte er sich noch gut, wie seine eigene Begeisterung für die Bionik geweckt wurde: durch das so genannte Gecko Tape. Diese mikrostrukturierte Silikonfolie mit zahlreichen Haftelementen erklärte nicht nur, wie Spiderman glatte Wände erklettern konnte, sondern wurde auch genau mit dieser Referenz der Öffentlichkeit präsentiert.
Transport entgegen der Schwerkraft
Auch Taubers Forschung hat wie das Gecko Tape ihren Ursprung in einem Vorbild aus der Biologie. In seinem Fall war es die Frage, wie die Speiseröhre und der Darm das, was durch sie hindurchfließt, auch entgegen der Schwerkraft ohne zusätzliche Pumpsysteme transportieren können. Das wäre, so Taubers Idee, ein gutes biologisches Vorbild für die E-Mobilität: Wenn sich Kühl- oder sonstige Flüssigkeiten durch quasi selbstpumpende Schläuche bewegen lassen, kann man das Gewicht von Motoren weiter verringern, indem zusätzliche Pumpsystem verzichtbar werden. In diese Richtung wird der Freiburger Wissenschaftler seine Forschung auch weiter betreiben, aber die Anregung von Fitzgerald, bei der Arbeit auch mal an Superhelden zu denken, erwies sich als sehr fruchtbar.
Denn wenn man neuartige Pumpsysteme nach dem Vorbild von Speiseröhre und Darm entwickelt hat, kann man sie auch als solche einsetzen. Nicht bei Menschen, dafür sind die Materialien noch nicht geeignet. Aber ein Superheld wie Vision, ein Androide, für dessen Energieversorgung bisher ein magischer Stein sorgt, könnte mithilfe eines künstlichen Verdauungssystems endlich in den Genuss kommen, Suppen, die er in den Comics für seine Superheldenfreundin kocht, auch selbst zu genießen. Als Tauber begann, seine bisherigen Forschungsergebnisse zu einem funktionierenden Verdauungssystem zu erweitern, war natürlich klar, dass der Nutzen davon nicht nur fiktiven Figuren zugutekommen würde.
Der Freiburger Biologe hat Speiseröhre und Darm vom Prinzip her bereits konstruiert. Die große Herausforderung dabei war, die Abfolge ringförmiger Muskelkontraktionen nachzubilden, mit denen die Speiseröhre ihre Inhalte transportiert. Zudem musste Tauber untersuchen, wie ein Abknicken oder Kontraktionen bei verschlungenen Systemen wie dem Darm ablaufen. Die Modelle, die Tauber dabei entwickelt hat, sind so nah an ihren biologischen Vorbildern, dass sie in der Medizin großes Interesse geweckt haben. Dort können sie als künstliche Därme eingesetzt werden, um mit ihnen Sensorsysteme für die Medizintechnik zu entwickeln.
Darm als Vorbild für Energiegewinnung
Die Idee, dem Superandroiden Vision einen künstlichen Verdauungstrakt zu verschaffen, der ihn nach menschlichem Vorbild mit Energie und Nährstoffen versorgt, regte Tauber zu einer Überlegung an: Wie kann er sein Darmmodell mit künstlichen Mikrobiomen auf Basis von Lab-on-a-Chip-Systemen zu einem funktionierenden Energiegewinnungssystem ergänzen? Was den mechanischen Teil angeht, sei es ihm gelungen, erklärt Tauber. „Wir können Speisen durch künstliche Ringmuskeln in den typischen Wellenbewegungen wie eine Speiseröhre bis zum Enddarm weitertransportieren. Und die Schließmuskeln sind auch kein Problem.“ Die Organfunktionen hat er auf einen Magen beschränkt, in dem die Nahrung chemisch aufgeschlossen wird und dann über mikrofluide, zelluläre Systeme weiterverwertet werden kann. „Das ist noch ein Stück vom menschlichen Vorbild entfernt, dafür zeichnen sich praktische Anwendungen ab, etwa im Bereich von Kläranlagen oder zur häuslichen Energiegewinnung.“
Zurzeit werden Taubers künstliche Speiseröhren und Darmwindungen pneumatisch betrieben, was einen gewissen Platzbedarf mit sich bringt. Aber da das Prinzip verstanden ist, können nun neue Techniken entwickelt werden, um es stetig zu verbessern. Vielleicht wird Taubers System dem Superhelden Vision nicht den vollen Genuss menschlicher Verdauung bringen. Aber den Zauberstein, der die Energie für den Superhelden liefert, könnte es schon jetzt ersetzen.
Jürgen Reuß
Publikation „How to build a synthetic digestive system for Marvel's Vision“
livMatS – Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems
livMatS ist einer der beiden Exzellenzcluster der Universität Freiburg. Darin entwickeln 28 Arbeitsgruppen neuartige bioinspirierte Materialsysteme, die sich autonom an unterschiedliche Umgebungen anpassen, saubere Energie aus dieser ernten und Beschädigungen ausgleichen können. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kommen aus sechs Fakultäten – der Technischen Fakultät, der Fakultät für Chemie und Pharmazie, der Fakultät für Biologie, der Fakultät für Mathematik und Physik, der Fakultät für Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaften und der Philosophischen Fakultät. Auch die Fraunhofer-Institute für Solare Energiesysteme ISE und für Werkstoffmechanik IWM sowie das Ökoinstitut e.V. sind beteiligt. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert den Cluster von Anfang 2019 bis Ende 2025.